Worte des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Dennis Buchner zur Verabschiedung des Berliner Beauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur Tom Sello
14.02.2023 18:00, Abgeordnetenhaus, Raum 304
Ich begrüße Sie recht herzlich im Abgeordnetenhaus von Berlin! Wir sind heute aus einem ganz besonderen Grund zusammengekommen. Mit der vor wenigen Minuten erfolgten Vereidigung von Herrn Ebert können wir ihn gemeinsam als neuen Berliner Beauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur in sein Amt einführen, welches er dann zum 1. März antreten wird. Und zugleich heißt es Abschied nehmen von Ihnen, lieber Herr Sello!
Lieber Herr Sello,
im Namen des Abgeordnetenhauses möchte ich Ihnen herzlich für Ihre Arbeit als Berliner Beauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur danken. Doch nicht nur dafür möchte ich Ihnen heute danken, denn Ihre Lebensleistung ist wirklich beeindruckend. Sie haben bereits bei der Robert-Havemann-Gesellschaft und beim Aufbau des Matthias-Domaschk-Archivs engagiert für unsere Stadt gewirkt. In der DDR waren Sie in verschiedenen Oppositionsgruppen für Freiheit und demokratische Werte aktiv und trugen im Mai 1989 dazu bei, die Fälschung der Kommunalwahlen aufzudecken.
Insofern kann ich gut sagen, dass Sie nicht nur eine bewegende Geschichte in Berlin erlebt haben, sondern auch selbst Geschichte bewegt haben. Indem Sie sie richtigstellten. Dies war auch ein wichtiger Teil in Ihrem Amt als Beauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und das verdient unsere Anerkennung. Im Abgeordnetenhaus jedenfalls waren Ihre Impulse für uns stets gute Wegweiser, lieber Herr Sello, und für die gute konstruktive Zusammenarbeit möchte ich mich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich bedanken.
Es steht außer Frage: Lange noch wird die SED-Diktatur nachwirken, noch immer fügt sie ihren Opfern Leid zu oder reißt Wunden auf. Altersarmut, prekäre finanzielle Lagen, gesundheitliche und psychische Belastungen sind ernst zu nehmende Themen. Auch über Jahre hinaus sind die Opfer auf unsere Hilfen angewiesen. Diese Personengruppe wurde von Ihnen, lieber Herr Sello, vertreten und geschützt, verteidigt und gestützt. Vielen Menschen waren Sie eine wichtige Anlaufstelle. Denn Beratungsleistungen hinsichtlich einer Rehabilitierung oder konkreter Hilfsleistungen sind für Betroffene ein wirklicher Lichtblick. Auch durch den Härtefallfonds, den das Abgeordnetenhaus in der 18. Wahlperiode beschlossen hat, und der bei Ihrer Behörde angesiedelt ist, konnten Sie vielen Menschen helfen, die sonst durchs Raster fallen würden.
Sie haben denjenigen eine Stimme gegeben, die unter der Tendenz einer Romantisierung der DDR leiser werden. Mit Ihrer Überzeugung – ich zitiere: „Wer behauptet, es gebe einen Zeitpunkt, an dem genug Aufarbeitung geleistet worden sei, spielt jenen in die Hände, die die Diktatur schönfärben wollen.“ – haben Sie sich gegen das Vergessen starkgemacht und sich in Debatten gemischt. Sie haben sich für politische Bildungsarbeit, die Aufklärung an Schulen, Universitäten und in der Lehrkräfteausbildung ausgesprochen und diese aktiv vorangetrieben. Ich denke, wir können an dieser Stelle gut festhalten, dass Ihre Behörde durch die vielen verschiedenen Formate und Angebote während Ihrer Amtszeit stadtweit sichtbarer geworden ist, zum Beispiel durch die Reihe „Mein Kiez. Geschichte(n) des geteilten Berlins“ oder das BAB-Schulkino. Mit dem BABcast, Twitter und Facebook ist Ihrer Behörde zudem der Schritt ins digitale Zeitalter gelungen. Unsere Häuser haben hier gut zusammengearbeitet, zum Beispiel im Rahmen des Social-Media-Formats #Mauerschatten. Ich bin mir sicher, dass wir auf diesem Fundament aufbauen werden, wenn wir in diesem Jahr gemeinschaftlich an den 70. Jahrestag des Volksaufstandes in der DDR erinnern.
Lieber Herr Sello, ganz besonders wichtig war Ihnen die Entwicklung des Campus für Demokratie. Das haben Sie in der Plenarsitzung vergangenen Donnerstag auch noch einmal hervorgehoben. Ich halte es für ein gutes Signal, das auch in Ihrem Sinne ist, dass wir den Antrag „Campus für Demokratie gemeinsam mit dem Bund weiterentwickeln“ im Parlament mit großer Mehrheit angenommen haben. Sie haben erkannt, dass neue Generationen neue Fragestellungen auf die alte Geschichte mit sich bringen. Am Campus der Demokratie kann gerade jungen Menschen ein guter Zugang zu Vergangenem geboten werden. Auch der ehemalige Hafttrakt in der Keibelstraße, hat, wie Sie stets betonten, das Potenzial, den Fokus auf bestimmte Themengebiete der DDR zu legen. Hier sind wir als Berliner Abgeordnetenhaus gefordert. Authentische Erinnerungsorte werden in Zeiten, in denen die Demokratie nicht mehr von allen für ganz so wichtig genommen wird, immer wichtiger.
Auf Ihrem Weg, lieber Herr Sello, haben sich viele Ihrer Wünsche erfüllt: die Öffnung der Stasi-Akten beispielsweise. Während andere sich so nicht realisieren ließen: Die Begrünung des Mauerstreifens durch Lupinen etwa. Das gehört wohl dazu, daran wachsen wir. Wichtig ist doch aber, nie mit dem Träumen aufzuhören.
In einem Podcast sagten Sie, dass Sie sich als junger Mensch nicht vorstellen wollten, Ihr erstes Stones-Konzert erst im Alter von 65 Jahren erleben zu dürfen. Ein kleiner Traum, der sich inzwischen vielleicht sogar mehr als einmal erfüllt hat. Und wenn nicht, haben Sie sicher noch einige Chancen, denn eins ist wohl klar: Die Stones, die hören nicht auf. Warum auch? Insofern bin ich optimistisch, dass wir auch von Ihnen künftig hören werden.
Ich wünsche Ihnen, dass Sie immer wieder neue kleinere und größere Träume für sich finden und verwirklichen.
Vielen Dank!