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Rede des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin, Walter Momper, zur Gedenkveranstaltung an die Opfer der Märzrevolution 1848

18.03.2009 17:00, Friedhof der Märzgefallenen im Volkspark Friedrichshain

Walter Momper 18.03.2009, Friedhof der Märzgefallenen im Volkspark Friedrichshain

Rede des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin, Walter Momper, zur Gedenkveranstaltung an die Opfer der Märzrevolution 1848 am Mittwoch, 18. März 2009, 17.00 Uhr auf dem Friedhof der Märzgefallenen im Volkspark Friedrichshain _________________________________________________________

- Es gilt das gesprochene Wort -

Wir sind hier an diesem besonderen Platz der Erinnerung zusammengekommen, um jene mutigen Männer und Frauen zu würdigen, die vor 161 Jahren den Kampf, um Freiheit und Demokratie mit ihrem Leben bezahlt haben. Der 18. März ist ein Tag, der in unseren Kalendern offiziell als nationaler Gedenktag gekennzeichnet sein müsste. In den Berliner Straßenkämpfen des Jahres 1848 fielen Barrikaden und Mauern. Die Steine eines auf Adelsprivilegien beruhenden feudalistischen Gebäudes stürzten zusammen.

Was mich als Präsident des heutigen Berliner Parlaments besonders stolz macht, ist die historische Tatsache, dass es Mitglieder der Berliner Stadtverordnetenversammlung waren, die zum königlichen Schloss aufbrachen, um dem Monarchen ihre politischen Forderungen zu überbringen. Gefordert wurden die Rechte, die heute zu unserem alltäglichen Leben dazu gehören: Redefreiheit, Pressefreiheit und Versammlungsfreiheit. Es war der seit der französischen Revolution nie verstummende Ruf nach „Liberté, Égalité, Fraternité“, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Und das Missverhältnis zwischen Kapital und Arbeit sollte ausgeglichen werden.

Die Schüsse des 18. März 1848 hinterließen blutige Spuren. Auf dem Berliner Schlossplatz feuerten preußische Soldaten auf ihre Brüder und Schwester, die für die Einlösung ihrer Forderung demonstrierten. Die Barrikadenkämpfe des 18. und 19. März 1848 in Berlin bildeten den Höhepunkt der bürgerlich-demokratischen Revolution in Deutschland.

Wie kam es zu dieser Revolution? Es begann Ende Februar 1848 als die Gazetten über die Abdankung des französischen Königs Louis Philippe I. berichteten. Die Berliner belagerten die Cafés und Lesekabinetts, in denen auch ausländische Zeitungen auslagen. Vorleser stellten sich auf die Tische und verkündeten die neuesten Nachrichten aus der französischen Hauptstadt. Und der Weg zum Berliner Aufstand war nicht weit, als der französische Funke am 13. März den revolutionären Brand in Wien entfachte.

Und der Kampf lohnte sich. So gab der preußische König nach, sagte die Umbildung der Regierung zu und versprach seinen Bürgern Amnestie. Er gestand die Einberufung einer verfassungsgebenden Nationalversammlung zu und verkündete, dass Preußen zukünftig in Deutschland aufgehen sollte.

Wie grenzüberschreitend und mauerbrechend diese Revolution war, verdeutlicht das Handeln des Universalgelehrten Alexander von Humboldts, dessen 150. Todestag wir am 6. Mai feiern und der 1856 zum Ehrenbürger Berlins ernannt wurde. Humboldt stand zwar nicht an vorderster Front wie der Mediziner Rudolf Virchow, der beim Errichten von Barrikaden mit dabei war – ebenfalls ein Ehrenbürger unserer Stadt. Humboldts Name stand für den aufgeklärten Geist eines edlen Mannes, der sich überall auf der Welt für Freiheit und Dialog, gegen Sklaverei und Unterdrückung einsetzte.

1847 wurden die Anführer eines geplanten Aufstandes in der von Preußen besetzten Provinz Posen verhaftet und in Moabit inhaftiert. In den demokratischen und liberalen Kreisen, in denen Humboldt verkehrte, regte sich Mitgefühl für die polnischen Gefangenen. Sie erreichten beim preußischen König, dass das Todesurteil für den Anführer Ludwik Mieroslawski in lebenslängliche Haft umgewandelt wurde. Die Revolution vom März 1848 führte dann zur Befreiung der polnischen Patrioten – durch königliches Dekret vom 20. März wurden Mieroslawski und die übrigen 254 Polen in Freiheit entlassen.

Am 21. März nach den Barrikadenkämpfen schrie die Menge auf dem Berliner Schlossplatz nach dem rhetorisch begabten Gelehrten, weil die Minister in ihren Ausführungen so blass blieben. Humboldts Antwort auf dem Schlossbalkon war kurz und äußerst prägnant. Er hielt keine Rede und verbeugte sich nur stumm vor der Menge. Am Folgetag reihte sich der bald Achtzigjährige in den Trauerzug, der die 183 Märzgefallenen vom Gendarmenmarkt am Schloss vorbei zu ihrer Begräbnisstätte geleitete ein. Friedrich Wilhelm IV. huldigte den Gefallenen auf dem Weg zum Friedhof der Märzgefallenen.

Erinnerung heißt zugleich vorausblicken und Zukunft mitgestalten. Deshalb soll dieser Ort, an dem wir jetzt stehen, zukünftig noch besser an die Märzrevolution erinnern. Ich bin sehr froh darüber, dass sich der Paul-Singer-Verein mit den Abgeordneten Herrn Dr. Andreas Köhler und Frau Dr. Susanne Kitschun an der Spitze dafür engagiert, den Friedhof der Märzgefallenen zu einer Gedenkstätte zu entwickeln. Es soll ein Ort demokratischen Lernens werden. Dazu gehören ein Informationszentrum und die bauliche Instandsetzung der Anlage. Ausstellungstafeln sowie multimediale Angebote sollen die Geschichte dieses historischen Ortes und die geplanten Maßnahmen erklären. Ich freue mich sehr darüber, dass dieses wichtige Vorhaben von der Lottostiftung des Landes Berlin finanziert wird. Die Neugestaltung des Friedhofs soll übrigens nicht nur von einem Expertengremium erarbeitet werden. Auch interessierte Bürger und Bürgerinnen sind zur Diskussion eingeladen.

Ich danke Volker Schröder und seinem Team von der Aktion 18. März für die Organisation dieser Feierstunde. Ich freue mich darauf, dass nachher hier der Abiturient Lars Braun zu Wort kommt, der sich an der Droste-Hülshoff-Oberschule im Leistungskurs Geschichte mit der Märzrevolution auseinandergesetzt hat.

Ich danke dem Paul-Singer-Verein dafür, dass er in den Räumlichkeiten des Jugendklubs KoCa die Ausstellung „Mythos und Symbol“ zur Märzrevolution zeigt. Der Friedhof der Märzgefallenen erklärt sich nicht von selbst, vor allem nicht für Jugendliche. In einem Workshop haben Schüler des Kreuzberger Leibniz-Gymnasiums deshalb so genannte „Audioguides“ für die Selbsterkundung des Friedhofes erarbeitet. Außerdem hat der Paul-Singer-Verein eine Ausstellung über den Friedhof erstellt, die im Jugendklub parallel zu den öffentlichen Führungen auf dem Friedhof zu sehen ist.

Das Gedenken an die Toten, vor denen wir uns verbeugen, schließt das Denken an zukünftige Generationen mit ein. Wir hoffen und wünschen uns, dass die Jugend von heute auch morgen den Mut hat, weiter zu kämpfen für Demokratie, Freiheit und soziale Gerechtigkeit.

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