Rede des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Walter Momper zur Eröffnung der Ausstellung „100 Jahre Internationaler Frauentag“
23.02.2011 17:00, Abgeordnetenhaus
Walter Momper 23.02.2011, Abgeordnetenhaus
- Es gilt das gesprochene Wort. -
Am 8. März 2011 feiern wir in Deutschland den 100. Internationalen Frauentag. Der 8. März ist der Tag, an dem Frauen in aller Welt ihr Recht auf Gleichberechtigung einfordern. Der deutschen Sozialistin und Feministin Clara Zetkin verdanken wir diese Initiative, die bis heute nichts von ihrer Aktualität verloren hat. Sie brachte auf der Zweiten Internationalen Frauenkonferenz im Jahre 1910 den Antrag ein, einen solchen Frauentag festzusetzen.
Als Chefredakteurin der sozialdemokratischen Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“ entwickelte Clara Zetkin ab 1891 in ihren Beiträgen eine große emanzipatorische Kraft, die sie zur Vordenkerin und Organisatorin der sozialistischen Frauenbewegung machte.
Die beiden beherrschenden Themen des 1. Frauentags in Deutschland waren die Einführung des Arbeitsschutzes für Frauen und Kinder und die Forderung nach dem Wahlrecht für Frauen. Dafür gingen 1911 über eine Million Frauen auf die Straße.
Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges wurde auch das Kaiserreich hinweggefegt. Der Rat der Volksbeauftragten erließ ein neues Wahlrecht. Am 19.Januar 1919 bei den Wahlen zur verfassungsgebenden Nationalversammlung war es endlich soweit: Die Frauen hatten das aktive und passive Wahlrecht! Die Weimarer Republik schrieb das Frauenwahlrecht in ihre Verfassung. Wie schwer der 100jährige Kampf der Frauen um ihre politischen Rechte war, lässt sich daran ermessen, dass das Frauenwahlrecht in Lichtenstein erst 1984 eingeführt wurde!
100 Jahre Internationaler Frauentag – das bedeutet nicht nur den Blick zurück zu richten, sondern auch Bilanz zu ziehen. Auf dem Weg zur Gleichstellung von Frauen und Männern sind wir ein gutes Stück voran gekommen:
Die jungen Frauen sind besser ausgebildet denn je. Mädchen sind besser in der Schule als Jungen. Mehr Frauen als Männer beginnen ein Studium. 59% aller Hochschulabsolventen sind Frauen. Aber: Frauen verdienen in Deutschland 23 % weniger als Männer in vergleichbaren Positionen. Damit liegt Deutschland unter den 27 Staaten der Europäischen Union auf einem der hinteren Plätze. Deshalb ist die alte Gewerkschaftsforderung „Gleiches Geld für gleiche Arbeit“ weiterhin brandaktuell.
Die Erwerbstätigenquote bei den Frauen steigt kontinuierlich an. Um Beruf und Familie miteinander in Einklang zu bringen, arbeiten Frauen allerdings häufig in Teilzeit oder in Minijobs ohne Aufstiegsmöglichkeiten. In Zahlen ausgedrückt sieht das so aus: Der Frauenanteil an den Teilzeitbeschäftigten lag 2009 bei über 83 %, bei den rund sechs Millionen geringfügig Beschäftigten sind es knapp 67 %. Frauen sind also zu einem hohen Anteil im Niedriglohnsektor beschäftigt, was ein Armutsrisiko im Erwerbszeitraum und auch später im Rentenalter beinhaltet. Hinzu kommt noch, dass es in Deutschland am gesetzlich gesicherten Mindestlohn fehlt.
Vordringliche Aufgabe von Politik für Frauen ist es deshalb nach wie vor, Frauen existenzsichernde Vollzeitbeschäftigungen zu ermöglichen und ein gesellschaftliches Klima zu erzeugen, in dem Männer und Frauen in ihrer Familienarbeit gleichermaßen anerkannt sind. Dazu gehören die flächendeckende und ausreichende Einrichtung von ganztägigen Kita- und Krippenplatzangeboten und der Ausbau von Ganztagsschulen.
Als wesentliches Element ist auch die Reform des Steuerrechts zu fordern. Das Ehegattensplitting ist am effektivsten, wenn ein Partner gar nicht oder wenig arbeitet und verdient. Das sind in Deutschland nach wie vor in der Überzahl die Frauen. Auch hier liegt die Benachteiligung in der Konsequenz bei Scheidung oder im Rentenalter einseitig bei den Frauen.
Ein anderer Missstand ist der Anteil von Frauen in Spitzenfunktionen. Man möchte meinen, bei so viel bestens ausgebildeten Frauen wäre deren Karriere unaufhaltsam. Aber: Bei den umsatzstärksten deutschen Firmen sind die Vorstandsetagen fast frauenfreie Zonen.
Laut DIW besetzen mal gerade vier Frauen neben 437 Männern einen Vorstandsposten bei den 100 führenden Unternehmen. Die Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft hat ganz augenscheinlich wenig gebracht. Zur Zeit wird über eine gesetzlich festgelegte Frauenquote gestritten.
Die gleichberechtigte Teilhabe der Frauen an der Gesellschaft ist als Auftrag im Grundgesetz verankert. Frauen dürfen heute arbeiten, auch wenn ihr Ehemann dagegen ist. Frauen dürfen ihren Namen wählen. Frauen haben viel erreicht in den letzten 100 Jahren.
Der Weg war ein mühevoller Prozess der Emanzipation. Die Differenzierung der Lebensformen über 100 Jahre hinweg hat die Beziehungen der einzelnen Generationen zueinander und innerhalb des Familienkerns verändert. Das Modell partnerschaftlichen Zusammenlebens hat die männlich dominierte Vorstellung von Ehe und Familie abgelöst. Die Frau „verdient“ nicht mehr „mit“, wie es noch vor wenigen Jahrzehnten Sprachgebrauch war, sondern sie entscheidet eigenständig die Berufswahl und - ausübung.
In unserer Gesellschaft ist die Kleinfamilie häufig durch andere Lebensformen, durch die „Patchworkfamilie“ oder die „Regenbogenfamilie“ abgelöst. Es gibt die eingetragenen Partnerschaften oder größere Familiennetzwerke, deren Mitglieder an unterschiedlichen Orten wohnen und arbeiten und aufgrund immer höher erreichbaren Lebensalters mehrere Generationen umfassen können. Neue Lebensumstände erfordern andere Rollen für den Einzelnen.
Die Ausstellung „100 Jahre Internationaler Frauentag – 100 Jahre meine eigene Geschichte“ zeigt ganz individuelle Sichten von Frauengeschichten über Generationen hinweg und vor dem Hintergrund der bewegten deutschen Geschichte. Ich bin gespannt auf die Einführung; vorher übergebe ich das Wort erst einmal an die Bezirksbürgermeisterin von Marzahn - Hellersdorf, Frau Dagmar Pohle. Bitte, Sie haben das Wort.
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