Rede des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Ralf Wieland zur Eröffnung der Ausstellung „Ravensbrück 1939-45: Christliche Frauen im Konzentrationslager“
23.05.2017 18:00, Festsaal
Es ist eine Premiere, zu der ich sie heute Abend begrüßen darf. Denn die Ausstellung „Christliche Frauen im Konzentrationslager“, die wir heute eröffnen wollen, wird hier, im Abgeordnetenhaus von Berlin, erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Damit setzen wir eine lange und gute Tradition fort. Immer wieder hatten und haben wir hier im Abgeordnetenhaus Ausstellungen zu Gast, die sich mit der Geschichte des Nationalsozialismus auseinandersetzen. Ich denke hier u. a. an die Ausstellungen über jüdische Kinder im Untergrund, über die Lagerbordelle oder über die Bücherverbrennung, die in den letzten Jahren gezeigt werden konnten. Ich denke auch an unser Jugendforum denk!mal, bei dem alljährlich viele junge Menschen ihre Projekte in Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus präsentieren. (Darunter sind übrigens immer wieder auch beeindruckende Projekte, die sich mit dem KZ Ravensbrück beschäftigen.) Dass wir uns immer wieder mit der Geschichte der NS-Diktatur auseinandersetzen, liegt auch in der Geschichte dieses Hauses begründet. Denn der ehemalige Preußische Landtag steht als Bauwerk nicht nur für die demokratischen Traditionen der deutschen Geschichte. Dieses Gebäude ist ebenso mit der Zerstörung der Weimarer Demokratie und mit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verbunden. Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler wurde der Preußische Landtag als Gremium demokratischer Volksherrschaft „gleichgeschaltet“ und schließlich am 14. Oktober 1933 aufgelöst. Der berüchtigte „Volksgerichtshof“ tagte hier in diesem Gebäude, bevor es von Hermann Göring in ein „Haus der Flieger“ umgewandelt und der einstige Plenarsaal zum Tanzboden wurde. Zahlreiche Abgeordnete des Preußischen Landtages fielen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zum Opfer. Unter ihnen war – um nur einen von vielen Namen zu nennen – auch der Zentrumspolitiker Bernhard Letterhaus. Als führendes Mitglied des katholischen Widerstandes wurde er 1944 hingerichtet. Heute ist einer unserer Sitzungssäle nach ihm benannt. Als demokratisches Verfassungsorgan haben wir eingedenk dieser Geschichte eine besondere Verantwortung, an die Jahre der Diktatur und Gewalt zu erinnern. Wenn wir uns an unsere Geschichte erinnern, sehen wir, dass Demokratie nichts Selbstverständliches ist. Ausstellungen wie die heute zu eröffnende, geben uns die Gelegenheit dazu. Die Ausstellung „Ravensbrück 1939-45: Christliche Frauen im Konzentrationslager“ zeichnet die Lebenswege von 13 Frauen nach, die Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime leisteten. Sie unterrichteten jüdische Kinder, denen der Besuch öffentlicher Schulen verboten war. Sie nahmen Verfolgte in ihren Häusern auf und knüpften Kontakte zu Widerstandsgruppen. Sie vervielfältigten regimekritische Schriften oder halfen geflohenen Kriegsgefangenen. Es waren starke Persönlichkeiten, die sich ein Leben lang für ihre Überzeugungen einsetzten. Vor 1933, während der NS-Zeit und – so sie das KZ überlebt hatten – auch danach. Sie praktizierten Solidarität und Nächstenliebe über Glaubens- und Ländergrenzen hinweg. Sie fühlten sich Werten verpflichtet, die auch heute noch aktuell sind, wie ich meine. Unabhängig davon, ob wir uns zum Christentum, zum Islam, zum Judentum, zu einer ganz anderen oder zu gar keiner Religion bekennen. Ich denke hier besonders an die humanistische Idee des solidarischen Miteinanders, der Hilfe für verfolgte und ausgegrenzte Menschen. Wir sind sicher nicht falsch beraten, wenn wir uns auch heute von dieser Idee leiten lassen. Das mutige Handeln dieser aus Frankreich, Italien, Deutschland, Polen und den Niederlanden stammenden christlichen Frauen zeigt nicht zuletzt, dass Humanität keine nationale, sondern eine europäische Angelegenheit ist. Auch das sollten wir nicht vergessen. Dass wir uns heute so plastisch an Katharina Staritz, Cornelia ten Boom, Józefa Kantor und 10 weitere verfolgte Frauen erinnern können, ist das Verdienst der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück. Vielen Dank, Frau Dr. Eschebach und Frau Dr. Arend mitsamt Ihrem Team, für diese beeindruckende und bewegende Ausstellung. Besonders freue ich mich, dass der Sohn der französischen Widerstandskämpferin Yvonne Pagniez zu uns gekommen ist und nachher noch zu uns sprechen wird. Ein herzliches Willkommen noch einmal an Sie, Herr Pagniez. Mein Dank geht auch an Frau Bjelfvenstam, die uns in einer Zitatcollage einen Einblick in die religiöse Praxis im Konzentrationslager Ravensbrück geben wird. Abschließend möchte ich auch Ihnen, Frau Kießling, für die musikalische Begleitung unseres Abends danken. Ihnen allen danke ich für Ihre Aufmerksamkeit und darf nun Frau Dr. Eschebach an das Rednerpult bitten.