Rede des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Ralf Wieland zur Eröffnung der Ausstellung "Denkmalschutz & Barrierefreiheit"
05.09.2017 18:00, Festsaal
Ich freue mich, Sie in einem der schönsten Räume des Abgeordnetenhauses von Berlin begrüßen zu können. Wir wollen unser Augenmerk am heutigen Abend jedoch nicht auf die Schönheit dieses Saales richten, sondern auf eine besonders wichtige und besonders sehenswerte Ausstellung. Es ist eine Ausstellung, die öffentliche Aufmerksamkeit verdient und die diese Aufmerksamkeit auch schon gefunden hat. Davon zeugt die Verleihung des renommierten Preises der Europäischen Union für das Kulturerbe, der in diesem Jahr unter anderem an die Ausstellung „Denkmalschutz & Barrierefreiheit“ ging. Umso mehr freue ich mich, dass wir diese preisgekrönte Ausstellung nun im Abgeordnetenhaus von Berlin möglichst vielen Besucherinnen und Besuchern zugänglich machen können. Es geht in dieser Ausstellung um die Frage, wie sich der Anspruch der Barrierefreiheit mit den Belangen des Denkmalschutzes verbinden lässt. Wie können wir herausragende bauliche Zeugnisse der deutschen und insbesondere der Berliner Geschichte für alle Menschen zugänglich machen? Dass wir es können – dafür steht stellvertretend auch dieses Gebäude. Erlauben Sie mir deshalb an dieser Stelle einige Worte zum Denkmalschutz und zur Barrierefreiheit im Abgeordnetenhaus von Berlin. Als dieses Haus Anfang der 1990er Jahre für die Nutzung als Abgeordnetenhaus der wieder vereinigten Stadt hergerichtet wurde, waren uns zwei Dinge besonders wichtig: Zum einen sollte die historische Bausubstanz des Ende des 19. Jahrhunderts errichteten Parlamentsgebäudes denkmalgerecht wiederhergestellt werden. Dabei sollten die architektonischen Spuren der NS-Herrschaft, des Zweiten Weltkrieges und der nachfolgenden Nutzung durch die DDR zumindest teilweise sichtbar bleiben. Zugleich galt es, den Erfordernissen eines modernen Parlamentsbetriebes Rechnung zu tragen. Dies ist, wie wir fast 25 Jahre nach dem Einzug in dieses Haus konstatieren können, weitgehend gelungen. Und noch etwas war uns wichtig, als es darum ging, dieses Haus nach sechs Jahrzehnten zweckentfremdeter Nutzung wieder zu einem Haus der Demokratie zu machen: Es sollte ein offenes Haus sein. Nicht nur eine Arbeitsstätte für Politikerinnern und Politiker, sondern ein Haus für alle Berlinerinnen und Berliner ebenso wie für die Gäste unserer Stadt. Dazu zählen selbstverständlich auch jene Besucherinnen und Besucher, die auf barrierefreie Zugänge angewiesen sind. Heute haben wir ein in weiten Teilen barrierefreies Haus, was die Zugänglichkeit für Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer angeht. Komplett barrierefrei ist unser Haus jedoch noch nicht. Aber wir arbeiten daran. So werden beispielsweise im kommenden Jahr weitere Rollstuhlplätze für Besucherinnen und Besucher im Plenarsaal geschaffen. Zudem haben wir Experten mit einer Bestandsaufnahme unseres Hauses unter Inklusionsgesichtspunkten beauftragt. Die Ergebnisse dieser Bestandsaufnahme werden zu weiteren baulichen Verbesserungen führen. Gut bestellt ist es schon heute um unseren Internetauftritt: 2014 wurde unsere Webseite im Rahmen des renommierten BITV-Testverfahrens als barrierefrei zertifiziert. Darüber freue ich mich besonders. Denn ein Großteil unserer Besucherinnen und Besucher kommt heute über die Datenleitungen des World Wide Web zu uns. Wie wichtig das Thema Barrierefreiheit für unsere gesamte Gesellschaft ist, zeigt ein Blick auf die Zahlen: Weltweit leben mehr als eine Milliarde Menschen mit einer Behinderung. In Deutschland sind es mehr als 10 Millionen Menschen, also ca. 13 Prozent der Gesamtbevölkerung. Darüber hinaus sind auch zahlreiche Menschen ohne Behinderung auf eine barrierefreie Umgebung angewiesen. Ich denke hier insbesondere an ältere Menschen. Immerhin leben in Berlin derzeit mehr als 650.000 Menschen, die älter als 65 sind. Viele von ihnen sind in ihrer Mobilität eingeschränkt. Oder, besser gesagt: Viele von ihnen könnten deutlich mobiler sein, wenn sie nicht allenthalben auf Hindernisse stoßen würden. „Die Hauptstadt muss für die Zukunft altersgerecht und barrierefrei werden“, schrieb die Berliner Morgenpost vor einigen Wochen. Das kann ich nur unterstreichen. Berlin ist eben nicht nur jung und hipp. Und wer es heute ist, wird es nicht ewig bleiben. Von Mobilitätseinschränkungen sind aber nicht nur ältere Menschen betroffen. Auch Kindern und jungen Eltern kommt eine barrierefreie Infrastruktur zugute. Schätzungen gehen davon aus, dass 10 % der Bevölkerung auf Barrierefreiheit angewiesen sind und 40 % sie als notwendige Unterstützung brauchen. Barrierefreiheit kann und darf also kein Nischenthema sein. Denn es geht um die Bewegungsfreiheit, Selbständigkeit und Teilhabe von Millionen von Menschen. Und es geht um die Frage, in welcher Form von Gesellschaft wir leben wollen. Wie viel ist uns größtmögliche Teilhabe für alle, unabhängig von ihrer körperlichen und geistigen Verfassung oder ihrem sozialen Status, wert? Wie können wir das im Grundgesetz verankerte Benachteiligungsverbot für behinderte Menschen bestmöglich umsetzen? Heute Abend haben wir Gelegenheit, über diese und andere Fragen miteinander zu sprechen. Zunächst auf dem Podium und im Anschluss bei einem kleinen Empfang in der Wandelhalle, zu dem ich Sie jetzt schon herzlich einladen möchte. Vielen Dank, Frau Bentele, dass sie als Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen an unserer Podiumsdiskussion teilnehmen. Vielen Dank auch an Sie, Frau Dr. Odenthal, dass sie den Platz von Herrn Prof. Haspel, der kurzfristig absagen musste, einnehmen werden. Frau Müller von der TU Berlin und Frau Stude von der Koordinierungsstelle Barrierefreies Bauen ergänzen unser Podium, das von Sigrid Hoff fachkundig moderiert werden wird. Vielen Dank auch an Sie. Nicht zuletzt möchte ich auch denjenigen danken, die die heute zu eröffnende Ausstellung konzipiert und mit viel Geschick und Fingerspitzengefühl umgesetzt haben. Es sind Studierende des Fachbereichs Modell + Design der TU Berlin. Einige von Ihnen sind heute bei uns. Herzlich Willkommen. Ein besonderes Dankeschön geht schließlich auch an Margitta Jakob und Martin Talir, die unseren Abend musikalisch begleiten. Zusammen sind sie das inklusive Duo „Handiclapped Band light“. Am Anfang haben wir sie mit einer Eigenkomposition gehört. „Inklusion rockt!“ hieß der programmatische Titel. Am Schluss werden wir sie noch einmal mit zwei Titeln hören: „Mensch“ von Herbert Grönemeyer und anschließend „Vom selben Stern“ von Ich & Ich. Ich wünsche uns allen einen gewinnbringenden Abend, bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und darf nun Herrn Dr. Wöhlert an das Rednerpult bitten.