Rede des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Ralf Wieland zur Eröffnung der Ausstellung "anders als gedacht - Leben mit pflegebedürftigen Kindern"
12.03.2019 18:00, Wandelhalle
Wir haben uns heute hier versammelt, um eine wichtige Ausstellung zu eröffnen. Es geht um ein Thema, das in der Öffentlichkeit noch viel zu wenig bekannt ist. Es geht um Kinder und Jugendliche, die „anders als gedacht“ sind. Sie wurden mit einer mehr oder weniger schweren Krankheit geboren, sind durch eine unglücklich verlaufene Geburt oder einen Unfall behindert. Sie sind nicht so, wie ihre Eltern es erwartet haben.
Jede Mutter und jeder Vater wünscht sich ein gesundes Kind. Und dann kommt alles „anders als gedacht“. Der Traum vom Familienglück wird auf eine harte Probe gestellt. Mehr als 100.000 Kinder und Jugendliche mit teilweise erheblichem Pflegebedarf leben in Deutschland. Die meisten von ihnen werden von ihren Eltern zuhause versorgt. So können sie die Geborgenheit und Sicherheit erleben, die sie wie alle Kinder brauchen, um wachsen zu können.
Für die betroffenen Familien ist der Alltag mit einem pflegebedürftigen Kind in der Regel mit großen emotionalen, körperlichen und auch finanziellen Belastungen verbunden. Einen Eindruck davon vermittelt uns die hier zu sehende Ausstellung. Einige der heute Anwesenden werden aus eigener Erfahrung wissen, wovon die Rede ist: von der Sorge um das eigene Kind. Vom fortwährenden Hintenanstellen der eigenen Bedürfnisse und auch der eigenen Paarbeziehung und den daraus erwachsenden Konflikten. Vom aufreibenden Alltag, der durch mangelnde Unterstützung und fehlendes Verständnis des Arbeits- und Lebensumfeldes zusätzlich erschwert wird.
Und Sie werden wissen, wieviel Glück und Freude dennoch, trotz aller Anstrengungen und allen Verzichts, möglich ist. Auch Kinder, die „anders“ sind, können Glückskinder sein. Ihnen – den Eltern pflegebedürftiger Kinder – möchte ich an dieser Stelle Danke sagen. Sie leisten Großartiges. Dafür haben Sie unser aller Anerkennung und Respekt verdient. Und ich sage auch: Sie brauchen unsere Unterstützung. Sei es eine ehrlich gemeinte Geste der Anerkennung von Freunden und Arbeitskollegen. Ein Hilfsangebot unter Nachbarn. Oder, ganz besonders wichtig: gesetzliche und institutionelle Rahmenbedingungen, die Ihnen Ihre schwere Aufgabe ein Stück leichter machen. Ich erinnere hier nur an die Zielvorgabe, die in Artikel 11 der Berliner Landesverfassung formuliert wird. Dort heißt es: „Das Land ist verpflichtet, für die gleichwertigen Lebensbedingungen von Menschen mit und ohne Behinderung zu sorgen.“
Schätzungsweise 3.000 pflegebedürftige Kinder und Jugendliche leben in unserer Stadt. Es sind nicht viele und sie haben keine starke Stimme. Und genau deshalb zeigen wir diese Ausstellung nun im Abgeordnetenhaus. Denn es geht in unserer Demokratie und auch in diesem Parlament nicht nur um Mehrheiten, um Einfluss und um Stärke. Es geht auch darum, wie wir den Sozialstaatsgedanken mit Leben erfüllen und lebendig erhalten. Wie wir dafür sorgen, dass Deutschland nicht nur auf dem Papier des Grundgesetzes, sondern auch im Alltag ein „sozialer Bundesstaat“ ist. Wie wir mit jenen Menschen umgehen, die sich nicht in unser gewohntes Raster von Leistung und Erfolg einpassen lassen. Dafür braucht es zunächst einmal Aufmerksamkeit. Es braucht Aufmerksamkeit für die besonderen Bedürfnisse von Menschen, die in irgendeiner Weise „anders“ sind , ebenso wie für die Bedürfnisse ihrer Angehörigen.
Und deshalb braucht es diese Ausstellung, für die ich der Fachstelle MenschenKind und namentlich Ihnen, sehr geehrte Frau Borrmann und sehr geehrte Frau Eisenhardt, herzlich danken möchte. Ich wünsche Ihrer Ausstellung zahlreiche Besucherinnen und Besucher hier im Abgeordnetenhaus und auf allen weiteren Stationen ihrer hoffentlich langen Wanderschaft durch ganz Deutschland.
Danken möchte ich auch den betroffenen Familien, die den Ausstellungsmachern und damit uns allen Einblick in ihre Lebensumstände gegeben haben. Die Ausstellung berichtet über Sie und Ihre Kinder. Sie ist aber auch in enger Kooperation mit Ihnen entstanden.
Zu guter Letzt möchte ich Ihnen noch das Duo Marcato vorstellen, das unser Vernissage musikalisch begleitet. Am Anfang haben wir den „Libertango“ von Astor Piazolla gehört. Am Ende folgt ein Stück, das Sie sicher alle kennen. Heute hören Sie es einmal auf der Gitarre – das „Rondo alla turca“ von Mozart.
Zuvor möchte ich aber noch Sie, sehr geehrter Herr Dusel, an das Rednerpult bitten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.