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Blick in den Plenarsaal und hauptsächlich die Flaggen für Deutschland, Berlin und Europa
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Rede des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Ralf Wieland zur Einbürgerungsfeier

23.11.2017 18:00, Festsaal

Lassen Sie mich gleich am Beginn des heutigen Abends ein Geständnis machen: Ich bin es ja gewohnt als Präsident des Landesparlaments hier im Abgeordnetenhaus viele Gäste zu begrüßen. Aber die alljährliche Einbürgerungsfeier ist auch für mich immer wieder ein besonderer Moment. Daher freue mich, dass Sie heute in unser Parlamentsgebäude gekommen sind, damit wir gemeinsam Ihre Einbürgerung feiern.

Herzlich willkommen. So eine Einbürgerung ist ja für beide Seiten ein feierlicher Anlass: Für Sie, weil Sie nun deutsche Staatsbürger sind. Und für uns, die wir länger eingebürgert sind oder schon von Geburt an Deutsche sind, weil wir neue Bürgerinnen und Bürger gewinnen, die sagen: Ich bekenne mich zu Deutschland als meiner neuen Heimat. Ich bekenne mich zu diesem Land, zu dieser Stadt, weil ich mir hier wohlfühle. Das ist, wie ich finde, ein schönes Bekenntnis. Selbstverständlich ist es nicht. Und deshalb freut es mich, dass Sie diesen Schritt gegangen sind. Das war nicht immer so, dass Menschen aus anderen Ländern den Deutschen und Deutschland so vertrauensvoll begegnet sind. Inzwischen hat sich aber über die Jahrzehnte gezeigt: Deutschland ist ein demokratisches Land.

Deutschland ist ein freies Land. Und Deutschland ist ein soziales Land. Jeder Mensch in seiner Einzigartigkeit kann sich bei uns entwickeln, sofern er die Grundsätze unseres Grundgesetzes akzeptiert und auch lebt. Am heutigen Abend sollen Sie im Mittelpunkt stehen – die neuen Bürgerinnen und Bürger, die sich bewusst für Deutschland als neue Heimat entschieden haben. Auch Sie haben sich im Verlauf der letzten Jahre mit der Frage auseinander gesetzt: Wo ist eigentlich meine Heimat?

Das war sicher so. Und damit berühren wir ein schwieriges Thema. Der Soziologe Heinz Bude etwa sagt, dass Heimat dem Menschen eine innere Schwerkraft verleihe. Ich finde, das ist eine schöne Beschreibung. Einerseits sorgt die Schwerkraft dafür, dass wir am Boden bleiben. Andererseits hat die Schwerkraft aber auch zur Folge, dass wir nicht auf alle Zeiten ganz fest an etwas gebunden sind. Trotz Schwerkraft kann Bewegung entstehen, was in unserem Fall heißen kann: Ein Mensch kann durchaus mehr als nur eine Heimat haben. Ich habe das selbst erfahren.

Geboren wurde ich in Niedersachsen, später dann bin ich aufgewachsen in Rheinland-Pfalz. Und heute lebe ich bereits seit 40 Jahren in Berlin. Ich muss, so glaube ich, nicht betonen, wo meine innere Schwerkraft mich verortet. Wer mich heute also fragen würde, wo meine Heimat ist, dann sage ich natürlich Berlin.

Unsere Stadt Berlin war schon immer eine Einwanderungsstadt. „Echte“ Berliner trifft man in Berlin eher selten. Dieser Trend hat sich nach der Maueröffnung nochmals beschleunigt.

Heute können wir mit Fug und Recht behaupten: Berlin ist eine offene, lebensfrohe Stadt mit starkem internationalen Flair. Viele Menschen aus Nah und Fern kommen hierher, auch weil sie davon überzeugt sind, in Berlin eine interessante Perspektive zu finden. Herausragende wissenschaftliche Einrichtungen locken. Innovative Unternehmen und Startups ziehen die kreativen Menschen an. Wir alle spüren das, denn die Straßen und die Züge werden voller, selbst auf den Bürgersteigen werden ständige Ausweichmanöver zur Regel.

Und es gibt inzwischen zu wenige Wohnungen, um allen Menschen – je nach Einkommen – die entsprechende Wohnung bieten zu können. Umso wichtiger wird es in Zukunft sein, Berlin und weite Teile Brandenburgs als Metropolregion zu sehen. Berlins Entwicklung ist rasant, zu rasant, um alle Probleme alleine lösen zu können. Wir brauchen, wie wir am Beispiel anderer Metropolen sehen können, intakte Stadt-Umlandbeziehungen, um dem Veränderungsdruck entsprechen zu können. Es ist ja heute schick geworden, Berlin zu kritisieren. Vor allem wird bemängelt, dass die Infrastruktur nicht ausreicht.

Lassen Sie mich bitte, hierzu ein paar Sätze sagen. Was viele nicht wissen: Seit dem Fall der Mauer wurde viel Geld ausgegeben, um die Stadt wieder zu vereinen. Wir hatten hier zwei voneinander strikt getrennte Stadthälften. Die Verkehrsinfrastruktur musste zusammengeführt und modernisiert werden. Wohnungen, vor allem Sozialwohnungen, wurden gebaut.

Ein enormes Sanierungsprogramm in den östlichen Bezirken musste umgesetzt werden, damit die alten Wohnhausbestände vor dem endgültigen Verfall gerettet werden konnte. All dies hat etliche Milliarden gekostet. Und gleichzeitig wurde an anderer Stelle gespart, so dass zum Beispiel viele Schulen nicht mehr fachgerecht baulich unterhalten wurden. Am Ende hatte Berlin einen Schuldenberg von über 60 Milliarden Euro angehäuft, der die Stadt finanziell zu ruinieren drohte.

Und so gab es nur eine politische Entscheidung, um die Pleite Berlins zu verhindern: Der Spardruck musste nochmals erhöht werden und konnte erst ab 2011, auch dank besserer wirtschaftlicher Entwicklung, gelockert werden. Erst der heutige Senat kann wieder mehr Geld für Investitionen ausgeben. Das ist eine Folge der deutlich verbesserten Steuereinnahmen Berlins. Die Stadt nimmt teil am allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung Deutschlands. Zum ersten Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945.

Und das bedeutet: Berlin ist wieder eine Stadt mit einer eigenen Zukunftsperspektive. Wann immer wir aber von den Verantwortlichen der Stadt große Sprünge erwarten, die schwierige Vergangenheit Berlins sollten wir in unseren schnellen Urteilen nicht außer Acht lassen. Aber ich denke, ich muss Sie gar nicht überzeugen. Sie haben sich für Berlin und die deutsche Staatsbürgerschaft entschieden. Natürlich: Es hat sicher Zeit gebraucht, bis Sie die neue Berliner Heimat als heimelig, also behaglich empfunden haben. Dabei war es bestimmt hilfreich, dass Sie den Versuch unternommen haben, sich zu integrieren in der deutschen Gesellschaft. Es lohnt sich, nicht nur abzuwarten, sondern aktiv auf andere zuzugehen, Aufgaben zu übernehmen und sich zu engagieren. Sei es in der Nachbarschaft, sei es in der Schule, sei es im Verein, sei es am Arbeitsplatz oder vielleicht sogar in der Politik.

Auch das gehört ja zu den neuen Möglichkeiten, die Ihnen die deutsche Staatsbürgerschaft eröffnet: Sie können jetzt hier wählen und sich wählen lassen und politisch daran mitwirken, unser Land noch besser zu machen. Zahlreiche Abgeordnete des Bundestages und des Abgeordnetenhauses haben familiäre Wurzeln im Ausland. Zur Feier unseres Grundgesetzes hat ein Deutscher mit iranischen Eltern die Rede im Bundestag gehalten. Ein im irakischen Mossul geborener Designer, der seine Abschlussarbeit über neue arabische Schriften verfasste, hat maßgeblich das Corporate Design der Bundesregierung erarbeitet. Sogar unsere Schriftsteller, die sich wie wohl niemand sonst mit der deutschen Sprache auskennen, sind häufig ausländischer Herkunft. Ilija Trojanow oder Natascha Wodin – sie beide haben zum Beispiel den bedeutenden Leipziger Buchpreis erhalten.

Meine Damen und Herren,

Heimat bedeutet auch, zu wissen, was noch besser werden muss, und sich darüber zu ärgern, dass das oft so lange dauert. Das ist in Ihrer neuen Heimat auch so. Deutschland ist ein friedliches, wohlhabendes, liebenswertes und demokratisches, aber kein perfektes Land. Es gibt viele Herausforderungen zu bewältigen. Das funktioniert am besten, wenn möglichst viele gemeinsam anpacken. Wir zählen auf Sie. Deutschland braucht Frauen und Männer mit Ideen und Energie. Wer sich einbringen will, mehrere Sprachen spricht und sich in verschiedenen Kulturen auskennt, ist gefragt – als Fachkraft in Betrieben und Unternehmen, als Erzieher oder Lehrer, als Polizist oder als Mitarbeiter in Behörden. Ganz besonders suchen und fördern wir junge Frauen, weibliche Führungskräfte und Mütter, die nach der Erziehungszeit wieder voll im Beruf einsteigen wollen. Und das soll so bleiben.

Meine Damen und Herren,

Woanders heimisch zu werden, heißt auch, sich wohlzufühlen und in einer Gesellschaft anzukommen, die für einen selbst wichtig geworden ist. Eine Person, die diesen Prozess seit mehr als zwei Jahrzehnten erlebt hat, ist unsere heutige Festrednerin Gayle Tufts. Jede Berlinerin, jeder Berliner kennt sie aus Funk und Fernsehen. Das Magazin „Stern“ nannte sie die „bekannteste in Deutschland lebende Amerikanerin“. Und ich freue mich, dass sie heute zu uns gekommen ist, um uns darüber aufzuklären, weshalb sie Deutsche geworden ist.

Herzlich willkommen, Frau Tufts. Schön, dass Sie da sind. Seit Anfang der 90er Jahre lebt Gayle Tufts fest in Deutschland. Doch sie schafft es mühelos, uns gegenüber so zu tun, als wäre sie nur kurz nach Deutschland gekommen, um uns zu erzählen, warum wir so komisch und anders sind als andere. Wie Sie deutsche Gewohnheiten ‚auf’s Korn nehmen‘, das  ist einzigartig, liebe Gayle Tufts. Und wie Sie uns Amerika erklären in Ihrem Denglish – das ist einfach nur toll. Aber dafür lieben wir Sie ja.

Ich bin mir sicher, wir werden gleich gespannt an Ihren Lippen kleben, damit wir aus erster Hand erfahren, was Sie dann doch am Ende bewogen hat, Deutsche zu werden.

Meine Damen und Herren,

begrüßen Sie jetzt also mit mir die charmante und dennoch scharfzüngige Entertainerin Gayle Tufts. Vielen Dank.