Rede des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Ralf Wieland anlässlich des festlichen Abendessens für die Verfassungsrichterinnnen und -richter
12.05.2017 19:30, Festsaal
Ich freue mich, Sie heute im Abgeordnetenhaus von Berlin begrüßen zu können. Und ich freue mich, dass Sie meiner Einladung zum Empfang gefolgt sind. Meistens ist es ja umgekehrt. Wir Parlamentarier werden bei Verfassungsklagen in Ihre Gerichtsgebäude geladen. Das ist der Normalfall. Insofern ist es etwas Besonderes, dass so viele Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Verfassungsgerichte auf einmal ein Parlamentsgebäude besuchen – auch wenn es dabei um einen eher geselligen Anlass geht. Unabhängige Gerichte sind allein dem Recht verpflichtet, keiner Staatsführung, auch keiner Ideologie oder Idee. Sie sind unverzichtbarer Teil eines Rechtsstaates. Für diese Unabhängigkeit und den Rechtsstaat insgesamt ist aber auch ein zweites Element ganz wesentlich. Ich möchte es einmal mit „Haltung“ charakterisieren. Oder ich kann auch sagen, um einen Begriff von Dolf Sternberger aufzugreifen: es ist ein ehrlicher ‚Verfassungspatriotismus‘ vonnöten. Er bildet sich aus der Rechtstreue der Bürger und der Rechtstreue der Rechtsanwender – der Richter, der Staatsanwälte, der Rechtsanwälte und der Verwaltungsbeamten. Es ist ihr Ethos, das geltende Recht richtig anzuwenden. Das ist deshalb so wichtig zu erwähnen, weil wir in Deutschland eine zweifache Geschichte des Rechtsverlustes zu konstatieren hatten. Wir haben in Deutschland erlebt, wie Juristen zu Handlangern der herrschenden Macht wurden. Wie Recht pervertiert wurde. Dafür steht leider auch dieses Gebäude. Einmal durch die Entmachtung der preußischen Staatsregierung unter Otto Braun im Jahre 1932, die durch eine zweifelhafte Notverordnung durch den Reichspräsidenten von Hindenburg möglich wurde. Sie paralysierte auch den frei gewählten Preußischen Landtag. Und dann natürlich zum Zweiten durch die Gründung eines Volksgerichtshofs, der zunächst hier von Juli1934 bis zum Frühjahr 1935 tagte. Viele ungerechte Urteile, ja auch Todesurteile, wurden in diesem Haus gefällt. Allerdings der unglaublich cholerische und menschenverachtende Freisler ist diesem Haus erspart geblieben. Dafür hatte sich Hermann Göring in dieses Haus ‚verguckt‘. Es lag ja in unmittelbarer Nähe zum Reichsluftfahrtministerium, dem heutigen Bundesfinanzministerium in der Wilhelmstraße, in dem Göring ab 1936 als Minister residierte. Und da der Preußische Landtag nicht mehr existierte, nahm Göring auch dieses Gebäude in Besitz, um es zum ‚Haus des Fliegers‘ umzuwidmen. Das Herzstück dieses Hauses, der Plenarsaal, wurde zum aufwendigen Ballsaal umgebaut. Rauschende Feste fanden hier statt, mit bis zu 3000 Gästen. In der Zeit der DDR fristete der einstige Preußische Landtag ein ‚Mauerblümchen-Dasein‘. Spätestens ab 1961 war es dann wirklich so, denn die Grenze zum amerikanischen Sektor verlief auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Der Martin-Gropius-Bau lag schon im Westen Berlins. Damit war klar: Die DDR konnte mit diesem Gebäude nicht wirklich etwas anfangen. Zwar gab es immer wieder Anläufe, das Haus repräsentativ wiederzubeleben. Sie alle verliefen jedoch im Sande. Gänzlich ungenutzt und leer blieb das ehemalige preußische Parlamentsgebäude allerdings nicht. Das oberste Stockwerk und das Dach nutzte die Staatssicherheit für diverse Abhörvorrichtungen gen Westen. Und in den fünfziger Jahren – das Gebäude hieß nun ‚Haus der Ministerien II‘ - wurde hier das Ministerium für Land- und Forstwirtschaft der DDR untergebracht, und zwar zusammen mit der Plankommission, die dann ab 1961 das gesamte Haus übernahm. Denn das Landwirtschaftsministerium zog aus. Es ist schon interessant, dass zwei wichtige staatliche Lenkungseinrichtungen der Planwirtschaft hier beheimatet waren. Die Zwangskollektivierung der DDR-Bauern und die Umsetzung der Planwirtschaft waren zwei tragende Säulen der Ökonomie eines kommunistischen Staates. Und so lässt sich festhalten: In diesem ehemaligen Preußischen Landtag war die wirtschaftliche Leitzentrale der DDR untergebracht. Hier wurden Entscheidungen gefällt, die auch die soziale Lage der DDR-Bevölkerung bestimmten. Mit dem Zusammenbruch der DDR und mit der Wiedervereinigung der Stadt stand dieses Gebäude auf einmal wieder ohne Funktion da. Es war einer meiner Vor-Vorgänger, der Präsident Jürgen Wohlrabe, der die Idee entwickelte, wieder an die demokratische und parlamentarische Tradition des Hauses anzuknüpfen. Er konnte die damalige Vorsteherin der Ost-Berliner Stadtverordnetenversammlung Christine Bergmann für diese Idee gewinnen. Beide schafften es dann, die Parlamentarier auf beiden Seiten davon zu überzeugen, dass das neue Gesamtberliner Parlament im Preußischen Landtag eine neue Heimat findet. Nach aufwendigen Restaurierungs- und Umbauarbeiten konnte das erste frei gewählte Gemeinsame Berliner Abgeordnetenhaus feierlich am 23. April 1993 seine Arbeit aufnehmen. Die Bauarbeiten liefen reibungslos ab, der Zeitplan wurde eingehalten. Das war auch der resoluten Abgeordnetenhauspräsidentin Hanna-Renate Laurien zu verdanken. Meine Damen und Herren, was haben Politiker und Verfassungsrichter gemeinsam auszuhalten? Natürlich jeder auf seinem Gebiet. Ich möchte sagen: die öffentliche Kritik. Sie alle haben es schon erlebt: Sie müssen sich der Kritik an Ihren Urteilen stellen. Aber das gehört zum Rechtsstaat und zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Und auch wenn hier und da Kritik laut wird, ich glaube schon sagen zu können: Das Vertrauen der Bevölkerung in unsere Verfassungsgerichte ist groß. Zu Recht. Denn jeder kann erkennen, dass Sie es sich nie leicht machen in Ihrer Urteilsfindung. Umgekehrt ist es genau diese Akribie, die das Vertrauen bedingt. Eine unabhängige Justiz braucht unabhängige Richterinnen und Richter. Das ist die Grundlage unserer Demokratie, die auf der Gewaltenteilung beruht. Wir alle können stolz sein, dass unsere föderale Demokratie seit nun bald siebzig Jahren erfolgreich besteht. Wir leben in einem intakten Rechtsstaat. Und das ist nicht zuletzt das Verdienst der Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter in unserem Land. Dafür sage ich gerne: Herzlichen Dank. Ich darf nun unsere Verfassungsgerichtshofpräsidentin Frau Schudoma ans Rednerpult bitten.