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Blick in den Plenarsaal und hauptsächlich die Flaggen für Deutschland, Berlin und Europa
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Rede des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Ralf Wieland anlässlich des 30-jährigen Jubiläums des Anti-Kriegs - Museums

02.05.2012 18:00, Brüsseler Straße in Berlin-Mitte

-Es gilt das gesprochene Wort-

„Neuer Saft in den Graswurzeln“, so lautete die Überschrift eines Leitartikels in der „Zeit“ im Mai 1986. Mit „Graswurzeln“ gemeint waren Basisbewegungen, die damals in allen Bereichen der Gesellschaft heranwuchsen. Dazu zählten Umweltschützer genauso wie Friedensgruppen, Fraueninitiativen oder Mietervereine. Überall in der Republik fanden sich historisch begeisterte Bürgerinnen und Bürger zusammen und machten das, was wir heute unter „Geschichtswerkstatt“ verstehen. Das Interesse an historischen Entwicklungen, an der Stadtteilgeschichte oder auch an der Geschichte einzelner Menschen wuchs in dieser Zeit enorm.

Ein gutes Beispiel dafür ist die 750 Jahr Feier Berlins im Jahre 1987, wo die Berliner Geschichtswerkstatt allein drei Ausstellungen zur Stadtteilgeschichte durchführte.

Geschichtsarbeit am Menschen orientiert, Geschichte als konkrete Erkundung oder, wie beim Anti-Kriegs-Museum, dessen Jubiläum wir heute alle feiern, als Anknüpfung an eine große Familiengeschichte: Zu Beginn der 80er Jahre bildeten sich viele regionale Gruppen, um das große basisdemokratische Experiment zu wagen: Sich durch die Beschäftigung mit der Vergangenheit der eigenen Wurzeln zu vergewissern und Hilfe für die eigenen Gegenwartsprobleme in den Lösungen der Geschichte zu suchen – oder: wie beim Anti-Kriegs-Museum: Lehren zu ziehen aus dem Widerstand gegen Faschismus und Intoleranz; Lehren zu ziehen aus Krieg und Vernichtung.

Wenn wir heute, am 2. Mai, das 30-jährige Jubiläum des Anti-Kriegs-Museums hier im Wedding feiern, dann liegt dieser Termin genau auf dem Jahrestag der Beendigung des Zweiten Weltkriegs. Am 2. Mai 1945 unterzeichnete der Kampfkommandant von Berlin General Helmuth Weidling in Tempelhof die Kapitulation seiner Truppen. Die Schlacht um Berlin war beendet. Die Berlinerinnen und Berliner mussten keine Angst mehr haben vor Bomben und Granatfeuer. Es war ein Tag der Befreiung für die Bevölkerung, aber auch für die Überlebenden in den Vernichtungs- und Zwangsarbeitslagern.

Der andere Termin ist der 8. Mai. Erst da war die Nazi-Barbarei endgültig besiegt.

Lieber Tommy (Gustave) Spree, dieses Anti-Kriegs-Museum ist von Ihrem Großvater Ernst Friedrich 1925 als Reaktion auf die Grauen des Ersten Weltkriegs gegründet worden. Dem Pazifisten und Kriegsgegner Ernst Friedrich, der zuerst in der Parochialstraße in Berlin-Mitte seine gesammelten Objekte von Käthe Kollwitz-Bildern bis zu Fotografien von verstümmelten Soldaten des Ersten Weltkriegs zeigte, ist es zu verdanken, dass es heute dieses Museum wieder gibt.

Das Museum von Ernst Friedrich stand bei seiner Eröffnung in der Tradition antimilitaristischer Organisationen. Dazu gehörte der ‚Friedensbund der Kriegsteilnehmer’, der Anfang der 20er Jahre 30.000 eingetragene Mitglieder zählte. Hier engagierten sich Karl von Ossietzky und Kurt Tucholsky. Einer der Initiatoren, der Journalist Karl Vetter und damals Redakteur der Berliner Volks-Zeitung, veröffentlichte 1919 den Gründungsaufruf des ‚Bundes’. Den möchte ich Ihnen jetzt gerne vorlesen, weil er auch den Anlass und den Sinn dieses Museums sehr plastisch schildert:

„Der Weltkrieg ist vorbei. Wenn er einen Sinn gehabt haben soll, kann es nur der gewesen sein, die Völker über den Aberwitz bewaffneter Auseinandersetzungen zu belehren. Auch solche gigantischen Lehren werden jedoch rasch vergessen. Es gilt, die Erinnerung an die Leiden, das Blut, den Schmerz, das unterdrückte Menschentum wachzuhalten.

Vor allem müssen sich die Kriegsteilnehmer hierfür einsetzen. Sie wissen, was Krieg heißt. Sie müssen daher mit allen Mitteln gegen den Krieg und für den Frieden kämpfen. Kriegsteilnehmer aller Länder – vereinigt euch! (...) Die Stimme der Millionen Kriegsteilnehmer, ihre sozialen und, vor allem, ihre ideellen Forderungen müssen gehört werden; die Kriegsteilnehmer sind die Berufensten, in den Dingen des Krieges mitzureden. Kriegsteilnehmer, Kameraden, kommt daher zu uns als Mitstreiter gegen Gewaltherrschaft und Völkerfrevel, gegen Chauvinismus und Politik, die für den Nutzen einzelner kostbarstes Blut aufs Spiel gesetzt hat. Krieg dem Kriege!“

Das Leitmotiv der Generation der deutschen Kriegsteilnehmer des Ersten Weltkriegs zog sich auch nach dem Zeiten Weltkrieg durch die Jahrzehnte: „Nie wieder Krieg!“ Die SPD und die Gewerkschaften unterstützen diese Bewegung.

Erst im letzten Jahr – in 2011 – stand der Anti-Kriegstag am 1. September unter dem Motto des DGB :“ Freiheit und Frieden für alle – nie wieder Krieg“.

Auch wenn der Bund der Kriegsteilnehmer nicht von langer Dauer war, so ist es ihr Anliegen bis heute geblieben. Die Bedrohung der Menschheit durch Kriegswaffen, durch chemische oder biologische Kampfstoffe, durch Langstreckenraketen – auch in den Händen von Diktatoren, all das treibt uns um.

Stichworte dazu sind der Balkankonflikt, der Golf-Krieg, Afghanistan oder die Entwicklung im Iran.

Willy Brandt hat gesagt: „Von deutschem Boden darf nie wieder ein Krieg ausgehen.“ Und ich sage: Die Opfer der Kriege verpflichten uns dazu.

Sie, lieber Tommy Spree, setzen sich seit Jahrzehnten dafür ein, dass das so ist und dass das so bleibt. Ich danke Ihnen für 30 Jahre aktive Friedensarbeit.

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