Rede des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Ralf Wieland anlässlich der Preisverleihung der "Louise-Schroeder-Medaille" an Frau Dr. Jenny de la Torre
30.04.2013 17:30, Festsaal
- Es gilt das gesprochene Wort - Immer dann, wenn wir zur Verleihung der Louise-Schroeder-Medaille zusammen kommen, gilt es zur Begrüßung an die Namenspatronin dieser Auszeichnung zu erinnern. Ich tue das gerne, denn das politische Leben Louise Schroeders weist viele Facetten auf und ist äußerst geschichtsträchtig. Louise Schroeder ist uns allen als Bürgermeisterin und Oberbürgermeisterin im Nachkriegs-Berlin in Erinnerung. In der Rückschau sehen wir sie, wie sie den Vereinnahmungsversuchen der sowjetischen und Ostberliner Machthaber die Stirn bietet, wie sie Berlin durch die Wirrnisse und Bedrohungen des einsetzenden Kalten Kriegs manövriert. Und wir sehen eine Frau, für die Sozialpolitik eine unermüdliche Antriebsfeder ihrer politischen Arbeit war. Zugleich wissen wir, dass Louise Schroeder sich dafür stark machte, Frauen den Weg in die Politik zu ebnen. Und ich bin überzeugt davon, dass sie die heutige Diskussion um die Frauenquote kämpferisch bereichert hätte – für die Frauen. Ich möchte mit Blick auf Louise Schroeder an das Jahr 1933 erinnern und unsere Aufmerksamkeit auf eine Fraktionssitzung der Sozialdemokratischen Partei lenken, an der Louise Schroeder als Abgeordnete des Reichstags vor 80 Jahren teilnahm. Wir erinnern uns: Im Jahr 1933 – am 30. Januar - wurde Hitler zum Reichskanzler ernannt. Eine eigene parlamentarische Mehrheit hatte er zwar nie mit seiner NSDAP. Aber er hatte immer mehr Unterstützer in national-konservativen Kreisen. Diese mochten ihn nicht. Aber sie teilten mit ihm die Überzeugung, dass Demokratie etwas Schädliches für Deutschland sei. Und so verbündeten sie sich mit ihm, was viele von ihnen später bitter bereuten, als Deutschland 1945 zerstört und desillusioniert am Boden lag. Louise Schroeders Verdienste um den Wiederaufbau Berlins nach dem Zweiten Weltkrieg sind legendär. Sie machten diese starke Frau weit über die Grenzen Berlins hinaus zur populärsten Frau in Deutschland, wie die ersten professionellen Umfragen nach 1950 zeigten. Doch Louise Schroeder hatte bereits zu dieser Zeit ein langes politisches Leben hinter sich. Seit 1919 war sie Abgeordnete der Sozialdemokratischen Partei. Sie wurde immer wieder in den Reichstag gewählt. Und auch die denkwürdige Reichstagssitzung am 23. März 1933 machte sie mit. Es war die Sitzung, auf der das sogenannte Ermächtigungsgesetz gegen die Stimmen der Sozialdemokraten beschlossen wurde. Es war die Sitzung, mit der sich das Parlament selbst entmachtete, weil Hitlers Regierung „ermächtigt“ wurde, Gesetze ohne Zustimmung des Parlaments zu erlassen. Es war die Sitzung, mit der die parlamentarische Demokratie in Deutschland abgeschafft wurde. Und es war die Sitzung, auf der Otto Wels, der Partei- und Fraktionsvorsitzende der SPD, die berühmte Ablehnungsrede hielt. Eine Rede, die ein rhetorisch eindrucksvolles Bekenntnis zur Demokratie in Deutschland war. Wir haben es auch Louise Schroeder zu verdanken, dass Otto Wels überhaupt diese Rede halten konnte. Schon längst wurden die politischen Gegner von den Nationalsozialisten verfolgt, eingesperrt oder ermordet. Vor allem Kommunisten, auch viele Sozialdemokraten waren darunter. Angst und Schrecken herrschten damals in Deutschland und es war keineswegs sicher, dass die Gegner des Ermächtigungsgesetzes die Reichstagssitzung in der Kroll-Oper wieder unversehrt und lebend verlassen könnten. Diese Angst beherrschte auch die Atmosphäre in der Fraktionssitzung der SPD vor der denkwürdigen Reichstagssitzung. Viele Abgeordnete sprachen sich angesichts der Bedrohung dafür aus, der Sitzung fern zu bleiben, sie zu boykottieren. Doch dann ergriff Louise Schroeder, von Statur eher schmächtig, das Wort in dieser Fraktionssitzung. Ich möchte kurz zitieren, was sie sagte: „‚Ich sage Euch, ich gehe, und wenn Sie mich drüben in Stücke reißen.“ Ich denke, wir können alle heute gar nicht mehr ermessen, welcher Mut nötig war, um sich so klar zu positionieren. Aber das macht eben sehr starke Persönlichkeiten aus – und darüber gibt es keinen Zweifel: Louise Schroeder war fürwahr eine sehr, sehr starke Frau – eine Leitfigur, die immer geerdet blieb, weil sie wusste, was sie wollte und konnte und wofür sie einstand. Dafür haben die Menschen sie geachtet und auch verehrt. Und das zu Recht. Es braucht nicht viel Einfühlungsvermögen, um zu ahnen, wie die Männer in der Fraktion auf diesen kurzen Hinweis von Louise Schroeder reagierten. Wenn diese Frau voranging, konnten sie nicht zurück bleiben. Das hätte ein seltsames Bild abgegeben. Und so ging die Fraktion geschlossen – allerdings ohne die fehlenden Abgeordneten, die bereits geflohen waren – in die Kroll-Oper, wo die Reichstagssitzung stattfand. Louise Schroeder war fest entschlossen, den Nationalsozialisten nicht das Feld zu überlassen. Und so hat auch sie entscheidend dazu beigetragen, dass Otto Wels in seiner Rede den Satz sagen konnte, der uns bis heute „Gänsehaut“ bereitet: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“ Das Ermächtigungsgesetz wurde, wie wir wissen, beschlossen. Die Diktatur war legitimiert. die politischen Gegner wurden systematisch verfolgt. Wir können es aus Berliner Sicht als eine Fügung bezeichnen, dass Louise Schroeder die nationalsozialistische Diktatur überlebte. Sie war zunächst in Hamburg geblieben, zog dann aber nach Berlin. Hier blieb sie auch nach Ende des Krieges. Es grenzt fast an ein Wunder, dass die Nationalsozialisten Louise Schroeder nicht konsequenter verfolgten. Für Berlin war es ein großes Glück. Louise Schroeder stand für eine Politik, die Menschen unterstützte, die sich aus eigener Kraft nicht helfen konnten. Die Sozialpolitik war ihr Metier. Und Frauen, wie unsere heutige Preisträgerin Frau Dr. Jenny de la Torre, hätten sie begeistert. Davon gehe ich fest aus. Ja, auch Sie haben einen spezifischen Mut bewiesen, indem Sie ihre Berufung, Ärztin zu sein, in den Dienst der Ärmsten der Armen stellen, sehr geehrte Frau Dr. de la Torre. Und ich bin mir sicher, dass auch Sie wissen, was Sie wollen und können, dass auch Sie wissen, wofür Sie einstehen. Es ist Ihr soziales Gewissen, was Sie antreibt und so segensreich wirken lässt. Und dafür möchte ich Ihnen aufrichtig danken. Über Louise Schroeder sagte Prof. Dr. Franklin Kopitsch, der Leiter der Arbeitsstelle für Hamburgische Geschichte vor einiger Zeit: (Ich zitiere) „Lebendige Demokratie braucht das Beispiel, das lebendige Vorbild. Louise Schroeders Lebensweg und Lebenswerk kann auch heute Orientierung und Maßstab sein.“ Dieser Satz über Louise Schroeder lässt sich 1:1 auch auf Sie übertragen, Frau Dr. de la Torre. Lebendige Demokratie braucht das Beispiel, das lebendige Vorbild. Jenny de la Torres Lebensweg und Lebenswerk kann auch heute Orientierung und Maßstab sein. Zu Ihrer heutigen Auszeichnung möchte ich Ihnen herzlichst gratulieren. Sie schmücken Berlin. Und Berlin sagt: „Danke!“ Wir sehen jetzt zunächst einen kleinen Film über Louise Schroeder, den Schülerinnen und Schüler der Louise-Schroeder-Schule angesichts der Namensgebung ihrer Schule produziert haben. Danach wird Frau Prof. John die heutige Preisträgerin, Frau Dr. de la Torre, als Persönlichkeit würdigen. Ich danke Ihnen.