Rede des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Ralf Wieland anlässlich der Einbürgerungsfeier im Berliner Abgeordnetenhaus
21.11.2014 18:00, Abgeordnetenhaus von Berlin
Ich möchte Sie alle ganz herzlich im Abgeordnetenhaus von Berlin zur diesjährigen Einbürgerungsfeier begrüßen. Seien Sie herzlich willkommen! Und vielen Dank, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind. Wir als Landesparlament wollen nicht abseits stehen. Integrationspolitik wird in diesem Haus ebenso leidenschaftlich diskutiert wie in den Bezirksverordnetenversammlungen. Aber wir finden es großartig, dass Sie zu unserem Land, zu unserer Stadt „Ja“ gesagt haben. Nehmen Sie, die heutige Einladung als Zeichen, dass wir im Abgeordnetenhaus „Ja“ zu Ihnen sagen. Wir freuen uns, dass Sie bei uns sind, sich für ein Leben mit uns entschieden haben. Ich habe jetzt die angenehme Aufgabe, weitere Gäste zu begrüßen. Ich begrüße ie Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Frau Kapek, sowie den Fraktionsvorsitzenden der Piratenpartei Herrn Spieß. Die Vertreter der anderen Fraktionen und alle weiteren Mitglieder des Abgeordnetenhauses begrüße ich natürlich auch. Mein besonderer Dank gilt auch den Bezirksbürgermeistern. Sie haben mitgeholfen, diese Einbürgerungsfeier zu organisieren. Als Vertreter der Bezirksbürgermeister begrüße ich Herrn Köhne aus dem Bezirk Pankow und Herrn Dr. Hanke aus dem Bezirk Mitte. Ich freue mich vor allem, am heutigen Abend einen ganz besonderen Gast begrüßen zu können: Es ist Herr Adam Gusowski, unser Festredner. Er ist Satiriker und Journalist und wird uns ganz sicher einiges über seinen Weg nach Deutschland erzählen können. Jede Einbürgerung erzählt eine Geschichte über das Schicksalhafte im Menschlichen. Herr Gusowski lässt uns nachher an seiner teilhaben, wofür ich mich ganz herzlich bei Ihnen bedanke. Meine Damen und Herren, vor wenigen Tagen haben wir hier in Berlin ein großes Ereignis gefeiert, das damals vor 25 Jahren Deutschland, Europa und die Welt verändert hat. Der damalige Fall der Berliner Mauer hat allen Menschen in Deutschland, aber auch in vielen osteuropäischen Ländern die Freiheit gegeben – die Freiheit, ein selbstbestimmtes und unabhängiges Leben zu führen. Der 9. November 1989 hat sich in das Leben sehr vieler Menschen förmlich eingebrannt. Es bekam urplötzlich eine neue Wendung. Als wir den 25-jährigen Mauerfall mit der Lichtgrenze durch die Stadt feierten, kamen 1,4 Millionen Menschen zusätzlich als Touristen in die Stadt, um mit uns das Mauerfalljubiläum zu begehen – im wahrsten Sinne des Wortes. Ich fand das großartig. Wer auf der Straße war, verspürte eine friedvolle Stimmung all überall, verspürte aber auch die Demut vor diesem epochalen Ereignis vor 25 Jahren. Es war fantastisch. Und auch hier vor dem Abgeordnetenhaus, wo die Lichtgrenze wegen des einstigen Mauerverlaufs aufgebaut war, war die Niederkirchnerstraße voller Menschen. Was mir auffiel: Es waren nicht nur die Deutschen, die feierten. Menschen aus aller Welt waren auf den Berliner Straßen und Plätzen unterwegs. Berlin war an diesem Abend das, was diese Stadt seit vielen Jahren auszeichnet: Berlin war internationale Metropole. Und ich hatte das Gefühl: Irgendwie identifizieren sich alle mit dieser Stadt, mit ihrem Schicksal, mit ihrem Werden. Ich bin davon überzeugt, dass auch Sie ähnliche Gefühle zu Berlin entwickelt haben. Und diese Gefühle sind vielleicht auch der Anlass für Sie gewesen, sich hier nieder zu lassen und Deutsche oder Deutscher zu werden. Immerhin: Im letzten Jahr haben sich rund 6.700 Berliner Bürgerinnen und Bürger dazu entschlossen, die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen. Das ist ein Pluspunkt für uns alle, zeigt sich doch damit: Viele Menschen, die nicht in Deutschland geboren sind, die keine Wurzeln hier habern, wollen aber schon zu unserer Gemeinschaft gehören. Dabei fällt eines auf: heute behält jede zweite eingebürgerte Person ihren ursprünglichen Pass. Das heißt in der Realität leben wir schon längst mit vielen Menschen zusammen, die zwei Pässe haben. Ich persönlich hoffe nun sehr, dass die neue Bundesregierung und der Deutsche Bundestag den Optionszwang für junge Deutsche mit doppelter Staatsangehörigkeit aufheben. Wir in Deutschland sind schon lange ein Einwanderungsland. Immer mehr Menschen mit Migrationshintergrund leben bei uns. Und die meisten von ihnen leben gerne bei uns. Diese Entwicklung können wir nicht ignorieren. Sondern wir müssen handeln, um die Integration Stück für Stück voranzubringen. Wir müssen aber auch aus einem anderen Grund akzeptieren, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist: Wir geraten schon bald aufgrund der demografischen Entwicklung an Grenzen der wirtschaftlichen Entwicklung, wenn wir Zuwanderung nicht befördern. Wir haben einfach zu wenig junge Menschen, die künftig in unserer Volkswirtschaft arbeiten. Der Fachkräftemangel ist schon heute ein Problem, das noch schwerer wiegen wird, wenn die Verrentung an Dynamik zunimmt. Das sind vor allem die Jahrgänge 1960 bis 1964. Wenn sie in Rente gehen, dann verlieren wir viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Knowhow. Das können wir nicht einfach so hinnehmen. Da müssen wir gegensteuern. Und ein Weg dahin ist die Integration von Menschen anderer Herkunft in unsere Lebenswelt und in unsere Arbeitswelt. Dabei ist die Aufhebung der Optionspflicht besonders wichtig, denn sie verändert unsere Gesellschaft. Für viele junge Menschen mit Migrationshintergrund in unserer Gesellschaft verbessert sich die Situation, weil sie sich nicht mehr zwischen zwei Staatsbürgerschaften entscheiden müssen. Die Optionspflicht hat dazu geführt, dass junge Menschen zu Deutschen auf Probe wurden. Das ist etwas, was wir nicht akzeptieren können und was nicht sein darf. Niemand wird bald mehr bei uns Deutsche oder Deutscher auf Probe sein. Das ist ein wichtiges Signal. Und ich finde, das ist ein richtiges Signal. 1999 hatte die rot-grüne Bundesregierung das Staatsangehörigkeitsrecht reformiert. Das war damals ein ganz großer Schritt. Das Abstammungsprinzip wurde ersetzt durch das Prinzip des Geburtsortes. Und wenn jetzt, fünfzehn Jahre später, als nächster Schritt die Optionspflicht abgeschafft wird, dann wird auch ein Integrationshemmnis in unserer Gesellschaft abgeschafft. Wir sagen nun: Ihr alle seid herzlich willkommen, ihr alle gehört dazu, ihr seid Teil unserer Gemeinschaft und es wird keine Hürden mehr geben, damit ihr Deutsche werdet. Berlin ist eine multikulturelle und multireligiöse Stadt. Menschen aus über 190 Nationen leben mit uns. Wir wollen, dass sich alle bei uns wohl fühlen und wir brauchen auch alle mit ihren ganz unterschiedlichen Lebensansätzen und Erfahrungen, ihrer Kultur, ihrem Wissen. Menschen brauchen Heimat, so sagt man. Ich persönlich bin mir nicht mehr sicher, ob dieser Satz so stimmt. Ich würde inzwischen eher sagen: Menschen brauchen das Gefühl, dort, wo sie leben, heimisch zu sein. Eine Heimat kann man verlieren, aber das Gefühl an einem Ort heimisch zu sein, kann man nicht verordnen. Das kommt von Innen. Ich freue mich, dass Sie sich dazu entschlossen haben, in Berlin heimisch sein zu wollen. Seit Jahrhunderten haben sich Zugewanderte in Berlin angesiedelt und der Stadt immer wieder neue Impulse gegeben. Denken wir an die Hugenotten oder an die Schlesier. Das wird so bleiben. Auch Sie dokumentieren dies auf eindrucksvolle Weise. Glauben Sie mir: Berlin empfängt Sie mit offenen Armen. Wir wissen: Sie werden eine Bereicherung für uns sein. Ich wünsche Ihnen allen nun, dass Sie ein erfülltes Leben in Berlin haben, dass Sie hier Ihre Träume verwirklichen können. Berlin bietet für jeden etwas. Wir Berliner wissen das. Denn die wenigsten sind von hier. Viel Erfolg auf Ihren Wegen!