Rede des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Dennis Buchner zur Verleihung der Louise-Schroeder-Medaille
24.11.2022 18:00, Abgeordnetenhaus, Festsaal
Herzlich willkommen im Abgeordnetenhaus von Berlin und zur Verleihung der Louise-Schroeder-Medaille an Doktorin Gisela Notz. Traditionell kommt dem Parlamentspräsidenten bei dieser Feierlichkeit die Aufgabe zu, unsere Berliner Ehrenbürgerin Louise Schroeder und ihre Bedeutung für Berlin vorzustellen. Und ich räume direkt ein: Vor dieser Aufgabe habe ich heute schon ein wenig Respekt. Nicht nur, weil es die erste Louise-Schroeder-Medaille ist, die ich verleihen darf. Sondern auch, weil wir mit Gisela Notz eine Frau ehren, die Louise Schroeder selbst schon ausgiebig erforscht hat. Daher kann ich auch sagen: Alles, was ich gleich über Louise Schroeder sagen werde, liebe Frau Notz, weiß ich von Ihnen, aus Ihren Publikationen. Und ich möchte wirklich mein Bestes geben und nicht enttäuschen.
Liebe Frau Notz, Sie haben Louise Schroeder charakterisiert als „Wegbereiterin“ und wirklich, das war sie. Sie bereitete den Weg für ein freieres und gleichberechtigteres Leben von Frauen im Allgemeinen, von Arbeiterinnen und ledigen Müttern im Konkreten. Letztere waren damals gesellschaftlicher Ächtung ausgesetzt. Darin erkannte Louise Schroeder veraltete Vorurteile. Ebenso wie in dem Vorstoß konservativer Parteien, uneheliche Väter „einfach“ genauso zu bestrafen wie die ledigen Mütter, etwa durch die Entlassung aus dem Staatsdienst. Louise Schroeder fürchtete, dass sich durch solch eine Maßnahme noch weniger Männer zu ihren Kindern bekennen würden und bezog klar Position: gegen Ausgrenzung und für Gleichberechtigung. Sie kämpfte für das erste Mutterschutzgesetz, das 1927 vom Reichstag verabschiedet wurde. 1919 gründete sie zusammen mit Marie Juchacz die Arbeiterwohlfahrt. Die AWO schaffte die öffentliche und oft als diskriminierend empfundene „Armenpflege“ ab.
Liebe Frau Notz, Sie haben Louise Schroeder zudem als „Frau in der Mannschaft“ beschrieben. Und tatsächlich spielte Louise Schroder in so mancher Mannschaft eine Rolle, wenn nicht gar die Schlüsselrolle. Louise Schroeder war eine der ersten Parlamentarierinnen Deutschlands. Für die SPD zog sie in das Parlament der damals selbstständigen Stadt Altona ein und in die Weimarer Nationalversammlung.
Es war Louise Schroeder, die ihre Fraktion am 23. März 1933 drängte, gegen das Ermächtigungsgesetz zu stimmen. Wir alle wissen, dass an diesem Tag die parlamentarische Demokratie außer Kraft gesetzt wurde. Dennoch bleiben die 94 mutigen „Nein“-Stimmen der SPD-Fraktion unvergessen.
Louise Schroeder war auch die erste Frau in der Mannschaft der deutschen Bürgermeister. Als stärkste Partei gewann die SPD die Berlin-Wahl 1946 und stellte mit Otto Ostrowski den Oberbürgermeister. Nachdem dieser von seinem Amt zurücktreten musste und die sowjetische Besatzungsmacht den von der Stadtverordnetenversammlung vorgeschlagenen Ernst Reuter ablehnte, wurde Louise Schroeder mit der Führung der Amtsgeschäfte beauftragt. Dies macht sie zur ersten Frau an der Spitze der Berliner Politik. Wenngleich Louise Schroeder zu Lebzeiten die Anerkennung der Berlinerinnen und Berliner und des internationalen Parketts genoss, kennen postum leider nur wenige ihren Namen.
Sie, liebe Frau Notz, engagieren sich mit Ihrer Biografieforschung, dem Frauenkalender und Ihren Publikationen auch gegen das Vergessen von Frauen wie Louise Schroeder.
Für unser Haus bin ich sehr froh, dass das Porträt in unserer Ehrenbürgergalerie an Louise Schroeder erinnert. Es zeigt sie an ihrem Schreibtisch. Für einen Moment blickt Louise Schroeder von ihrem Studium auf, schaut das Gegenüber direkt an, wissend und entschlossen, dass wir die Dinge ändern können! Übrigens war Louise Schroeder auch die erste weibliche Ehrenbürgerin der Stadt, was sie einmal mehr zur Frau „in der Mannschaft“ macht.
Wenn wir uns heute an Louise Schroeder erinnern, dann müssen wir uns auch gerade auf politischer Ebene eingestehen, dass wir noch viel zu tun haben, um wirkliche Gleichberechtigung herzustellen. Das zeigt der Blick in die Vorstandsetagen, auf das Gender-Pay-Gap und das zeigt auch der Blick in unseren Plenarsaal. Gründe dafür sind nicht allein männlich geprägte Parteistrukturen, familienunfreundliche Sitzungszeiten oder wenig einladende Kommunikationsstrukturen. Oft sind Politikerinnen einem weitaus höheren Erwartungsdruck ausgeliefert als Männer.
Sie werden weniger am fachlichen und allzu oft am Optischen gemessen. Bewertet wird nach „Strahlkraft“ oder danach, wie sie „das mit dem Kindern“ hinkriegt? Das war damals schon falsch und ist es heute immer noch. Louise Schroeder wurde beschrieben als „mütterlich“, „schmal“, „ein wenig altmodisch“, ja, „[d]as Gesicht dieser zarten, im physiologischen Habitus fast zerbrechlichen Frau ist das Fesselndste, was man sich denken kann“. Mich dagegen fesselt an Louise Schroeder vor allem, wie gut sie die Stadtbevölkerung durch die Berlin-Blockade und Währungsreform geführt hat, wie sehr sie sich bemühte, jeder einzelnen Frau der Stadt in den Nachkriegsjahren Hilfe und Halt zu spenden. Mich inspiriert, dass Louise Schroeder für ihre Ansichten einstand, ihrem Kompass folgte und sich dabei nicht beirren ließ. Liebe Frau Notz, ich erkenne da eine gewisse Ähnlichkeit zu Ihnen und Ihrer Biografie. Heute zeichnen wir Sie für ihr langjähriges Engagement für Menschenrechte, Gleichberechtigung und sexuelle Selbstbestimmung aus. Sie haben sich der Verwirklichung der Geschlechterdemokratie verschrieben. Ich freue mich gleich auf die Worte unserer Berliner Stadtältesten und Bundesministerin a. D. Doktorin Christine Bergemann, die Sie noch näher vorstellen wird.
Ihr herausragendes Engagement, liebe Frau Notz, reiht sich nun ein zwischen unsere vielen starken Medaillenträgerinnen. Das waren zuletzt: das interkulturelle Zentrum für Mädchen und junge Frauen MÄDEA, die Rabbinerin Gesa Ederberg und die Soziologin und ehemalige Leiterin der Berliner Sozialpädagogischen Fortbildungsstätte Haus am Rupenhorn Uta Denzin-von Broich-Oppert.
Ja, Louise Schroeder war wahrlich eine Wegbereiterin und in vielerlei Hinsicht die erste Frau in der Mannschaft. Obwohl wir heute immer noch nicht von einer „Frauschaft“ sprechen können, dann doch mehr und mehr von einem Team. Dazu hat Louise Schroeder beigetragen und dafür bleiben Sie, liebe Frau Notz, da bin ich mir sicher, noch weiterhin aktiv. Im Namen des gesamten Berliner Landesparlaments möchte ich Ihnen gern sagen: Wir machen gern mit in Ihrem Team. Heute wird aber erst einmal gefeiert. Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Louise-Schroeder-Medaille!
Vielen Dank!