Rede des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Dennis Buchner zur Einbürgerungsfeier im Abgeordnetenhaus
23.05.2022 18:00, Abgeordnetenhaus, Festsaal
Ich freue mich, dass Sie heute zu Gast im Abgeordnetenhaus – dem Landesparlament von Berlin – sind. Seien Sie herzlich willkommen. Endlich wieder eine Einbürgerungsfeier in unserem Festsaal!
Zum ersten Mal seit Beginn der Pandemie können wir diesen freudigen Anlass wieder in diesem hohen Hause feiern. Für mich als neu gewählten Parlamentspräsidenten ist es sogar die allererste Einbürgerungsfeier, die ich eröffnen darf. Das ist mir nicht nur eine große Freude, sondern auch eine wirkliche Ehre. Denn nicht nur als Präsident dieses Parlaments, sondern auch als einfacher Berliner erfüllt mich die Vielfalt der Menschen, die in unserer Stadt leben, jeden Tag mit Stolz. Berlin ist die Stadt der Freiheit und Vielfalt.
Und sie sind ein Teil davon und machen diese Stadt so besonders und faszinierend. Denn verschiedene Sprachen, Blickwinkel und kulturelle Einflüsse bereichern Berlin – auf jeder Ebene und in jeder Hinsicht. Wir erleben das mit Leib und Seele in Kunst und Kulinarik, in Musik und auch im alltäglichen Miteinander. Das ist im Übrigen auch ein Grund für mich als junger Mensch gewesen, nach Berlin zu kommen und ich liebe es bis heute.
Seit fast zehn Jahren führen wir eine zentrale Einbürgerungsfeier im Abgeordnetenhaus durch. Diese Veranstaltungen waren und sind stets mehr als nur ein Zeichen für Integration gewesen. Denn die Botschaft, die wir Ihnen heute Abend übermitteln möchten, ist, dass wir als Berliner Abgeordnetenhaus Respekt vor den Wegen haben, die Sie eingeschlagen haben, um deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger zu werden. Und wir sind stolz darauf, dass sie diesen Weg erfolgreich beschritten haben.
Sicherlich war dieser Prozess nicht immer einfach. Da gab es etwa den Einbürgerungstest zu bestehen, vielfältige organisatorische Herausforderungen, vielleicht auch Unsicherheiten oder lange Wartezeiten bei den Berliner Behörden.
Aktuell arbeiten die Einbürgerungsstellen der Bezirke in unterschiedlichem Tempos, auch bedingt durch die – zum Glück – hohe Nachfrage. Doch dies soll sich künftig ändern. Der Senat plant, die Einbürgerungsverfahren zu beschleunigen und die Einbürgerungsquote deutlich zu erhöhen. Auch soll eine neue zentrale Einbürgerungsstelle geschaffen werden, die die Abläufe bündelt und beschleunigt. Die Mehrheit des Abgeordnetenhauses unterstützt das und es wird unsere Aufgabe sein, das Vorhaben zu begleiten und die Umsetzung durch den Senat als Abgeordnetenhaus zu kontrollieren. Ich jedenfalls halte dies für ein gutes Signal in Richtung Zukunft.
Doch zurück in die Gegenwart und zu Ihnen. Um mich auf unseren heutigen Festakt – und vor allem auf Sie – vorzubereiten, habe ich mir einige Gedanken darüber gemacht, was es wohl bedeutet, eine neue Staatsbürgerschaft, eine neue Heimat, anzunehmen. Und ehrlich gesagt komme ich zu dem Schluss, dass das eine nahezu unvorstellbare und ziemlich prägende Erfahrung sein muss. Ich selbst kann das nur im ganz Kleinen nachvollziehen.
Von meinem Geburtsort Lübeck im Norden an der Ostsee zog es mich zum Studium in den westlichen Teil Deutschlands nach Bonn und anschließend nach Berlin, um hier hauptberuflich politisch zu arbeiten. All diese Orte haben mein Leben geprägt: vom Shanty über Karnevalsmusik bin hin zum Techno; vom Fischbrötchen über den Sauerbraten bis hin zur Currywurst; von der norddeutschen Treue über die rheinländische Frohnatur bis hin zur ganz grundlegenden Berliner Ehrlichkeit.
Familie, Freunde, Erinnerungen und Gegenwart – all das ist heute ein Teil meiner Identität. In diesen Tagen ist für mich das Gefühl besonders stark, dass ich vor allem gern Berliner bin. Denn die Solidarität unserer Stadtgemeinschaft berührt mich. Es sind so viele Berlinerinnen und Berliner, die sich um die Frauen und Kinder kümmern, die aus der Ukraine geflohen sind. Das zeigt auch, dass wir in einer Gesellschaft leben, die anpackt, mitmacht und andere in ihren Notlagen nicht außer Acht lässt.
Übrigens: Berlin, Bonn und Lübeck waren auch die zentralen Stationen von Willy Brandt, der auch einmal Präsident dieses Hauses gewesen ist. Ihn und sein Wirken verstehe ich ein wenig als meine politische „Heimat“, wenn es so etwas gibt. Denn Heimat ist allgemein ja ein großer Begriff und was darunter verstanden wird, ist sehr unterschiedlich. So lässt sich Heimat als Utopie verstehen, als ein „Nicht-Ort“, der umso intensiver erfahren wird, je weiter man entfernt ist. So schreibt es der Autor Bernhard Schlink.
Die Philosophin Karen Joisten stellt unter dem Heimatbegriff die Fragen nach dem „Woher“ und „Wohin“ des Menschen. Salopp könnte man sagen, dass Heimat für einige ganz einfach da ist, wo das WLAN stabil ist. Oder dass Heimat etwas Ursprüngliches und Regionales ist. So vermarktet es jedenfalls die Werbung. Allerdings gefällt mir als Präsident dieses Parlaments der Zugang der Berliner Wissenschaftlerin Susanne Scharnowski ganz besonders gut. Sie versteht Heimat weder als Gefühl noch als Ideologie, sondern als Ort, der gemeinsam gestaltet wird. Denn genau das ist die Aufgabe des Abgeordnetenhauses von und vor allem für Berlin.
Berlin also gemeinsam gestalten – daran können Sie als deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger nun auch mitwirken. Sie dürfen wählen und sich wählen lassen. Das ist die Chance, das Land nach den eigenen Vorstellungen mit zu formen. Im Abgeordnetenhaus sind die Debatte, der Austausch und natürlich auch der Meinungsstreit zu Hause. Dieser lebt gerade von unterschiedlichen Perspektiven. Mehr als ein Drittel der Berliner Bevölkerung hat Wurzeln in einem anderen Land und der Anteil steigt. Das wollen wir in den eigenen Reihen abbilden können.
Ich freue mich, dass unser Parlament nach der Wahl vergangenen September vielfältiger geworden ist und zahlreiche Abgeordnete in einem anderen Land geboren sind oder ihre Familien von woanders herkommen. Eine von ihnen ist Catrin Wahlen, die heute zwischen Ihnen sitzt und ebenfalls vor Kurzem eingebürgert worden ist. Sie stammt aus einer deutsch-finnischen Familie. Sie ist in Finnland aufgewachsen und dort zur Schule gegangen. Frau Wahlen, Sie sind ein tolles Vorbild und ich hoffe, wir können unsere heutigen Gäste gemeinsam motivieren, auch mal in die Berliner Politik hineinzuschauen.
iNatürlich gehören nicht nur Wahlen und Parteien zur Demokratie. Es gibt demokratische Strukturen in allen möglichen Bereichen des Alltags: im Ehrenamt, in der Nachbarschaft, auf der Arbeit, in Universitäten oder im Sport. Nehmen Sie daran teil und machen Sie mit, wenn es darum geht, unser Berlin zu gestalten. In Ihren Einwanderungsgeschichten stecken ja oft ganz besondere Erfahrungen, Wissen und Fähigkeiten, häufig auch ein enormer Fleiß.
Als Abgeordnetenhaus freuen wir uns daher sehr, dass Sie diese Kompetenzen nun als offizielle Berlinerinnen und Berliner in unsere Stadt tragen. Eine der vielen Geschichten, die Sie uns heute in den Festsaal mitbringen, erzählt uns gleich der Festredner Michael Groys. Er ist in Thorez im Donbass geboren und stammt aus einer jüdisch-ukrainischen Familie. Im Grundschulalter wanderte er mit seiner Familie nach Deutschland ein. Beziehungsweise kann man sagen, dass die Familie nach Deutschland zurückwanderte, da sie hier Vorfahren hatte. Michael Groys lebt in Berlin und arbeitet als politischer Berater und Autor. Er veröffentlicht zudem Beiträge zu migrationspolitischen, außen- und sicherheitspolitischen Themen.
Ich freue mich gleich auf Ihre Worte und auf Ihren Weg nach Berlin, lieber Herr Groys. Sie, liebe Neubürgerinnen und Neubürger, kommen heute Abend unter anderem aus Ägypten, Schweden, Kroatien, Israel oder Mexiko. Sie stehen stellvertretend für alle anderen neu eingebürgerten Berlinerinnen und Berliner, für die ebenso herzlich gilt: willkommen! Ich wünsche Ihnen die allerbeste Zukunft in dem Ort, den wir alle zusammen gestalten können und es auch werden: Berlin.
Herzlichen Dank!