Rede des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Dennis Buchner in der konstituierenden Sitzung des Abgeordnetenhauses
04.11.2021 10:00, Abgeordnetenhaus, Plenarsaal
Herzlichen Dank für den Vorschuss an Vertrauen, den Sie mir mit der heutigen Wahl gegeben haben.
Ich bin – zugegeben – beeindruckt von Ihrem Votum. Das macht Mut, ist aber eben auch eine Verpflichtung. Und ich kann Ihnen versichern: Ich möchte Ihr Präsident sein, aber als einer von uns 147 Abgeordneten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich auch unserem Alterspräsidenten Kurt Wansner für die Eröffnung unserer heutigen Sitzung und für die Leitung des Wahlgangs danken. Lieber Kollege Wansner, Sie sind ja als Parlamentarier ein „alter Hase“, wenn ich das so sagen darf. Mit Humor und Klarheit haben Sie uns heute durch den Auftakt geführt. Es heißt ja immer, dass das Alter keine Auszeichnung darstellt. Das stimmt.
Aber dass Sie seit 1995 Mitglied in unserem Haus sind, das zeugt doch von einer politischen Durchsetzungsfähigkeit, sowohl hier in Ihrer Fraktion als auch in Ihrem Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg. Niemand hier im Saal wird bezweifeln, dass Sie im Herzen mit Ihrem Bezirk verbunden sind. Und ich persönlich freue mich schon auf die nächste Fragestunde, wenn Sie wieder mit dem Senat ins Gericht gehen, weil Sie bestimmte Zustände in Kreuzberg oder Friedrichshain kritisieren. Herzlichen Dank, dass Sie heute unser Alterspräsident waren, lieber Kurt Wansner!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber Ralf Wieland, auch Dir möchte ich Dank sagen. Du hast zehn Jahre lang dem Abgeordnetenhaus als Präsident vorgestanden. Du hast uns sicher und souverän durch die vielen Parlamentssitzungen geleitet. Du hast uns nach innen und außen gut vertreten und auch den Beweis angetreten, dass ein Parteibuch kein Hindernis sein muss, überparteilich zu agieren.
Ich denke, ich darf sagen, dass Du Dir bei allen Fraktionen Anerkennung erworben hast in der Art, wie Du das Amt des Präsidenten ausgefüllt hast. Dass wir hier in diesem Hohen Haus zivil miteinander umgehen, ist nicht zuletzt auch Deiner ausgleichenden Amtsführung zu verdanken.
Lieber Ralf, wir alle wurden von der Pandemie überrascht. Aber Du hattest die Verantwortung, zusammen mit Deiner Verwaltung sicherzustellen, dass der Parlamentsbetrieb trotz aller üblen Widrigkeiten weiter gehen konnte. Das war eine Mammutaufgabe. Und Du hast sie mit Bravour bestanden. Dafür sind wir Dir alle dankbar. Du und Deine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Verwaltung, ihr zusammen habt Großartiges in den Hochphasen der Pandemie geleistet. Das Parlament war zu jeder Zeit arbeits- und handlungsfähig.
Vielen, vielen Dank dafür, lieber Ralf. Ich denke, ich spreche im Namen aller Anwesenden, wenn ich Dir alles, alles Gute wünsche für Deinen neuen Lebensabschnitt. Bleib dran am Wedding und vor allem bleib gesund. Du wirst in diesem Haus ein stets gern gesehener Gast bleiben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass zunächst alle Mitglieder meiner Fraktion und dann auch die Mehrheit der Mitglieder dieses Hauses die Idee mitgetragen haben, einen jüngeren Präsidenten zu wählen, ehrt mich sehr. Politische Lebenswege sind nicht planbar. Sie brauchen neben Geschick auch immer wieder Glück und Zufälle – und nicht zuletzt das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler.
Dass ich heute als Kind einer Arbeiterfamilie hier stehen darf, verdanke ich vielen Menschen, die mich gefördert haben und die Vertrauen in mich gesetzt haben. Meiner Familie und dann vielen Leuten aus meiner Sozialdemokratischen Partei: jenen, die im Ehrenamt Zutrauen in mich hatten, jenen, die mir die ersten kleinen und schließlich größeren Jobs angeboten haben, jenen, die mich für ein Mandat aufgestellt haben – und jetzt jenen, die mir dieses hohe Amt zutrauen. Dafür bedanke ich mich. Meine Botschaft ist aber auch: In diesem Parlament sitzen 147 auch in ihren Parteien engagierte Abgeordnete. Auch Sie entscheiden mit über politische und berufliche Lebenswege. Zu den wichtigsten Führungsaufgaben zählt auch, Nachwuchsförderung zu betreiben. Denn eines ist klar: Die parlamentarische Demokratie und das Parteiensystem müssen nicht kritiklos hingenommen werden. Aber es ist das beste System, dass wir haben, Frieden, Freiheit und Demokratie in unserem Land zu sichern.
Lassen Sie uns gemeinsam weiter das große Glück bewahren, dass wir in einem Land leben können, in dem niemand Angst vor einem Regierungswechsel haben muss, weil die großen politischen Linien von starken demokratischen Parteien im breiten gesellschaftlichen Konsens getragen werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir leben in einer Zeit, in der viele politische Beteiligung sehr erfolgreich einfordern. Pulse of Europe, Fridays for Future, erfolgreiche Volksbegehren und Volksentscheide sind dafür ein Beispiel. Und ich finde das gut.
Denken wir als die gewählten Vertreterinnen und Vertreter der Bevölkerung aber auch daran, dass wir auch die vertreten, die oft ganz andere Sorgen haben, als sich politische Teilhabe zu sichern. Für die oft harte Arbeit und die Familie im Mittelpunkt eines Lebens stehen, in dem vielleicht gar nicht die Kapazitäten für eigenes politisches Engagement bleibt.
Nutzen wir all unsere Möglichkeiten, auch diese Leute gut zu vertreten. Dazu haben wir Möglichkeiten wie Büros in den Wahlkreisen und Sprechstunden. Machen wir aber auch deutlich, dass wir auf Augenhöhe sind: mit einfacher und klarer Sprache, mit der Möglichkeit, ohne Hürden mit uns in Kontakt zu sein. Hören wir uns alle Anliegen an, ohne dass wir uns gleich jede Forderung selbst zu eigen machen. Politik ist der Ausgleich unterschiedlicher Interessen – ich wünsche Ihnen allen, diese Aufgabe mit Herz und Verstand zu meistern.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, Ich denke, wir alle sind uns einig: Das Desaster vom Wahltag darf sich nie wiederholen. Leider fügt sich der ganze Vorgang ein in ein Bild von Berlin, dass sich in den Köpfen vieler Menschen immer mehr verankert, auch deutschlandweit: Berlin kann es nicht. Das ist fatal und schadet dem Ansehen dieser freien und wunderbaren Stadt, aber es frustriert auch immer mehr Menschen, die hier in Berlin leben.
Und deshalb müssen der kommende Senat und dieses Abgeordnetenhaus dafür Sorge tragen, dass unsere Verwaltung den Alltag der Berlinerinnen und Berliner erleichtert. Sowohl in den Bezirken als auch auf Landesebene. Sorgen wir also alle zusammen dafür, dass die Menschen in dieser Stadt zum Beispiel einfach nur in ihre Bürgerämter gehen können, um ihre Anliegen zu erledigen. Sorgen wir dafür, dass in dieser Stadt schneller gebaut werden kann und mehr leistbare Wohnungen entstehen. Dass Menschen in Berlin wieder das Gefühl haben, nicht nur sehr gern, sondern auch gut und sicher in Berlin leben zu können.
Denn eines ist und bleibt wahr: Die Verwaltung dient den Menschen, nicht umgekehrt. Nehmen wir unsere Verantwortung dabei wahr: als starkes Parlament! Unser Anspruch muss sein, im Dreiklang der Gewaltenteilung der Kraftraum zu sein!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch der Blick in diesen Plenarsaal macht es deutlich: Frauen sind in unserem Parlament weiterhin unterrepräsentiert. Auch im Jahr 2021 ist es für Frauen offenbar immer noch schwieriger, sich politisch zu engagieren und oft auch in ihren Parteien durchzusetzen. Zeitlicher Aufwand und Präsenzkultur führen immer noch dazu, dass Frauen sich aus der politischen Arbeit zurückziehen, weil die Belastung neben Beruf und Familie hoch ist. Sehr häufig habe ich von engagierten und klugen Frauen gehört, dass sie ihr politisches Ehrenamt lieber gar nicht mehr betreiben, als halbherzig nur auf kleiner Flamme. Das sind reale Umstände, die es Frauen schon schwerer machen, überhaupt in die Politik zu gehen, vor allem aber dort auch mehr Verantwortung zu übernehmen. Darüber ist schon viel debattiert worden. Und wenn wir ehrlich sind: Alle Appelle haben nicht genug Veränderung gebracht.
Ich bin deshalb dezidiert dafür, dass wir uns auch im Abgeordnetenhaus konkrete Gedanken machen, wie man Frauen in der parlamentarischen Repräsentanz gleichstellt mit den Männern. Natürlich weiß ich, dass zwei Verfassungsgerichte bisher entsprechende Gesetzesentwürfe verworfen haben. Aber das heißt ja nicht, untätig zu sein. Wenn unser Grundgesetz die Gleichberechtigung einfordert, dann gibt es auch Wege dorthin, um dieses Verfassungsgebot endlich auch im Parlament zu verwirklichen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Forderung nach mehr Partizipation im politischen Raum betrifft aber nicht allein die Frauen. Auch die jungen Menschen in unserer Gesellschaft erwarten mehr Teilhabe. Das macht sich fest an deren Forderung, das Wahlalter auf 16 Jahre abzusenken.
So klingt es einhellig aus den Jugendverbänden der Stadt. Nicht nur die BVV’en sollen in Berlin von den Sechzehnjährigen mitgewählt werden: Auch für die Wahl des Abgeordnetenhauses soll das Mindest-Wahlalter 16 sein. Es gibt jedoch eine hohe Hürde in Berlin, um das Wahlalter zu ändern. Das ist unsere Verfassung, die das Wahlalter 18 explizit vorgibt. In unserem Haus brauchen wir also eine verfassungsändernde Mehrheit, wollen wir das Wahlalter ändern. Ich finde schon lange, dass wir mehr für die politische Bildung junger Menschen tun müssen. Mit starken Jugendverbänden, mit Diskussionen von Parlamentariern in Schulen, mit mehr Informationen zur Politik in den Lehrplänen, mit Angeboten zur politischen Bildung für die ganze Stadt.
Denn: Natürlich sind junge Leute an der Zukunft interessiert. Deshalb bin ich persönlich dafür, einerseits die politische Bildung weiter zu stärken und dann aber auch für das Abgeordnetenhaus das Wahlalter auf 16 Jahre zu senken. Ich weiß, es gibt auch skeptische Stimmen. Doch schauen wir nach Brandenburg, schauen wir nach Schleswig-Holstein, nach Hamburg oder Bremen. Dort wählen die 16-jährigen die Landesparlamente mit. Ich habe nicht den Eindruck, dass diese Jugendlichen mit ihrem Wahlrecht politisch überfordert sind.
Ich finde, in einer Zeit, in der die Herausforderungen für die jungen Generationen immer größer werden, müssen wir sie mitbestimmen lassen, wie unsere Parlamente zusammengesetzt sind. Geben wir ihnen das Stimmrecht, auch für das Berliner Abgeordnetenhaus, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Meine Damen und Herren, viele der Abgeordneten sind neu in diesem Parlament. Über 50 Kolleginnen und Kollegen haben zum ersten Mal ein Mandat erhalten. Sie möchte ich heute noch einmal besonders begrüßen. Seien Sie herzlich willkommen. Sie kommen in eine neue Welt mit bestimmten Regeln und Verfahrensabläufen. Hier im Plenum, aber auch in den Fachausschüssen. Das alles werden Sie schnell lernen, da bin ich mir sicher. Aber was noch wichtiger ist: Bei allen politischen Differenzen, die es gibt:
Wir gehen hier respektvoll miteinander um. Wir entsprechen der Würde dieses Hauses. Nur der gegenseitige Respekt lässt uns den Raum, um Politik für die Menschen in Berlin zu gestalten. Das passiert auch in kontroversen Debatten. Deutliche Worte dürfen nicht fehlen. Sich im politischen Wettstreit miteinander zu befinden und trotzdem jederzeit fair, ohne Diskriminierungen und Beleidigungen, miteinander umzugehen: Das ist die gute Tradition in diesem Parlament. Diese wollen wir uns auch in der 19. Wahlperiode bewahren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der frühere Bundestagspräsident Lammert hat mal gesagt: Wir alle seien als Abgeordnete zwar gewählt, aber nicht gesalbt. Und ich sage zustimmend: Ja, das freie Mandat ist kein Freifahrtschein. Es ist der Auftrag der Wählerinnen und Wähler, zum Wohle der Stadt und der hier lebenden Menschen zu agieren. Lassen Sie uns alle diesen Auftrag erfüllen! Gehen wir an die Arbeit. Danke für Ihre Aufmerksamkeit.