Rede der Präsidentin des Abgeordnetenhauses von Berlin, Cornelia Seibeld, zur Veranstaltung mit der Überparteilichen Fraueninitiative Berlin - Stadt der Frauen e. V.
25.11.2024 10:30, Abgeordnetenhaus von Berlin, Festsaal
der heutige Anlass könnte ernster und tragischer nicht sein. Am Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, müssen wir auch im Jahr 2024 feststellen, dass wir noch viel zu tun haben. Gewalt gegen Frauen ist in der Öffentlichkeit ein weiterhin unterschätztes Thema. Dabei stellt die Kriminalstatistik der Berliner Polizei fest: Die Anzahl von Opfern partnerschaftlicher und innerfamiliärer Gewalt erreichte im Jahr 2023 ihren bisherigen Höchststand. 18.784 Personen wurden als Opfer häuslicher Gewalt erfasst. Ein Anstieg um 8,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Nach wie vor nehmen Fälle von häuslicher Gewalt einen bedeutenden Anteil am gesamten Straftatenaufkommen ein. Das betrifft Partnerschaftsgewalt ebenso wie interfamiliäre Gewalt.
Unabhängig vom Ort, bezeichnet „Häusliche Gewalt” Gewaltstraftaten zwischen Personen die in einer partnerschaftlichen Beziehung sind oder waren, oder Personen, die in einem Angehörigenverhältnis zueinander stehen. Die Formen der Gewalt sind dabei vielfältig: Von verbaler Gewalt zu körperlichen Verbrechen bis hin zu Tötungsdelikten. Die Opfer sind mit knapp 70 Prozent überwiegend weiblich. Auffällig ist, dass die Tatverdächtigen in den meisten Szenarien männlich sind.
Egal in welcher Form sich die häusliche Gewalt auch äußert, sie sollte weder zur „Privatsache“ noch zum Tabu-Thema erklärt werden. Sie ist und bleibt kriminelles Unrecht, das eine Strafverfolgung nach sich ziehen muss. Die Voraussetzung dafür ist allerdings eine sehr persönliche Angelegenheit: Die Opfer müssen den Mut aufbringen, den Vorfall zu melden. Nur so können Polizei und Justiz zum Schutz der Opfer ein schnelles und effektives Eingreifen bei häuslicher Gewalt ermöglichen.
Für Opfer von häuslicher Gewalt ist es ein schwerer Schritt, den Vorfall öffentlich zu machen. Dabei herrscht oftmals die Angst, nicht verstanden zu werden oder die Situation durch eine Anzeige nur zu verschlimmern. Viele Betroffene müssen sich zunächst auch erst bewusst machen, dass sie Opfer einer solchen Gewalttat geworden sind. Das kann viel Kraft kosten und wird oft durch Furcht begleitet.
Deshalb dürfen wir in Politik und Gesellschaft nicht nur fordern, dass die betroffenen Frauen ihr Schweigen brechen. Wir müssen gesprächsoffen sein und alles daran setzen, den Frauen einen leichten Zugang zu Hilfsmöglichkeiten zu gewähren. Sie müssen wissen, dass sie mit ihren Problemen nicht alleine sind und notwendige Unterstützung erhalten können.
Das beginnt bei einem unterstützenden Umfeld, welches den Opfern die nötige Kraft geben kann, sich aus gewalttätigen Beziehungen zu lösen und erforderliche Schritte konsequent zu gehen. Über einen gesicherten Zugang zu verschiedenen Beratungsstellen, Frauenhäusern oder Schutzwohnungen, an die sich Frauen anonym und vertrauensvoll wenden können. Bis hin zur Anzeige der Gewalttat, um z.B. Schutzanordnungen zu erwirken.
Die gesetzlichen Regelungen stellen zum Beispiel das unbefugte oder beharrliche Nachstellen sowie Belästigung unter Strafe. Das Gewaltschutzgesetz ermöglicht es, Verbote durchzusetzen, damit Täter die Wohnung nicht mehr betreten können oder Kontakt über den Arbeitspatz oder zur Kita aufnehmen. Diese Gesetze sind wichtig und sie sind Errungenschaften eines bitterlichen Kampfes, den viele Frauen schon Jahrzehnte vor uns begonnen haben.
In der heutigen Veranstaltung soll es genau darum gehen. Welche Rolle spielt die Strafverfolgung im Kampf gegen die häusliche Gewalt? Und welche Verfahren sind aus Sicht der Betroffenen sinnvoll? Die Frage nach der Gerechtigkeit ist in der Strafverfolgung eine häufig gestellte. Besonders bei solchen persönlichen Taten, wie es bei häuslicher Gewalt der Fall ist.
Dabei vermischen sich oftmals Emotionen mit den zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln. Deshalb soll es heute auch um die Herausforderungen und Lösungsansätze in der Bearbeitung von Straffällen häuslicher Gewalt gehen. Schließlich handelt es sich bei der Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt auch immer um den Kampf für Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen. Noch immer sind traditionelle Geschlechterbilder und Rollenklischees tief in den Köpfen vieler Menschen verwurzelt. Sie halten an einer ideologischen Geschlechterordnung fest, die in unseren Zeiten längst überholt ist.
Wir müssen anerkennen, dass die geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen einen strukturellen Charakter hat. Es ist ein entscheidender sozialer Mechanismus, durch den Frauen in eine untergeordnete Position gegenüber Männern gezwungen werden. Und wir müssen anerkennen, dass wir jede Form von Diskriminierung gegen Frauen beseitigen müssen, dass wir die Rechte von Frau stärken müssen, um eine echte Gleichstellung zu erreichen.
Auch wenn wir den Blick heute auf die Täter richten, dürfen wir die Opfer nicht vergessen. Gewalt kann das Selbstwertgefühl, soziale Beziehungen sowie die Lebens- und Arbeitsperspektiven von Betroffenen verletzten oder gar zerstören. Die Frauen erleiden zum Teil nicht nur schwere körperliche Verletzungen sondern müssen häufig auch mit langezeitigen Traumata leben.
Nur wenn wir umfassende Maßnahmen anstoßen und Politik, Organisationen sowie Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten, können wir einen umfassenden Ansatz zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen entwickeln und die Betroffenen unterstützen. Frauenrechte sind Menschenrechte! Lassen Sie uns dafür sorgen, dass besonders diejenigen, die Schutz suchen und Hilfe benötigen, diese auch bekommen.
Vielen Dank!