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Blick in den Plenarsaal und hauptsächlich die Flaggen für Deutschland, Berlin und Europa
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Rede der Präsidentin des Abgeordnetenhauses von Berlin, Cornelia Seibeld, zur Kooperationsveranstaltung mit dem Berliner Beauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur

18.03.2025 18:30, Abgeordnetenhaus, Caino

Heute vor 35 Jahren fand die erste Wahl unter demokratischen Bedingungen in der DDR statt. Es war die Wahl zur Volkskammer der DDR am 18. März 1990. Damit endete noch nicht die Geschichte der DDR. Der Ausgang der Volkskammerwahl war aber eine zentrale Vorentscheidung für das Streben zur deutschen Einheit.

In den 50er Jahren war der Widerstand primär antikommunistisch und fundamental gegen SED-Herrschaft und sowjetische Besatzung ausgerichtet. Höhepunkt war sicherlich der Aufstand des 17. Juni 1953. Mit der Abschottung nach dem Mauerfall wurden andere Oppositionsbewegungen stärker. Zum einen die auf eine innere Reform ausgerichtete Opposition, deren Protagonisten oft auch Dissidenten des real existierenden Sozialismus à la SED waren. Beispiele waren Robert Havemann und Rudolf Bahro.

Und es gab jene Menschen in der DDR, die keine Perspektive für ihr Leben dort sahen. Die deshalb die DDR verlassen wollten. In den 8oer Jahren gewann die Friedensbewegung an Bedeutung. Unter dem Motto „Schwerter zu Pflugscharen“ fanden die Friedensbewegten vor allem in der Evangelischen Kirche einen Aktionsraum.

Die Opposition war also in sich keineswegs einheitlich. Wenn es überhaupt eine gemeinsame Klammer in der Oppositionsgeschichte der DDR zwischen 1949 und 1989 gab, so war es die Forderung nach demokratischen Wahlen. Viele andere politische Ziele und vor allem die Frage, wie diese erreicht werden sollten, unterschieden sich zum Teil erheblich voneinander.

Die Ereignisse nach dem 9. November 1989 hatten eine besondere Dynamik. Für die Volkskammerwahl im darauffolgenden März mussten sich die politischen Kräfte und Parteien in der DDR neu organisieren. CDU-Ost, Liberale und Sozialdemokraten verbanden sich mit CDU, FDP und SPD im Westen. Die ehemalige SED trat als „Partei des demokratischen Sozialismus“ an. Bürgerrechtsgruppen wie das Neue Forum, Demokratie Jetzt und die Initiative Frieden und Menschenrechte schlossen sich zur Wahlliste “Bündnis 90“ zusammen.

Die Grünen waren mit dem Unabhängigen Frauenverband ein Wahlbündnis eingegangen. Entschieden wurde die Wahl über die Themen einer baldigen Wirtschafts- und Währungsunion sowie der Deutschen Einheit. Das Ergebnis fiel für die Bürgerrechtsgruppen mit 2,91 Prozent und die Grünen mit 1,97 Prozent der Stimmen bescheiden aus. Konsequenterweise wurden sie an der folgenden Regierung unter Lothar de Maiziére nicht beteiligt. Die Geschichte von Opposition und Widerstand in der DDR hatte mit dieser Wahl ihr Ende gefunden.

Ich möchte der Moderatorin des heutigen Abends nicht vorgreifen bei der Vorstellung unserer Diskutanten. Es darf jedoch gesagt werden, dass unsere vier Gesprächsgäste jeweils einen ganz spezifischen Zugang zu Widerstand und Opposition in der DDR haben. Das bedingen ihre sehr unterschiedlichen Lebenswege, aber auch ihr heutiges Engagement. In jedem Fall wird es sehr spannend sein, diese unterschiedlichen Perspektiven im Austausch miteinander zu erleben.

Sehr geehrte Frau Dr. Schuhmann, sehr geehrte Herren Dombrowski, Hirsch und Veigel, ich möchte mich im Namen des Abgeordnetenhauses sehr herzlich dafür bedanken, dass Sie uns an ihren Erfahrungen und ihrem Wissen teilhaben lassen. Über die Frage, ob die Friedliche Revolution von einer kleinen Minderheit politisch Engagierter ausging, während die Mehrheit der Bürger nur wegen der ökonomischen Vorteile zur Einheit drängte, gibt es lebhafte Diskussionen. Der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk vermutet mit Blick auf die aktuelle politische Lage in den ostdeutschen Bundesländern, die „unverarbeitete Diktatursozialisation“ mache die Ostdeutschen anfällig für autoritäre Politikangebote.

Das träfe insbesondere auf diejenigen zu, die auch schon in der DDR systemtragend oder angepasst gewesen seien. Nur die Minderheit der auch schon in der DDR gegen die Diktatur Kämpfenden habe eine gefestigte demokratische Haltung. Daher die Frage an unsere Zeitzeugen: Wie war ihre Wahrnehmung der Menschen aus der DDR, auf die Sie nach dem Mauerfall auch bei deren Ausflügen auf Westgebiet trafen? Gibt es Kontinuitätslinien, die bis heute wirksam sind?

Ein weiterer Zeitzeuge ist heute unter uns, der gerade in den Jahren 1988 bis 1990 ganz tief mit verschiedensten Aktivitäten und Aktionen Teil der DDR-Opposition war. War es auch die Begeisterungsfähigkeit eines damals noch sehr jungen Menschen für seine Überzeugungen einzutreten? Bei so ziemlich allen Konfliktthemen war er beteiligt. Immer mit dem Ziel, die Veränderung im Land voran zu treiben, aber nicht die DDR verlassen zu wollen oder zu müssen. Er verweigerte den Wehrdienst in der NVA, er arbeitete in der Umwelt-Bibliothek Berlin mit, er beteiligte sich an der Aufdeckung der Fälschung der Kommunalwahlen und den Protestdemonstrationen dagegen.

Im November des letzten Jahres erinnerte das Abgeordnetenhaus an die blutige Niederschlagung der Studentenproteste in China im Sommer 1989. Und auch über die Protestaktionen und Demonstrationen in Ost-Berlin gegen das Vorgehen der chinesischen Kommunisten kann er aus eigener Erfahrung berichten. Nicht zuletzt war er im September 1990 einer der Mitbesetzer der Stasi-Zentrale in Lichtenberg. Wahrlich, Frank Ebert hat sich sehr intensiv in das Zeitgeschehen eingebracht. Und weil er wusste, wie wichtig es ist, all die Dokumente und Artefakte der Opposition auch als Anschauung für die Nachwelt sicher zu stellen, initiierte er maßgeblich die Gründung des Matthias-Domaschk-Archivs. Heute wird das Archiv der DDR-Opposition in der Robert-Havemann-Gesellschaft betreut, für die Frank Ebert lange Jahre gearbeitet hat.

Ich könnte noch Vieles zur Würdigung des Chronisten, des Ideengebers und Antreibers Frank Ebert beitragen. Jetzt bleibt mir noch, ihm sehr herzlich zu seinem heutigen Geburtstag zu gratulieren. Es ist eine schöne Koinzidenz, dass an seinem zwanzigstem Geburtstag die erste freie Wahl in der DDR stattfand. Heute können wir in diesem Rahmen ein wenig lockerer sowohl der Geschichte gedenken wie auch mit ihm auf seinen Geburtstag anstoßen. Das passende Bier hat er sich dazu selber ausgesucht. Beschwerden für die Auswahl sind deshalb an ihn zu richten.

Lieber Frank Ebert, ich wünsche Ihnen privat wie beruflich alles Gute und freue mich auf die zukünftigen Gelegenheiten für unsere Zusammenarbeit.