
Rede der Präsidentin des Abgeordnetenhauses von Berlin, Cornelia Seibeld, zur Ausstellungseröffnung "Gegen das Vergessen"
11.03.2025 17:00, Abgeordnetenhaus, Wandelhalle
Die Ausstellung „Gegen das Vergessen“ verbindet Kunst und Geschichte. Sie führt uns am Schicksal des Künstlers Gino Kuhn bildlich vor Augen, auf welche grausame Art das SED-Regime versuchte, seine politische Macht zu sichern. Ein diktatorischer Führungsstil, eine staatlich gelenkte Wirtschaft sowie die Unterdrückung von politisch Andersdenkenden – das alles ist untrennbar mit der DDR verbunden. Die wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung führte schließlich zur Friedlichen Revolution sowie zum Mauerfall von 1989 und mündeten in der Deutschen Einheit.
Wenn wir an den Widerstand gegen den SED-Staat denken, fallen uns die Biografien von Rainer Eppelmann, Jürgen Fuchs oder Robert Havemann ein. Sie alle eint, dass sie sich mutig gegen das Regime stellten. Es gibt noch viele weitere Menschen, die einen so drängenden Freiheitswillen empfanden und sich gegen die DDR-Regierung und deren Repressionen stellten. Schließlich wurde der Fall der Mauer auch entschieden durch diejenigen herbeigeführt, die aus den starren Grenzen ihres Landes auszubrechen versuchten. Das galt für Menschen aus Politik und Wirtschaft genauso, wie für Kunstschaffende. Und ebenso facettenreich wie die Menschen, die sich engagierten und gegen den Staat demonstrierten, sind auch die Arten des Protests und die Versuche, aus dem autoritären System auszubrechen.
Der Künstler dieser Ausstellung, Gino Kuhn, kommt Anfang der 1970er Jahre nach West-Berlin und sieht sich in seiner Wohnung nahe der Grenze stets mit der Spaltung der Stadt und ihrer Bevölkerung konfrontiert. Er kommt hier erstmals mit einer Fluchthilfegruppe in Kontakt und entschließt sich, als Kurier wichtige Informationen an fluchtwillige Menschen zu überbringen. Daraus wächst der Wunsch, Menschen aktiv über die Grenze in den Westen zu schmuggeln. Noch im Oktober 1975, wird Herr Kuhn bei seiner ersten Schleusung wegen des Verrats am Grenzübergang Wartha-Herleshausen in Untersuchungshaft genommen. Die Verurteilung zu 6 Jahren Haft wegen „staatsfeindlichen Menschenhandels“ folgt 1976. Zweienhalb Jahre, also bis 1978, verbringt er in der Strafvollzugsanstalt Berlin-Rummelsburg, bevor er von der Bundesrepublik freigekauft wird.
Was ihm während seiner Haft wiederfährt, ist unbeschreiblich. Die widrigen Haftbedingungen und gesundheitliche Probleme setzen Gino Kuhn zu. Was noch während der Haft mit kleinen Zeichnungen begann, mündet nach der Haft in den Wunsch, seine Erlebnisse künstlerisch zu verarbeiten.
Lieber Herr Kuhn, während einer Veranstaltung in der Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung 2012 sagten Sie einmal: „Ich wusste, das konnte nicht alles sein“. Ich kann Ihnen sagen, dass Sie recht hatten: Bis heute zeigen Sie Ihre Kunst, Ihre Erlebnisse, in verschiedenen Ausstellungen in Deutschland. Ihre Werke beschäftigen sich mit dem Thema Mauerbau und mit den Bedingungen in der Haft ehemaliger DDR-Gefängnisse. Sie transportieren das Leid von über 40.000 Verurteilten in Form von Gemälden in die Öffentlichkeit. Damit leisten Sie einen ungemeinen Beitrag für die Gesellschaft und tragen zur weiteren Aufarbeitung bei.
Ihre bildlich dargestellten persönlichen Erfahrungen machen die Geschichte besonders auch für jüngere Generationen erleb- und greifbar. Das ist vor allem dort wichtig, wo nur begrenztes Wissen über die DDR vorhanden ist. Denn vor dem Hintergrund aller internationalen und nationalen Geschehnisse derzeit, ist es wichtiger denn je, Werte wie Freiheit, Menschenrechte und Frieden zu verbreiten. Wir erleben aktuell fast täglich Angriffe auf unsere Demokratie. Angriffe auf etwas, dass die jungen Menschen dieses Landes als Selbstverständlichkeit sehen, da sie in einer Zeit aufgewachsen sind, in der Deutschland immer eins war. In der die freie Meinungsäußerung oder Mitsprache nicht wegzudenken sind.
Es ist unsere Aufgabe ihnen den Unterschied zwischen einer Demokratie und einer Diktatur zu erklären. Ihnen zu zeigen, was auf dem Spiel steht, wenn wir uns nicht mit der Vergangenheit auseinandersetzen. Wenn wir nicht für diese Werte einstehen und vermitteln, dass sie verteidigt werden müssen. Ich bin Ihnen, lieber Herr Kuhn, dankbar, dass Sie es sich zur Lebensaufgabe gemacht haben, Ihre Erfahrungen zu teilen. Ich freue mich auch auf die Einblicke und Ausführungen, die wir gleich von Ihnen erhalten. Damit engagieren Sie sich ganz maßgeblich „Gegen das Vergessen“ und tragen dazu bei, dass die Geschichte sich nicht wiederholt.
Denn der Mauerfall und die Wiedervereinigung Deutschlands sind Ereignisse, die vor allem durch die Menschen herbeigeführt wurden, die sich nicht der Unterdrückung ergeben haben. Die den Mut zum Wiederstand aufbringen konnten und deren sehnlichster Wunsch nach Freiheit alle menschenverachtende Methoden der Unterdrückung überdauert hat.
Vielen Dank.