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Blick in den Plenarsaal und hauptsächlich die Flaggen für Deutschland, Berlin und Europa
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Rede der Präsidentin des Abgeordnetenhauses von Berlin, Cornelia Seibeld, anlässlich der Gedenkstunde der Märzrevolution 1848

18.03.2025 16:30, Friedhof der Märzgefallenen, Ernst-Zinna-Weg 1, 10249 Berlin

Die Revolution im Jahre 1848 ist nicht einfach auf einen Nenner zu bringen. Da liegt es nahe, sich auf bestimmte Zeitpunkte und lokale Geschehnisse zu konzentrieren. Und natürlich sind die Geschehnisse in der zweiten Märzhälfte des Jahres 1848 in Berlin besonders dramatisch. Der öffentliche Aufruhr, das Hin-und Herschwanken der Sympathien der Berliner Bürger, die Barrikadenkämpfe und die Demutsgeste des Königs vor den Gefallenen waren eindrückliche Erlebnisse für die Zeitzeugen. Ein Drehbuch hätte sie nicht spannender erfinden können. Hier wurde Geschichte mit Blut geschrieben.

Die Ereignisse der Jahre 1848 und 1849 lassen sich nur im europäischen Kontext verstehen. Sie gehören zur gemeinsamen historischen Prägung der europäischen Völker. Im Frühjahr 1848 brachen politische Unruhen fast zeitgleich auf dem ganzen Kontinent aus. Von der Schweiz und Portugal bis in das heutige Rumänien und Moldau, von Norwegen, Dänemark und Schweden bis nach Sizilien und den westgriechischen Inseln. Es war eine zusammenhängende Abfolge von Revolutionen im gesamten Europa. Die Gemeinsamkeiten sind verblüffend. Überall wurden die gleichen Forderungen laut:

– Verfassung statt Absolutismus,
– unabhängige Justiz,
– Presse- Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit,
– die Einrichtung einer Bürgerwehr,
– Wahlrechtsreformen.

Das waren die in Jahrzehnten gewonnenen liberalen Überzeugungen. Und auch die weitergehenden Forderungen waren in vielen europäischen Städten ähnlich:

– Die Abschaffung der Vorrechte des Adels,
– eine progressive Einkommenssteuer,
– die Beseitigung des Notstandes der Arbeiter,
– sowie die Republik statt einer Monarchie.

Frankreich gebührt die Anerkennung, die führende Rolle gespielt zu haben. Am 23. und 24. Februar 1848 kam es in Paris dazu, dass sich Menschenmassen versammelten, die Marseillaise sangen und die bewaffneten Kämpfe losbrachen. Die Nachrichten aus Paris über den Sturz der Monarchie verbreiten sich wie ein Funkenflug in ganz Europa.

Frankreich ist dabei auch Vorbild für das Modell des Nationalstaats. In vielen Staaten verbanden sich die Forderungen nach den Freiheitsrechten mit denen nach nationaler Selbstbestimmung und Einheit. Ganz besonders galt das für Dänemark, für die Tschechen, die Ungarn, Italien und Deutschland. Zersplitterung und Fremdherrschaft sollten überwunden werden.

Die weitreichendste Bedeutung für Deutschland hatte sicherlich die Wahl der ersten deutschen Nationalversammlung, die in der Paulskirche in Frankfurt tagte. Gewählt wurde nach einem allgemeinen und gleichen Männerwahlrecht. Das Frauenwahlrecht setzte sich erst 1919 durch. Die Paulskirche steht vor allem für drei Dinge:

Erstens die Idee eines deutschen Nationalstaates auf demokratischer und parlamentarischer Grundlage. Der preußische König hat diesen Anlauf mit der Ablehnung der angebotenen Kaiserkrone scheitern lassen. Und es folgten in der deutschen Geschichte seither viele Katastrophen:

– Zwei Weltkriege,
– zwei Diktaturen,
– die Verbrechen des Nationalsozialismus,
– die deutsche Teilung,
– die Herrschaft der SED,

und doch ist die Idee der Verbindung von Einheit und Freiheit in der Friedlichen Revolution der Jahre 1989/1990 Wirklichkeit geworden.

Die zweite Langfristwirkung sind die demokratischen Werte, die unserer politischen Kultur zugrunde liegen. Der Grundrechtekatalog ist die bedeutendste Leistung der Paulskirchenversammlung. Darin wurden die Freiheitsrechte des Einzelnen festgeschrieben. Beispiele sind:

– Glaubens- und Gewissensfreiheit,
– Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit, Freizügigkeit,
– Schutz der Wohnung sowie
– die Rechtsgleichheit aller Bürger.

Der Grundrechtskatalog des Grundgesetzes entspricht in weiten Teilen wörtlich dem der Paulskirche.

Drittens wurde hier die parlamentarische Demokratie eingeübt. Hier sind die freie Debatte, die Arbeit in den Ausschüssen sowie die Formulierung von Anträgen und Gesetzen entwickelt worden. Ja, auch die Kompromissfindung, die ein wesentliches Element der Demokratie ist, gehört dazu.

Es gibt also großartige gemeinsame demokratische Traditionen in Europa und Deutschland. Bei allen äußeren und inneren Anfechtungen sollten wir das nicht vergessen. Ganz im Gegenteil:

Wir sollten daraus die Kraft schöpfen, unseren Beitrag für das Fortleben unserer Demokratie zu leisten. Ich danke Ihnen.