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Grußwort des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Ralf Wieland zur Hissung der Fahne von Terre des Femmes

24.11.2017 11:00, Abgeordnetenhaus

Das diesjährige Motto der Fahnenaktion von Terre des Femmes lautet: „Mädchen schützen! Weibliche Genitalverstümmelung gemeinsam überwinden.“

Zum Einstieg zitiere ich aus dem Buch der Menschenrechtsaktivistin Waris Dirie.

„Mir fiel auf, dass an der schartigen Schneide der Klinge Blut klebte.

Die Frau spuckte darauf und wischte sie an ihrem Kleid ab.

Noch während sie das tat, verdunkelte sich meine Welt.

Meine Mutter hatte mir ein Tuch vor die Augen gebunden.

Dann spürte ich, wie mein Fleisch, meine Geschlechtsteile, fortgeschnitten wurden.

Ich hörte den Klang der stumpfen Klinge, die durch meine Haut fuhr.

»Herr im Himmel, lass es rasch vorüber sein«, betete ich. Und das war es auch, denn ich verlor das Bewusstsein.“

So beschreibt Waris Dirie die Beschneidung in ihrer Autobiografie „Wüstenblume“. Mit den Dornen eines Akazienbaums wird sie bis auf ein winziges Loch zugenäht. Bis auf ein winziges Loch, kaum größer als ein Streichholzkopf. Mehrere Wochen verbringt Waris allein unter einem Baum in der Wüste Somalias – mit Entzündungen und hohem Fieber.

Das war 1970 - Waris Dirie gerademal fünf Jahre alt. Es ist ungefähr zwanzig Jahre her, dass sie sich mit ihrem Buch an die breite Öffentlichkeit wandte. Und die quälende Wahrheit ist: Weibliche Genitalverstümmelung ist heute noch aktuell. Weltweit sind nach Angaben von UNICEF mehr als 200 Millionen Frauen beschnitten. In Deutschland leben Schätzungen zufolge rund 48.000 Opfer. Es verschlägt mir Sprache, wenn ich darüber nachdenke, wie jung die meisten von ihnen waren, als ihnen die äußeren Genitalien ganz oder teilweise entfernt wurden. Wie ahnungslos und wie schutzlos. Wir können nicht einmal ausschließen, dass weibliche Genitalverstümmelungen in unserem Land stattfinden. Es passiert in unseren Hinterhöfen. Es passiert im Rahmen von sogenannten Ferienbeschneidungen im Ausland. Wir dürfen nicht wegschauen. Denn dieses Thema ist auch ein politisches.

Weibliche Genitalverstümmelung ist eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung und zumeist Kindesmisshandlung. Sie raubt Frauen ihr Lustempfinden und ihre sexuelle Selbstbestimmung. Sexuelle Selbstbestimmung ist aber Freiheit. Der Verstoß gegen Gesetze liegt dabei – zumindest in Deutschland und in der EU – auf der Hand. Neben der Strafverfolgung muss das Hauptaugenmerk auf Bildung und Prävention liegen.

Das Abgeordnetenhaus hat die Relevanz des Themas erkannt. Im letzten Jahr zeichneten wir das Desert Flower Center im Krankenhaus Waldfriede mit der Louise-Schroeder-Medaille aus. Das Center macht Berlin zu einer wichtigen Anlaufstelle für betroffene Frauen. Denn die medizinische Fachabteilung sorgt für eine ganzheitliche Behandlung der Opfer. Wir – und da darf ich heute für alle Berliner Abgeordneten sprechen – stellen uns hinter die Forderung der Vereinten Nationen: Weibliche Genitalverstümmelung soll bis 2030 der Vergangenheit angehören.

Bisher reichen Gesetze und Resolutionen im Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung aber nicht aus. Es dauert, kulturelle Riten und Traditionen zu durchbrechen. Und es ist schwer, diesen Prozess von außen anzustoßen. Umso wichtiger sind Organisationen wie Terre des Femmes. Durch Communityarbeit fördern sie ein Umdenken innerhalb der praktizierenden Bevölkerungsgruppen. Sie schützen dadurch gefährdete Mädchen und Frauen. Und das Tag für Tag. Sie sind unentbehrlich im Einsatz für eine gesunde und gleichgestellte Gesellschaft.

Wir hissen heute gemeinsam die Fahne „Frei leben – ohne Gewalt“. Sie weht für die Opfer von weiblicher Genitalverstümmelung. Und sie weht für diejenigen, die im langatmigen Kampf gegen diese blutige Tradition nicht aufgeben.

Ich bitte nun Frau Professorin Kosack von Terre des Femmes um einige Worte.

Vielen Dank!