Grußwort des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Ralf Wieland anlässlich der Stolperstein-Verlegung für Paul Arenberg
22.11.2014 15:15, Bastianstraße 11
Wir haben soeben einen Stolperstein für Paul Arenberg verlegt. Paul Arenberg war bis 1933 Stenograf im Preußischen Landtag. Er wurde von den Nazis Anfang März 1943 nach Auschwitz deportiert. Die dortige Lagerhaft überlebte er nicht. Wenige Tage nach seiner Ankunft im Konzentrationslager wurde er ermordet. Zum Verhängnis wurde Paul Arenberg einzig der Umstand, dass er Jude war. Da zählte es auch nicht, dass er 1906 aus der Jüdischen Gemeinde Berlins ausgetreten war. Wir stehen heute am letzten Wohnhaus von Paul Arenberg in der Weddinger Bastianstraße 11. Ende der dreißiger Jahre zogen seine Frau und er hier her. Es war nicht die beste Berliner Adresse. Der Wedding galt von jeher als Bezirk armer Leute. Und auch die Arenbergs waren inzwischen arm, bitterarm. Hier fanden sie eine Bleibe, die für sie noch bezahlbar war. Ihre bisherige Wohnung im bürgerlichen Schmargendorf konnten sie sich schon lange nicht mehr leisten. Bis zum Tode der Eltern lebten die Arenbergs dann bei ihnen. Danach gingen sie hierher in den Wedding. Der soziale Abstieg von Paul Arenberg war politisch gewollt. Im Zuge des sogenannten „Preußenschlags“ wurden die Bezüge der Mitarbeiter des Preußischen Landtags um die Hälfte gekürzt. Ab dem 7. April 1933 griff das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“. Politisch Andersdenkende und jüdische Beamte verloren ihre Arbeit in den staatlichen Einrichtungen – so auch Paul Arenberg. Sein beruflicher Weg als Parlamentsstenograf, den er seit 1908 beschritten hatte, war damit beendet. Fortan musste er sich mit Zwangsarbeiten, vermittelt durch das Arbeitsamt, durchschlagen. Das waren keine Schreibtisch-Tätigkeiten. Das war harte körperliche Arbeit, die Arenberg fortan ausüben musste – vor allem in Rüstungsbetrieben. Für einen künstlerischen Menschen wie ihn war das die Höchststrafe. Irgendwann Ende 1942, Anfang ´43 erlitt Paul Arenberg einen Arbeitsunfall: Er brach sich den rechten Arm. Das Arbeitsamt hatte nun keine Verwendung mehr für ihn. So war Paul Arenbergs Schicksal besiegelt. Die Deportation ins Konzentrationslager wurde in die Wege geleitet. Das Todesurteil über Paul Arenberg war gesprochen. Zurück blieb Anna Arenberg, seine Witwe, die erst einen Monat später – im April 1943 – vom Tod ihres Mannes erfuhr. Doch damit nicht genug: Auch Anna Arenberg verlor ihre Arbeit als Sprechstundenhilfe, weil sie selbst posthum nicht bereit war, sich von Paul Arenberg scheiden zu lassen. Steine sprechen nicht. Und so können uns die Steine dieses Wohnhauses nicht berichten, wie die Eheleute privat ihr Schicksal aufnahmen. Wir können nur hoffen, dass diese beiden Menschen sich gegenseitig geachtet und geliebt haben. Dass sie sich gegenseitig halten konnten in den schweren Zeiten von 1933 bis 1943. Dass sie ein wenig Glück im Privaten gefunden haben, was ihnen in der nationalsozialistisch geprägten Öffentlichkeit versagt wurde. Inzwischen haben wir dazu gelernt: Stolpersteine zur Erinnerung sprechen sehr wohl. Sie zeigen uns und den nachfolgenden Generationen, dass hier Menschen wohnten, deren Leben zerstört wurde, weil sie aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Herkunft verfolgt, gedemütigt und ermordet wurden. Sie zeigen uns, dass einst staatliche Willkür in Deutschland und in Berlin herrschte. Und sie sagen uns: das darf nie wieder geschehen. Jeder Mensch hat das Recht, sein Leben frei zu leben. Ja, auch das sagen uns die Stolpersteine. Was wir über Paul Arenberg wissen, verdanken wir den Angaben seiner Frau für den Antrag auf Anerkennung als Opfer des Faschismus. Durch das historische Engagement von Dr. Detlef Peitz vom Deutschen Bundestag, durch den Einsatz des Verbandes der Parlaments- und Verhandlungsstenografen und der Stolperstein-Initiative Mitte konnten wir heute diesen Stolperstein verlegen. Dafür möchte ich mich ganz herzlich bedanken. Sie haben dazu beigetragen, dass Opfer der nationalsozialistischen Barbarei, von denen wir wenig oder gar nichts mehr wissen, aus dem Tal der Vergessenheit herausgeholt werden. Paul Arenbergs Beispiel kann uns helfen, bei Ausgrenzung, Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit sensibel zu bleiben. Nur wenn wir das schaffen, hat unsere Erinnerungskultur einen tieferen Sinn. Der heutige Tag ist ein guter Tag für die Berliner Gedenkkultur. Herzlichen Dank!