Grußwort des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Ralf Wieland anlässlich der Jahreshauptversammlung der VEMAB
09.02.2015 18:00, Raum 376
Zunächst einmal herzlich willkommen im Abgeordnetenhaus von Berlin – Ihrer alten politischen Wirkungsstätte. Ich freue mich, dass Sie gekommen sind. Und ich freue mich, dass ich Sie begrüßen darf. Ich finde es sehr interessant, dass Sie auch als Abgeordnete im Ruhestand nicht das Interesse an unserem Parlament und an der Entwicklung des Parlamentarismus verloren haben. Davon zeugt auch Ihre Einladung an den einstigen Innensenator Ehrhart Körting, der heute als Gastredner zum Thema „Direkte Demokratie versus parlamentarische Demokratie“ sprechen wird. Fürwahr: Das ist nicht nur ein spannendes Thema, weil sich hier Konflikte abzeichnen können. Das Thema berührt auch die Frage, ob in einer Gesellschaft, die sich wandelt, der bestehende Parlamentarismus so bleiben kann, wie er ist. Oder müssen wir nicht vielmehr analog zum sozialen Wandel auch die Institution Parlament verändern? Einige von Ihnen werden sich erinnern: Ich sagte in meinem damaligen Grußwort zur Feierstunde „30 Jahre VEMAB“ im September letztes Jahr : „Wir dürfen auch in Deutschland mehr Demokratie wagen und dabei öfter die Menschen selbst entscheiden lassen, welcher Weg … eingeschlagen werden soll.“ Wir in Berlin haben ja inzwischen unsere Erfahrungen gemacht in Sachen „Direkte Demokratie“. Zuletzt bei der Frage, wie wir das Tempelhofer Feld künftig nutzen wollen. Die Bürgerinnen und Bürger bezogen klar Stellung gegen den Gesetzentwurf des Abgeordnetenhauses. Ich denke, der Souverän muss das aushalten können, wenn der Bürgerwille sich für einen anderen Weg entscheidet. Ich möchte nun nicht dem Referat von Ehrhart Körting vorgreifen oder es vorwegnehmen. Und dennoch möchte ich auf einen weiteren Aspekt der Modernisierung unserer Parlamente aufmerksam machen. Mehr Mitbestimmung, mehr Partizipation der Menschen außerhalb der Parlamente ist ohne Frage ein zentraler Punkt, dem sich auch der Parlamentarismus stellen muss, ja auch stellt. Wenn ich mir nun die wissenschaftliche Diskussion anschaue, dann werden wir über kurz oder lang ein weiteres Thema auf der Tagesordnung haben: Es betrifft die Generationengerechtigkeit politischer und parlamentarischer Entscheidungen. Dabei sind keineswegs nur die lebenden Generationen gemeint, sondern auch künftige – also Generationen, die noch nicht leben. Das klingt auf den ersten Blick absurd. Aber wenn wir ehrlich sind: so ganz abwegig ist dieser Gedanke nicht. Die Auswirkungen politisch-parlamentarischer Entscheidungen können weit in die Zukunft hinein wirken und die Lebensqualität zahlreicher zukünftiger Generationen tief greifend beeinflussen. Mir fällt dabei der Ausstieg aus der Atomenergie ein. Oder die Endlagerung des Atommülls. Es sind diese Entscheidungen, die uns deutlich werden lassen: Politik hat auch eine immense Zukunftsverantwortung. Es mag überraschend sein, auch angesichts der derzeitigen Entwicklungen in Ungarn, aber eben Ungarn ist dasjenige Land in Europa, das einen Ombudsmann installiert hat, der in die politischen Entscheidungen eingebunden ist, sofern sie auch kommende Generationen betreffen. Hierzu hat Ungarn 2008 seine Verfassung geändert. Immerhin, denn in Deutschland gibt es meines Erachtens nicht einmal eine ernsthafte Diskussion oder Überlegung, diesen Weg zu beschreiten. Das heißt aber nicht, dass wir in nicht allzu ferner Zukunft über die institutionalisierte Form von Generationenverantwortung debattieren werden. Was ich sagen möchte: Der gesellschaftliche Wandel führt auch zu Veränderungen unseres Parlamentarismus. Ich finde es gut, dass sich die Vereinigung der ehemaligen Mitglieder auch mit der Transformationsproblematik befasst. Heute bezogen auf die Dialektik von Direkter Demokratie und repräsentativer Demokratie. Ich bin mir sicher: Das wird ein spannender Abend für uns alle. Vielen Dank!