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Grußwort des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Ralf Wieland anlässlich der Gedenktafel-Enthüllung für Carl Bolle

28.09.2015 15:00, Alt-Moabit 88

Ich freue mich, Sie heute zur Enthüllung der Gedenktafel für Carl Bolle zu begrüßen. Seit dreißig Jahren gibt es das Berliner Gedenktafel-Programm mit den durchaus ästhetisch anmutenden weißen KPM-Porzellan-Tafeln. Im Oktober 1985 wurden die ersten drei Tafeln enthüllt und seither schmücken über 400 Gedenktafeln den Berliner Stadtraum. Die Tafeln spiegeln das Engagement des Landes Berlin wider, wichtige Persönlichkeiten an ihrem Wohnsitz oder ihrer Wirkungsstätte zu ehren sowie frühere herausragende Institutionen dem Vergessen zu entreißen. Es ist ein wunderbares Programm, um Stadtgeschichte lebendig zu halten. Es werden in erster Linie Personen geehrt, die einst aktiv ihr Umfeld gestalteten und in die Gesellschaft hineinwirkten. Es sind Personen, die wirtschaftliche, politische, wissenschaftliche, künstlerische oder soziale Verantwortung übernahmen – kurzum es sind Personen, die Berliner Geschichte schrieben. Zur Berliner Wirtschaftsgeschichte gehört zweifellos Carl Bolle, der Meiereibesitzer, der auf diesem Gelände ab 1886 eine moderne Molkerei etablierte und für Jahrzehnte den Berliner Milchmarkt dominierte. Carl Bolle wurde am 1. September 1832 im havelländischen Milow bei Rathenow geboren und wuchs als Waise auf. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts versuchte er im wirtschaftlich sowie gesellschaftlich enorm wachsenden Berlin sein unternehmerisches Glück. Zunächst als Bauunternehmer (er war Maurermeister) und Fischgroßhändler, schließlich als Baumschulenbesitzer. Erst als er 1879 in das Molkereigeschäft einstieg, stellte sich der wirtschaftliche Erfolg für ihn persönlich ein. Seine ersten drei Milchwagen rollten 1881 durch die Straßen Berlins und arbeiteten so erfolgreich, dass schnell Investitionen und Expansion folgen konnten. Mit dem Erwerb dieses Grundstücks hier in Alt Moabit schuf er die Basis für seinen Erfolg. 1887 verkauften etwa 100 Kutscher und ca. 200 Milchjungen täglich 40.000 Liter Milch aus Bolles Wagen. Sein Erfolgsgeheimnis waren die tadellos reinen, weißen Milchwagen, die strengen Qualitätskontrollen, die bei den Milchbauern begannen, sowie die zuverlässigen Lieferungen. Die Milchwagen verließen frühmorgens ab 4.30 Uhr das Molkereigelände und die Bollejungen bedienten treppauf, treppab die Kundschaft. Die auf jedem Wagen mitgeführte Glocke bescherte dem Unternehmer den Spitznamen „Bimmel-Bolle“. Dem Zeitgeist entsprechend sah sich Carl Bolle nicht nur als Unternehmer, sondern auch als „Firmenvater“. Er spannte ein christlich-soziales Netz für seine „Bolle-Familie“, zu dem eine firmeneigene Kapelle ebenso gehörte wie bezahlter Urlaub in Bolles Ferienheimen an der Nord- und Ostsee oder in Rheinsberg. Kinder der Angestellten konnten ab 1891 in einem Ferienheim in seiner havelländischen Heimat Milow ihre Ferien verbringen. Noch heute erinnert eine Jugendherberge im ehemaligen Sommersitz der Familie an diese schöne Tradition. Ferner existierte eine Betriebskrankenkasse, die die Angestellten im Krankheitsfall absicherte. Aus firmeneigenen Publikationen wissen wir, dass etwa der Heilige Abend 1915 gemeinsam in der Betriebskapelle gefeiert wurde. „Es sollte sich keiner an diesem Abend vereinsamt fühlen“, heißt es dort. Eine derart enge Fürsorge trug freilich ambivalente Züge. Während der „Firmenvater“ einerseits auf das Wohl und die Absicherung seiner Angestellten bedacht war, agierte er andererseits autoritär. Er verlangte bedingungslose Disziplin. Kam ein Bollejunge zu spät zur Arbeit oder war er nicht ordnungsgemäß gekleidet, erfolgten sogleich Lohnentzug und Strafe. Heute, an seinem 105. Todestag, ehren wir mit einer Gedenk-Tafel den Unternehmer Carl Bolle für sein Lebenswerk. „Bimmel-Bolle“ und seine Meierei kannte jedes Berliner Kind und es ist wunderbar, wie dieses Ensemble von der Freiberger Gruppe sowie deren Eigentümer, Ernst Freiberger, wieder hergerichtet worden ist. Die Bolle Festsäle, die in der ehemaligen Betriebskapelle eingerichtet wurden, erinnern an diesen Traditionsstandort. Ein weiteres Berliner Traditionsunternehmen, die GASAG Berliner Gaswerke Aktiengesellschaft hat die Gedenk-Tafel für Carl Bolle gesponsert. Vielen herzlichen Dank dafür! Und deshalb gebe ich nun das Wort an die Vorstandsvorsitzende der GASAG, an Frau Vera Gäde-Butzlaff.