Grußwort des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Dennis Buchner zum Neujahrsempfang der ÜPFI zum Thema intersektionaler Feminismus
28.02.2023 18:00, Abgeordnetenhaus, Casino
Ich freue mich wirklich sehr, dass Sie die Tradition Ihres Neujahrsempfangs in diesem Jahr wieder aufgenommen haben. Seien Sie – wie immer wieder gerne – herzlich willkommen im Abgeordnetenhaus von Berlin! So oft, liebe Frau von Braun, wie ich Sie und Ihre Mitstreiterinnen in den vergangenen Monaten hier bei uns im Haus begrüßen durfte, grüße ich wohl sonst nur die Mitglieder und die Mitarbeitenden dieses Hauses. Das zeigt mehr als deutlich: Sie leisten ungemein wichtige Arbeit zum Wohle der Frauen in unserer Stadt - und noch dazu: diese wird parteiübergreifend respektiert und anerkannt!
Heute Abend widmen Sie sich einem Thema, das die ÜPFI schon lange bewegt: dem intersektionalen Feminismus. Ohne Zweifel ein wichtiger Fokus, der die Lebenserfahrungen und Verwobenheit von Diskriminierung noch genauer beschreibbar und vor allem greifbar macht.
Es ist ja oft so, dass gerade Frauen nicht allein anhand ihres Geschlechts, sondern anhand mehrerer zusammenwirkender Merkmale diskriminiert werden. Auch in Bereichen, in denen wir es vielleicht weniger erwarten würden oder wo tatsächlich immer noch debattiert wird, ob es sich nicht gar um „gerechtfertigte“ Diskriminierung handelt. Ich denke da zum Beispiel an die Schlechterstellung adipöser Frauen auf unserem Arbeitsmarkt, die sich für adipöse Männer so nicht nachweisen lässt. Ich denke da auch an die spezifischen Diskriminierungserfahrungen, die muslimische Frauen leider allzu oft machen müssen. Queere Arbeiterkinder stehen vor anderen Herausforderungen als queere Akademikerkinder, Schwarze Frauen machen andere Diskriminierungserfahrungen als Schwarze Männer, Transfrauen andere als Transmänner.
In der Politik sollten wir denjenigen besser zuhören, die überlappend und gleichzeitige Formen der Unterdrückung erleben. Denn „gerechtfertigte“ Diskriminierung gibt es nicht! Und nur, wenn wir die Zusammenhänge kennen, können wir zielgerichtet intervenieren und mit wirksamen Maßnahmen gegensteuern.
Das gilt im Übrigen auch für unsere eigenen Reihen im Parlament. Denn der intersektionale Blickwinkel macht auch deutlich: Repräsentanz ist ein wesentlicher Faktor, um gute Politik für alle Berlinerinnen und Berliner machen zu können. Als Abgeordnetenhaus von Berlin wollen wir die gesamte Vielfalt der Stadt abbilden. Um da perspektivisch besser zu werden, müssen wir die Strukturen aufbrechen, die den weißen, heteronormativen, nichtbehinderten Mann noch immer bevorzugen, indem wir etwa feministische und antirassistische Werte fördern oder uns fragen, wie wir Podien besetzen und wer an unseren Veranstaltungen teilnehmen kann. Und ja, als Parteien können wir uns natürlich auch überlegen, wen wir auf die Wahllisten setzen.
Eine der führenden Stimmen in der frühen Intersektionalitätsdiskussion war die Wissenschaftlerin Audre Lorde, die in den beginnenden 90er-Jahren als Gastprofessorin an der FU lehrte. Sie vertrat die Ansicht: Wenn wir einander in unseren Unterschieden anerkennen, ist das die Quelle von Kreativität und Kraft. Und das ist doch ein wirklich guter Impuls, der uns alle in der Politik inspirieren sollte. Die ÜPFI – das weiß ich sicher – wird auf jeden Fall dran bleiben und auch uns dabei unermüdlich mit Forderungen, Ratschlägen und der notwendigen Expertise begleiten.
Liebe Mitglieder der ÜPFI, sie verfolgen die Berliner Landespolitik aufmerksam und deswegen wissen Sie natürlich genau, dass am 16. März ein neugewähltes Parlament zusammentritt. Auch meine Zeit als Präsident des Abgeordnetenhauses geht damit zu Ende. Ich möchte die Gelegenheit daher nutzen und mich recht herzlich bei Ihnen für die konstruktive und überaus freundliche Zusammenarbeit bedanken. Gemeinsam konnten wir viel bewegen. Ich denke beispielsweise gerne zurück an gemeinsame Veranstaltungen wie zum internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November. Klar ist: Die Kämpfe für eine echte Gleichstellung zwischen den Geschlechtern sind noch nicht zu Ende geführt. Ich hoffe jedoch, dass von meiner Präsidentschaft zwei Signale ausgegangen sind. Zum einen: Sie führen diese Kämpfe nicht alleine, sondern gemeinsam mit der Mehrheit dieses Parlaments. Und zum anderen: Auch wir Männer sind an Bord. Ehrlicherweise einige Jahrzehnte zu spät. Aber es weht nun ein neuer Wind - auch hier im Abgeordnetenhaus - und den sollten wir weiter fegen lassen.
Ich wünsche Ihnen nun alles Gute für das neue ÜPFI-Jahr. Und für heute: einen interessanten Austausch mit vielen neuen Gedanken und Anregungen.
Vielen Dank!