Grußwort des Parlamentspräsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Ralf Wieland anlässlich des Workshops "Ernst Reuter und der Kommunismus"
26.11.2018 10:00, Abgeordnetenhaus
Ich darf Sie zunächst alle zusammen im Abgeordnetenhaus von Berlin willkommen heißen.
Sie veranstalten heute einen Workshop mit dem Thema „Ernst Reuter und der Kommunismus“. Damit rücken Sie einen Mann und Politiker in den Fokus, dem unsere einstige Frontstadt so unendlich viel zu verdanken hat. Wenn wir Berlinerinnen und Berliner auch heute noch an Ernst Reuter denken, dann sehen wir nicht den ehemaligen Kommunisten. Wir sehen dann den Vorkämpfer für die Freiheit der Berlinerinnen und Berliner in der unmittelbaren Nachkriegszeit.
Wir haben das zuletzt am 9. September mit einer größeren Veranstaltung getan. Da ging es um den 70. Jahrestag der berühmten Reuter-Rede „Ihr Völker der Welt“. Es war damals weniger eine Rede an die Berliner Bevölkerung – immerhin lauschten geschätzte 400.000 Berlinerinnen und Berliner seinen Worten. Es war eine Rede an die westlichen Alliierten, Berlin nicht aufzugeben im sowjetischen Einflussbereich Deutschlands. Man kann wohl sagen: Der ehemalige Zögling sowjetischer Revolutionäre, er traute dem stalinistischen Machtstreben nicht. Und umgekehrt: Der sowjetische Diktator traute Reuter nicht, wie das Veto der Sowjets zur Oberbürgermeisterwahl Reuters verdeutlichte. Renegaten – das war das letzte, was die Kommunisten akzeptierten.
Die Frage ist natürlich erlaubt, und sie ist ja auch spannend: Wäre Berlin damals in Teilen, in den West-Sektoren, eine freie Stadt geblieben ohne das engagierte Wirken von Ernst Reuter? Ich bin auch als Nachgeborener geneigt zu sagen: Wohl kaum.
Die Gefahr, dass Berlin als Ganzes in sowjetische Hände fiel, war groß. Und sie war real. Das haben die Berlinerinnen und Berliner damals – 1948 - sehr intensiv gespürt. Die Berlin-Blockade der Sowjets und die Luftbrücke der westlichen Alliierten waren in dieser Hinsicht ein dramatisches Signal von weltpolitischer Bedeutung. Reuters Einsatz für die Freiheit Berlins speiste sich nicht nur aus seinen mittlerweile gewonnenen politisch-ideologischen Vorbehalten.
Es war vielmehr seine intime Kenntnis der Kommunistischen Parteien und ihrer Funktionäre, die ihn für die Sache der Demokratie, der Sozialdemokratie, kämpfen ließ. Ernst Reuter wusste aus eigenem Erleben als ehemaliger Funktionär der KPD: Beim Thema Diktatur des Proletariats lag die Betonung auf Diktatur. Und vor dieser musste das am Boden liegende, zerstörte Berlin – jedenfalls in den westlichen Teilen – bewahrt werden.
Das Jahr 1948 lieferte so immer wieder Beispiele, wie sehr den damaligen Kommunisten unter dem Schutz der Sowjetmacht daran gelegen war, die politische Vormacht zu werden. Da ist einerseits die sowjetische Weigerung im Kontrollrat, die Wahl Ernst Reuters zum Oberbürgermeister anzuerkennen. Und da sind andererseits die fortgesetzten und gelenkten Demonstrationen gegen die Berliner Stadtverordnetenversammlung, die im Neuen Stadthaus in Ost-Berlin tagte.
Das waren Angriffe auf ein frei gewähltes Gesamtberliner Parlament, die so nicht hingenommen werden konnten. Die Verlegung des Sitzes des Stadtparlaments am 6. September 1948 in den britischen Sektor, die der Vorsteher Otto Suhr anordnete, war folglich konsequent aus Sicht der demokratischen Fraktionen.
Aber damit zeichnete sich dann auch die parlamentarische ebenso wie die administrative Spaltung Berlins ab. Bei den Wahlen zur Berliner Stadtverordnetenversammlung im Dezember 1948, die nur in den westlichen Sektoren stattfand, fuhr die SPD mit Ernst Reuter als Oberbürgermeister-Kandidat einen überwältigenden Wahlsieg ein: 64,5 Prozent der Wählerinnen und Wähler gaben der SPD ihre Stimme.
Ernst Reuter wurde zum Oberbürgermeister gewählt. Er war die Vertrauensperson der Nachkriegs-Berlinerinnen und –Berliner. Das machte gerade diese Wahl deutlich. Er galt als Vater der Stadt.
Wie populär Ernst Reuter in der Bevölkerung war, machte sein unerwarteter Tod vor 65 Jahren dann deutlich. Mehrere hunderttausend Menschen folgten 1953 als Trauerzug dem Sarg Ernst Reuters. Die Freiheitsglocke läutete. Und neben Bundespräsident Theodor Heuss hielt ein junger Mann die Trauerrede: Es war Willy Brandt, damals Berliner Bundestags-Abgeordneter und ein enger Weggefährte von Ernst Reuter.
Aus heutiger Sicht müssen wir wohl sagen: Die Förderung von Willy Brandt durch Ernst Reuter war damals auch ein Vermächtnis Reuters an die Stadt. Erstaunliche biografische Parallelen sind bei beiden Persönlichkeiten zu beobachten – trotz des deutlichen Altersunterschieds. Beide standen als junge Männer ganz weit links. Beide waren Verfolgte der Nationalsozialisten. Beide gingen in die Emigration. Und beide kamen nach Kriegsende ins zerstörte Berlin, um die Stadt wieder mit aufzubauen und um sie vor dem Kommunismus zu bewahren. In der Person Brandts sah sich der Ältere, sah sich Ernst Reuter wahrscheinlich gespiegelt. Das war das Anziehende im gegenseitigen Verhältnis der beiden.
Wir haben uns inzwischen daran gewöhnt, dass Berlin nun wieder eine ganz normale Stadt ist. Der Weg dorthin war steinig. Dabei hatte Ernst Reuter die wohl schwierigste Aufgabe zu meistern. Ihm fiel direkt nach Kriegsende die Aufgabe zu, dafür zu sorgen, dass Berlin nicht aufgegeben wird: nicht von den Menschen, die hier lebten, vor allem nicht von den westlichen Alliierten.
Und ohne die Beharrlichkeit, ohne den Mut Ernst Reuters wäre Berlin nicht dort, wo diese Stadt heute steht. Mitten in einem geeinten Europa, ganz dicht bei den Menschen aus Nah und Fern. Den Grundstein hierzu legte Ernst Reuter.
Lassen Sie mich abschließend noch eine Anmerkung machen. 1918 war ein Wendejahr im Leben Ernst Reuters. Er kehrte aus Russland zurück, wohin ihn der Erste Weltkrieg verschlug. Zunächst als Kriegsgefangener, dann als engagierter revolutionärer Mitkämpfer eines kommunistisch geprägten Rätesystems. Reuters erster politischer Weg in Deutschland führte ihn am 30. Dezember 1918 dann hier in diesen Saal, in dem der Gründungskongress der Kommunistischen Partei Deutschlands stattfand. Er war als „Vertreter der russischen Sowjetrepublik“ anwesend und verfolgte die Debatten, etwa über die Beteiligung der KPD an der Wahl zur Nationalversammlung.
Wir befinden uns hier im Saal also auf den historischen Spuren Ernst Reuters. Ich bin mir sicher, Ihr Workshop wird noch weitere Spuren freilegen im Rahmen der Beiträge, die Sie heute zu Ernst Reuter und seinem Verhältnis zum Kommunismus diskutieren.
Vielen Dank und Ihnen viel Erfolg mit Ihrem Workshop.