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Blick in den Plenarsaal und hauptsächlich die Flaggen für Deutschland, Berlin und Europa
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Grußwort des Parlamentspräsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Ralf Wieland anlässlich der Hommage zu Willy Brandts 100. Geburtstag

05.12.2013 18:00, Plenarsaal

- Es gilt das gesprochene Wort - Wir haben eben eine künstlerische Szene aus dem Leben Willy Brandts im Jahr 1936 gesehen. Sie spielt in Berlin. Ich möchte auch eine Szene an den Anfang meiner Worte stellen. Sie geschah in Lübeck, der Geburtsstadt von Willy Brandt. Es ist das Jahr 1929. Oberstudienrat Dr. Kramer, der Englisch- und Französischlehrer von Willy Brandt am ehrwürdigen Lübecker Johanneum, hatte Willy Brandts Mutter zu einem Gespräch gebeten. Es waren nicht so sehr die schlechten Leistungen, weshalb Martha Frahm in die Schule kommen sollte. Willy Brandt war ein guter Schüler. Dr. Kramer sorgte sich vielmehr um das politische Engagement des Jungen und dessen Verortung im sozialistischen Lager. Und so gab Dr. Kramer der Mutter folgenden Rat: „Halten Sie Ihren Sohn von der Politik fern! Der Junge hat gute Anlagen, es ist schade um ihn. Die Politik wird ihn ruinieren.“ Ich denke, wir alle können glücklich sein, dass dieser pädagogische Ratschlag eines Lübecker Lehrers überhört wurde – sowohl von der Mutter Willy Brandts als auch von ihm selbst. „Die Politik wird ihn ruinieren“ – eine harte Prognose, die nur zu verstehen ist aus den Gegensätzen einer Klassengesellschaft in der Weimarer Zeit, in der politische Gegnerschaft oft auch blutig ausgetragen wurde. Wir alle wissen, dass Willy Brandt selbst sehr wohl gefährdet war in jener Zeit. Seine spätere Flucht ins norwegische Exil war daher die persönliche Konsequenz, um dem nationalsozialistischem Terror und der Verfolgung zu entgehen. Blicken wir nun aber nach Berlin. Hierher kam Willy Brandt am 17. Januar 1947 als norwegischer Presse-Attaché. In dieser Stadt wollte er unbedingt sein. Es gibt einen wirklich rührenden Brief von Willy Brandt an seine Tochter Ninja aus diesem Jahr 1947. Ninja lebte in Oslo bei der Mutter. In diesem Brief erklärt der Vater der Tochter, warum er nach Deutschland gegangen ist. „Ich bin ja, wie Du weißt, in Deutschland aufgewachsen. Später habe ich in Norwegen gewohnt. Ich musste nach Norwegen fahren, weil die, die damals in Deutschland regiert haben, dieselben schrecklichen Leute waren, die später auch Soldaten nach Norwegen geschickt haben. Jetzt aber gibt es andere Menschen, die Deutschland wieder aufbauen wollen und dafür sorgen werden, dass das Land nie wieder etwas Falsches gegen andere Länder unternimmt. Und ich finde, dass ich dabei helfen muss, auch wenn ich Norwegen sehr, sehr lieb habe.“ Ich denke, wir alle wissen jetzt, warum Willy Brandt nach dem Krieg nach Deutschland, nach Berlin ging. Er wollte Politiker werden – ein Politiker, der am Aufbau Deutschlands teilhaben wollte, ein Politiker, der sich für die soziale Demokratie stark machen wollte. Für ihn war Berlin das politische Zentrum Deutschlands. Auch nach dem Krieg. Deshalb zog es ihn in diese damals zerstörte Stadt. Und hier machte er schnell die Bekanntschaft des Oberbürgermeisters Ernst Reuter, dessen Kampf um die Freiheit Berlins legendär wurde. Irgendwie, so scheint es, sah sich der ältere Reuter im jungen Brandt gespiegelt. Ihre Lebensläufe weisen ja tatsächlich frappierende Ähnlichkeiten auf – natürlich in unterschiedlichen Generationshorizonten. Die Klammer beider war die Überzeugung, dass ein Demokratischer Sozialismus nur in einer freien Gesellschaft zu verwirklichen war. Reuter und Brandt befürworteten die Westbindung der Bundesrepublik und waren gleichzeitig auch für die enge Bindung von Berlin (West) an die Bundesrepublik Deutschland. Franz Neumann, der populäre Vorsitzende der Berliner SPD hatte große Vorbehalte gegen diese Politik, weil sie die Wiedervereinigung Deutschlands verhindere. Das war übrigens auch die politische Haltung der Bundes-SPD um Kurt Schumacher. Franz Neumann und Willy Brandt – das waren die Antipoden in der Berliner SPD der fünfziger Jahre. Sie mochten sich nicht, und sie bekämpften sich. 1955 sah Willy Brandt jedoch seine Chance gekommen, der Nachfolger von Otto Suhr als Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses zu werden. Die Fraktion nominierte Willy Brandt mit deutlicher Mehrheit. Und auch das Abgeordnetenhaus wählte ihn am 11. Januar 1955 einstimmig zum neuen Parlamentspräsidenten. Erstmals konnte sich Willy Brandt also durchsetzen und ein wichtiges Berliner Amt bekleiden. Sicher, der Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses war überwiegend mit repräsentativen Aufgaben betraut. Doch selbst das war in der damaligen Zeit politisch. Und Willy Brandt meisterte gemeinsam mit seiner attraktiven norwegischen Ehefrau Rut diese Aufgabe mit Bravour. Die Berlinerinnen und Berliner bekamen wieder ein Gefühl dafür, dass Politik auch Spaß machen kann- und zwar jenseits von Drill und Kommandoton. Es sind unter anderem zwei Vorgänge, die aus der Amtszeit Willy Brandts als Abgeordnetenhauspräsident politisch in Erinnerung bleiben werden. Am 21. Oktober 1955 griff Willy Brandt eine Anregung des Kuratoriums Unteilbares Deutschland auf,  jede Abgeordnetenhaus Sitzung mit den Worten einzuleiten: „Ich eröffne die (..) Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und bekunde unseren unbeugsamen Willen, dass Deutschland mit seiner Hauptstadt Berlin in Freiheit wiedervereinigt werden muss.“ Das war nicht nur ein Lippenbekenntnis. Es war der Ausdruck des politischen Willens, die deutsche Teilung zu überwinden. Allerdings in Freiheit. Und unter demokratischen Vorzeichen. Und das zweite Ereignis – es war der Ungarn-Aufstand von 1956. Die Wunden des 17. Juni 1953 waren in Berlin selbstverständlich noch nicht verheilt. Da kam es im November 1956 zur blutigen Niederschlagung des Ungarn-Aufstands. Wieder rollten sowjetische Panzer, wieder gab es Tote. In Berlin wurde eine Großdemonstration vor dem Rathaus Schöneberg abgehalten. Das war am 5. November. Alle Redner waren rhetorisch nicht in der Lage, die aufgebrachten Zuhörer zu beruhigen. Großer Unmut machte sich breit, und schnell sprach sich herum, dass es einen Marsch durch das Brandenburger Tor zur Sowjetischen Botschaft geben sollte. Willy Brandt erkannte sofort die Gefahr, die von diesem Vorhaben ausgehen konnte. Und so ergriff er das Mikrofon, um den Demonstrationszug zum Steinplatz umzulenken. Gleichwohl: Einige Demonstranten zog es trotzdem zum Brandenburger Tor. Mit der Polizei fuhr Willy Brandt an diesen neuralgischen Punkt der Stadt und konnte abermals erreichen, dass die Demonstranten von ihrem Vorhaben abließen. Es war die einhellige Meinung der gesamten Presse – auch der internationalen -, dass Willy Brandt mit seinem Einsatz und mit seiner Fähigkeit, die Menschen mit Worten zu erreichen, die Stadt vor dem Schlimmsten bewahrt hatte. Von nun an galt er als Politiker mit staatsmännischen Fähigkeiten. Viele sahen nun in ihm den kommenden Regierenden Bürgermeister Berlins. Sie sollten Recht behalten. Nach dem plötzlichen Tod des Regierenden Bürgermeisters Otto Suhr wählte das Abgeordnetenhaus am 3. Oktober 1957 Willy Brandt zum neuen Regierungschef des Berliner Senats. Zehn Jahre dauerte Willy Brandts Weg an die Spitze der Stadt. Von 1947 bis 1957 . Etliche innerparteiliche Kämpfe musste er durchstehen, viele Anfeindungen ertragen, auch von den eigenen Parteimitgliedern. Aber am Ende war er erfolgreich, auch dank der vielen Unterstützer in der Berliner SPD, die er im Laufe der 50er Jahre um sich sammeln konnte. Willy Brandt war nicht ohne Fehler, weder politisch noch privat. Er hatte aber die seltene Gabe, mit Glaubwürdigkeit und politischer Standhaftigkeit Menschen zu begeistern. Für sich und für die Grundwerte, die er verkörperte wie kein Anderer – Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Vielen Dank. Ich darf nun das Wort an den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit geben.