Grußwort des Parlamentspräsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Ralf Wieland anlässlich der Buchvorstellung "Willy Brandt und die Stasi"
19.11.2013 18:30, Festsaal
- Es gilt das gesprochene Wort - Ich freue mich, Sie heute Abend zu einer spannenden Buchpräsentation und Diskussion über Willy Brandt und die Stasi im Abgeordnetenhaus von Berlin begrüßen zu dürfen. Willy Brandt hatte mit unserem schönen Parlamentsgebäude keine unmittelbare Berührung. Er war zwar Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses von 1955 bis 1957. Doch damals tagte das Abgeordnetenhaus im britischen Sektor von Berlin, im legendären Rathaus Schöneberg. Und dennoch möchte ich sagen: Ohne Willy Brandt würden wir hier in diesem Haus nicht als frei gewähltes Berliner Parlament sitzen. Denn es war Willy Brandts Ost- und Deutschlandpolitik, die die Teilung Deutschlands und Berlins überwinden half. Dafür sind wir ihm als Berlinerinnen und Berliner auf ewig dankbar. Und da wir im nächsten Monat in unserem Plenarsaal zum 100. Geburtstag von Willy Brandt eine Hommage veranstalten werden, erfüllt es mich mit besonderer Freude, dass Willy Brandt noch selbst die Früchte seiner Politik ernten konnte. Er erlebte die deutsche Wiedervereinigung als Zeitzeuge mit. Das muss für ihn ein ganz großer Gefühlsmoment gewesen sein. Nur wenige Persönlichkeiten werden bereits zu Lebzeiten eine Legende. Willy Brandt gehörte dazu. Leider komme ich mit Blick auf die Geschichte unseres Gebäudes nun zu etwas eher Unerfreulichem. Der Bau der Mauer 1961 führte dazu, dass die Stasi auf dem Dach des Hauses eine Abhörstation installierte. Der ehemalige Preußische Landtag lag direkt an der Mauer und war daher prädestiniert als Basis für geheimdienstliche Funkaufklärung gegen die westlichen Alliierten und den Berliner Senat. Sie sehen: Es gibt durchaus Verknüpfungspunkte zwischen diesem Veranstaltungsort und den Inhalten Ihrer Veranstaltung. Bei dem Thema „Willy Brandt und die Stasi“ ist ganz sicher unsere erste Assoziation der Spion Günter Guillaume. Das ist verständlich. So nah einen Spion am bundesdeutschen Bundeskanzler zu platzieren – das nährt natürlich Gerüchte und führt zu medialen Übertreibungen. Insofern ist es ganz hilfreich, dass Eckard Michels mit seinem neuen Buch über „Guillaume, der Spion“ eine sachliche Aufarbeitung der Agententätigkeit von Günter und Christel Guillaume vornimmt. Das Fazit ist eher ernüchternd: Selbst die Stasi bewertete die Informationen von Günter Guillaume eher als unbedeutend. Und spärlich flossen sie ohnehin nur. Wenn man bedenkt, dass die Stasi politisch gesehen weder dem eigenen Regime noch der Sowjetunion damit einen Gefallen tat, vielmehr die allseits angestrebte Entspannungspolitik geradezu gefährdete, dann stellt sich schon die Frage: Machen geheimdienstliche Operationen, die bis heute bekanntlich sehr, sehr viel Geld verschlingen, wirklich einen Sinn? Mein Gefühl sagt mir Nein. Denn selbst die „Krake Stasi“ konnte nicht verhindern, dass die DDR zusammenbrach. Und ob die U.S.A. wirklich sicherer geworden sind vor Terrorakten, weil die NSA die ganze Welt und Angela Merkel in den Netzen überwachen – das wage ich wirklich zu bezweifeln. Sei‘ es drum. Die Geheimdienste sind das zweitälteste Gewerbe der Welt. Würde man sie abschaffen, würden sie trotzdem irgendwie weiter existieren. Als ich in dem Buch von Frau Prof. Dr. Münkel neulich las, stolperte ich über einen Namen, der mir nicht geläufig war - Josef Braun, der als „Freddy“ für den Auslandsnachrichtendienst der Stasi tätig war. Josef Braun war kein Nobody. Er war genau wie Willy Brandt Stellvertretender Vorsitzender der SPD-Berlin in den 1950er Jahren, zugleich auch Landesgeschäftsführer der Partei. Und ab 1961 saß Josef Braun bis zu seinem Tod im Jahr 1966 im Deutschen Bundestag. Man wird Josef Braun als Top-Quelle einstufen müssen. Immerhin wurde er vom Geheimdienst-Chef Markus Wolf persönlich geführt. Und er widmete „Freddy“ in seiner Autobiografie etliche Seiten, wobei Wolf sein Verhältnis zu Braun als freundschaftlich charakterisierte. Es überrascht, wie nah die Stasi doch selbst an die Führungsgremien westlicher Parteien heranrückte, um dort wichtige Informationen abzuschöpfen. Im Falle von Josef Braun bestand auch durchaus die Absicht, vieles über die Intentionen und Pläne von Willy Brandt zu erfahren. Ihn hielt man schon Ende der 40er Jahre für ein großes politisches Talent der SPD mit Potential für mehr. Dass Josef Braun all die Jahre bis 1966 nicht enttarnt wurde, kann schon als ein kleines Wunder gelten. Bereits am 1. April 1948 erhielt Willy Brandt als Beauftragter des Bundesvorstandes der SPD in Berlin den Hinweis aus französischen Kreisen, dass drei SPD-Mitglieder aus dem Prenzlauer Berg als Spione einzustufen wären. Unter den Genannten war auch Josef Braun. Willy Brandt wusste also schon recht früh zu Beginn seiner Berliner Karriere, dass Josef Braun sehr wahrscheinlich als Agent der anderen Seite eingesetzt wurde. Obwohl Willy Brandt den Hinweis an den Vorstand der SPD in Hannover weitergab, zu irgendwelchen Reaktionen führte diese Information nicht. Im Gegenteil: Josef Braun machte eine ansehnliche Parteikarriere innerhalb der Berliner SPD seit Beginn der 50er Jahre. Politisch trat er jedoch nicht so prominent in Erscheinung, seine Stärken lagen offenkundig mehr im Bereich der politischen Organisation. Allerdings könnte dies auch ein bewusstes Verhalten von Braun gewesen sein. Die Agenten der Stasi waren eigentlich angehalten, sich nicht in den Vordergrund zu drängen, eher zurückhaltend zu agieren, um nicht zu sehr ins Rampenlicht zu geraten. Mit Josef Braun, später dann mit Günter Guillaume waren Stasi-Spitzel immer in der Nähe von Willy Brandt. Jedenfalls sind dies die enttarnten Spione, die bekannt sind. Für mich stellt sich dennoch die Frage: Hätte die Karriere Willy Brandts einen anderen Verlauf genommen, wäre die Stasi nicht in seiner Nähe gewesen? Oder hätte gar die Geschichte einen anderen Weg genommen? Ich habe meine Zweifel. Obwohl die Stasi mit Bestechungen den Erfolg des Misstrauensvotums gegen den Bundeskanzler Willy Brandt aktiv verhindern konnte, das Ende der Kanzlerschaft Brandts war eingeläutet. Zwar gewann Willy Brandt die Neuwahlen 1972 mit einem grandiosen Sieg. Doch es war geradezu Ironie des Schicksals, dass die Enttarnung von Günter Guillaume dann doch das Ende dieser Kanzlerschaft bedeutete. Das war nicht die Absicht der Stasi – und dennoch trat Willy Brandt als Kanzler nach kurzer Bedenkzeit zurück. Doch dafür war eher die eigene Einsicht verantwortlich, dass wichtige Führungskräfte – wie etwa Herbert Wehner – ihn nicht mehr stützten. Mir scheint denn auch, der Primat der Politik wird auch von Geheimdiensten nicht ausgehebelt. Das ist ein Aspekt, der durchaus beruhigende Wirkung haben kann. Ich bin nun sehr gespannt auf die Ausführungen von Frau Prof. Dr. Münkel zum Thema. Ich denke Sie auch. Und ich hoffe auf ein lebhaftes Podiumsgespräch. Willkommen im Berliner Abgeordnetenhaus. Und vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.