Gedenkworte des Präsidenten den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Dennis Buchner zu Tod des Ehrenbürgers Michail Gorbatschow, des Stadtältesten und Senators a. D. Harry Liehr, des Senators a. D. Horst Vetter und der Abgeordneten Heidemarie Fischer
08.09.2022 10:00, Abgeordnetenhaus, Plenarsaal
Ich möchte Sie bitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben. Wir gedenken heute unserem verstorbenen Berliner Ehrenbürger Michail Gorbatschow, dem Stadtältesten und Senator a. D. Harry Liehr, dem ehemaligen Abgeordneten Senator a.D. Horst Vetter und der ehemaligen Abgeordneten Heidemarie Fischer.
Mit Michail Gorbatschow ist ein großer russischer Staatsmann, ein Freund Deutschlands und ein loyaler europäischer Friedensstifter von uns gegangen. Unser Berliner Ehrenbürger starb am Dienstag letzter Woche im Alter von 91 Jahren in Moskau.
Unsere Erinnerungen an den 9. November 1989 und an das Einheitsjahr 1990 sind eng verknüpft mit dem politischen Wirken von Michail Gorbatschow. Vermutlich auch jede und jeder von uns hat Michail Gorbatschow viel zu verdanken. Wie viele Lieben wären nicht gelebt, wie viele Kinder nicht geboren, wie viele Freundschaften wären nicht entstanden? Hätten wir das große Glück der Einheit Deutschlands, der Einheit Berlins ohne Gorbatschow erleben dürfen – oder wären wir immer noch geteilt?
Berlin, wie wir es heute erleben können. Das wäre ohne Gorbatschow wohl nicht denkbar. Es war vor allem seine Entscheidung, die friedliche Revolution in der DDR nicht zu bekämpfen und die sowjetischen Panzer in den Kasernen zu belassen. Auch und gerade am Abend des 9. November 1989, als sich in Berlin die Mauer an der Bornholmer Straße öffnete. Das werden wir Michail Gorbatschow niemals vergessen. Er bleibt für uns ein Botschafter des Friedens.
Michail Gorbatschow stand für ein friedliches und ein selbstbestimmtes vereintes Europa, er wollte das gemeinsame europäische Haus mit bauen, wie er immer wieder betonte.
Anfang 1990 wurde er Präsident der Sowjetunion. Er verstand sich als Sozialdemokrat, der den Reformprozess von Glasnost und Perestroika fortführen wollte. Doch es fehlte die Unterstützung der eigenen Landsleute, um diesen Kurs in Russland durchzusetzen. 1991 wurde er letztlich aus dem Amt des Präsidenten gedrängt und trat zurück. Die russische Demokratiebewegung scheiterte, mit weitreichenden Folgen, wie wir heute erleben müssen. Michail Gorbatschow war für alle Europäerinnen und Europäer ein Hoffnungsträger. Und seiner Politik ist es zu verdanken, dass der eiserne Vorhang fiel und so viele mehr in Freiheit und Demokratie leben können. Beides gilt es zu verteidigen. Auch und gerade in der Ukraine. Er verstand es wie kein anderer Politiker, seine politische Haltung durch Worte wirken zu lassen.
„Wir alle sind Passagiere an Bord des Schiffes Erde, und wir dürfen nicht zulassen, dass es zerstört wird.“ Eine Mahnung für uns alle, über alle Grenzen hinweg. Unsere Anteilnahme gilt seiner Tochter Irina.
Am 24. August 2022 verstarb der Stadtälteste, ehemalige Abgeordnete und Senator Harry Liehr. Er wurde 95 Jahre alt. Unserem Parlament gehörte Harry Liehr als Mitglied der SPD-Fraktion von 1959 bis 1962 und noch einmal von 1975 bis 1979 an.
Harry Liehr absolvierte eine Lehre als Betonbauer. Später studierte er Wirtschaft, Soziologie und Philosophie in Großbritannien und in den USA an der renommierten Harvard Universität. Harry Liehr arbeitete als Abteilungsleiter für Jugend, Berufsausbildung und Handwerk im DGB und als Generalbevollmächtigter verschiedener sozialtherapeutischer Betriebe. Auch seine politische Karriere widmete er den Bereichen Jugend, Arbeit Soziales. Sowohl hier im Parlament als auch im Deutschen Bundestag, dem er von 1962 bis 1971 angehörte.
Auch in der Exekutive übernahm Harry Liehr Verantwortung für unsere Stadt. Unter dem Regierenden Bürgermeister von Berlin Klaus Schütz war er als Senator für Arbeit und Soziales und später als Senator für Verkehr und Betriebe zuständig. Er hat sich kontinuierlich und auf den verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Ebenen für Berlin und die Menschen in unserer Stadt stark gemacht. Dafür wurde Harry Liehr 1998 mit dem Verdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet. 2016 folgte die Ehrung mit der Stadtältestenwürde von Berlin. Unsere Anteilnahme gilt seinen erwachsenen Kindern.
Horst Vetter starb am 27. August nur einen Tag vor seinem 95. Geburtstag. Nach der Mittleren Reife und einer kaufmännischen Lehre machte er sich in den 1950er Jahren als Großhändler selbständig, gründete verschiedene Unternehmen im Bereich Papier- und Bürobedarf.
Aufgrund seiner unternehmerischen Tätigkeiten stand Horst Vetter der FDP politisch nahe und trat 1961 der Partei bei. Zur Abgeordnetenhauswahl 1971 zog er über die Bezirksliste der FDP in Reinickendorf in das Landesparlament ein. 1975 wählte ihn seine Fraktion zum Vorsitzenden. Er blieb bis 1983 in dieser Funktion.
Dann wählte das Abgeordnetenhaus Horst Vetter zum Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz im Senat von Richard von Weizsäcker. Dieses Amt gab er 1986 nach einer Spendenaffäre auf. Horst Vetter gehörte zu den Architekten des Machtwechsels in Berlin im Jahr 1981, in dem er den Schwenk der FDP zur CDU vorantrieb und die FDP schließlich 1983 eine Koalition führte. Wir trauern mit seiner Ehefrau Sonja und den erwachsenen Kindern.
Am vergangenen Sonntag starb die langjährige Weddinger Abgeordnete Heidemarie Fischer. Sie wurde 77 Jahre alt. Nach der Schule absolvierte sie eine Ausbildung zur Inspektorin bei der Deutschen Rentenversicherung, wechselte 1974 als Sachbearbeiterin zum Bundesinstitut für Berufsbildung. Heidemarie Fischer widmete sich in ihrer Freizeit der Bezirkspolitik und trat 1975 in die SPD ein.
Nebenher engagierte sie sich in der Arbeiterwohlfahrt – und das kontinuierlich und bis zum Schluss. Der Zusammenhalt, das Soziale, die Rechte von Frauen, Seniorinnen und Senioren waren ihr wichtig. Ihre bestimmte, dabei aber immer freundliche Art verschaffte ihr Respekt und öffnete ihr Karrierewege.
1986 zog sie erstmals in das Berliner Abgeordnetenhaus ein, dem Heidemarie Fischer insgesamt 16 Jahre angehörte. Hier profilierte sie sich im Laufe der Jahre fachlich als innenpolitische Expertin ihrer Fraktion. Ihr Herz schlug aber weiter für das Soziale.
Nach dem Ausscheiden aus dem Parlament wurde Heidemarie Fischer Vorsitzende der Landesseniorenvertretung. Dem Haus blieb sie insofern verbunden, da sie einmal im Jahr das Seniorenparlament im hiesigen Plenarsaal organisierte. Mit Herzblut hat sie sich bis zuletzt für soziale Gerechtigkeit eingesetzt. Auch als Landesvorsitzende der sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft 60plus. Nur gemeinsam sind wir stark – das war ihr Leitsatz und so handelte sie.
Bis vor ein paar Wochen stand Heidemarie Fischer mitten im politischen Leben und hinterlässt nun eine große Lücke. Unsere Anteilnahme gilt ihrem Ehemann Hans-Joachim und der erwachsenen Tochter Susanne.
Ich danke Ihnen, dass Sie sich zu Ehren der Verstorbenen erhoben haben.