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Die Freiheitsglocke hat immer für alle Berliner geläutet

24.10.2000 00:00, Rathaus Schöneberg

Reinhard Führer 24.10.2000, Rathaus Schöneberg Jubiläum der Freiheitsglocke

'50 Jahre Freiheitsglocke in Berlin'. Eine solche Stunde des Erinnerns verbindet Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Die Freiheitsglocke ist nicht - wie manche heute meinen - nur ein Symbol der Vergangenheit. In ihrer Bedeutung weist sie - wie so viel in der Nachkriegsgeschichte unserer Stadt - in die Zukunft hinein. Das sollten wir alle uns viel öfter bewusst machen - im politischen Tagesgeschäft, aber auch bei politischen Weichenstellungen für die nahe Zukunft. Denn: Erinnerung gibt Orientierung.

Die Freiheitsglocke hat immer für alle Berliner geläutet: in West und Ost.

Sie war ein Geschenk der USA an die West-Berliner, die in der Zeit der Blockade unter großen Entbehrungen und Opfern der äußeren Bedrohung widerstanden und ihre Freiheit bewahrt hatten.

Sie war ein Ausdruck der Hochachtung für die Menschen in West-Berlin. Sie wurde zum Symbol der Hoffnung für die Menschen in Ost-Berlin und in der damaligen DDR.

Wie stark damals die Symbolkraft der Freiheitsglocke war, habe ich 1991 - also nach der Vereinigung unseres Landes - durch ein persönliches Erlebnis in eindrucksvoller Weise erfahren:

Hier im Rathaus Schöneberg - in Raum 195, ich weiß es noch wie heute - tagte der Hauptausschuss des ersten Gesamtberliner Abgeordnetenhauses.

Mittags um 12.00 Uhr erklang - mitten in die Beratungen hinein - wie an jedem Tag die Freiheitsglocke. Für uns Abgeordnete aus dem Westteil der Stadt war dies in Sitzungen längst eine vertraute Geräuschkulisse. Niemand schenkte ihr noch besondere Aufmerksamkeit.

In einer Pause kurz danach aber sprach mich eine Parlamentskollegin an, eine Abgeordnete aus Hohenschönhausen.

Ich bemerkte, wie die Worte aus ihr hervorbrachen. Sie musste einfach mit jemandem reden, und vielleicht war es Zufall, dass sie gerade mich ansprach.

Leise sagte sie: 'Sie können sich nicht vorstellen, welches Glück es für mich bedeutet, die Freiheitsglocke jetzt im Original - und nicht nur im RIAS - zu hören. Darauf habe ich jahrzehntelang gewartet.'

Meine Damen und Herren, diese Worte und die tiefe innere Freude, die aus ihnen sprach, haben mich damals sehr bewegt, und ich habe sie bis heute nicht vergessen.

Es war ein Stück jener Freude, die wir alle am Abend des 9. November 1989 empfunden haben, als in Berlin die Mauer fiel.

Es war jene Freude, die ich vielen unter uns - in Ost und West - auch in den Jahren danach gewünscht hätte, als uns die Einheit unseres Landes persönliche Veränderungen, finanzielle Einschränkungen und andere Probleme brachte.

Der RIAS, der unvergessene und verdienstvolle Sender der Nachkriegszeit, hat den Klang der Freiheitsglocke Tag für Tag mittags um 12.00 Uhr weit über Berlin hinaus übertragen - Jahrzehnte hindurch. Er hat den Menschen im Ostteil der Stadt und in der damaligen DDR damit Hoffnung gegeben - Hoffnung auf Einheit und Freiheit, die damals für sie so fern schienen.

Der Sender hat dieses Zeichen der Hoffnung - vielen Anfeindungen in Ost und West zum Trotz - immer wieder ausgestrahlt.

Der RIAS ist dann nach der Wiedervereinigung leider sehr schnell 'abgewickelt' und in das DeutschlandRadio eingegliedert worden. Ich meine, das Jubiläum der Freiheitsglocke ist ein Anlass, dem RIAS und seinen Mitarbeitern noch nachträglich dafür zu danken, dass sie - letztlich erfolgreich! - den Gedanken der Einheit lebendig gehalten haben.

Meine Damen und Herren, auch heute, nach zehn Jahren deutscher Einheit und in einer völlig veränderten weltpolitischen Situation, ist die Botschaft der Freiheitsglocke aktuell geblieben.

Wir bleiben gefordert, wenn - ich zitiere - 'die Unantastbarkeit und die Würde jedes einzelnen Menschen' bedroht ist.

Wir bleiben gefordert, wenn es gilt - ich zitiere wiederum - 'jedem Angriff auf die Freiheit und der Tyrannei Widerstand zu leisten, wo immer sie auftreten'.

Wir selbst haben heute den Vorzug, in Freiheit zu leben, und wir sollten uns bewusst sein, dass dies ein Vorzug ist.

Anderen Völkern in der Welt werden Freiheit und Menschenrechte noch immer verweigert. Wir sollten zu ihnen stehen, so wie damals die Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien und Frankreich zu uns gestanden haben, als unsere Freiheit bedroht war.

Die Erhaltung der Freiheit war damals die unverzichtbare Grundlage für die spätere Einheit unseres Landes. 1948/49 ist nicht nur die Freiheit eines Teils dieser Stadt bewahrt worden, sondern die Chance auf Einheit der ganzen Stadt.

Auch deshalb ist das Jubiläum der Freiheitsglocke nicht ein Jubiläum der ehemaligen West-Berliner, sondern ein Jahrestag der ganzen Stadt.

Ich wünsche uns allen, dass der Geist der Freiheit, der diese Glocke aus den Vereinigten Staaten von Amerika nach Berlin gebracht hat, in Berlin - in ganz Berlin - lebendig bleibt.