Begrüßung des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Ralf Wieland zur Gedenkstunde "17. Juni 1953"
17.06.2021 09:15, Abgeordnetenhaus, Plenarsaal
Heute geht unser Blick für eine knappe Stunde zurück. Wir erinnern an den Aufstand der Frauen und Männer in der einstigen DDR, der sich rund um den 17. Juni 1953 ereignete. Und wir gedenken der Menschen, die diesen Tag und die Folgetage nicht überlebten, weil sie willkürlich erschossen oder zum Tode verurteilt wurden. Die traurige Bilanz damals: Über hundert Tote.
Meine Damen und Herren,
Frauen und Männer in allen Teilen der DDR gingen am 16./17. Juni 1953 auf die Straße und demonstrierten gegen die Wirtschafts- und Sozialpolitik der SED unter Walter Ulbricht. Was als friedliche Streikaktion begann, mündete sehr schnell in einen politischen Aufstand, der eine rasante Eigendynamik entfaltete und die sowjetische Besatzungsmacht in der DDR zu gewaltsamen Gegenmaßnahmen mobilisierte. Sowjetische Panzer fuhren auf als Zeichen der äußersten Gewaltbereitschaft gegenüber den Demonstranten. Der Machtapparat der SED-Diktatur hingegen war in dieser Situation wie gelähmt, nicht in der Lage aus eigener Kraft den Aufstand zu unterbinden. Heute, mit dem Abstand von fast siebzig Jahren sehen wir historisch, dass der sogenannte Volksaufstand vom 17. Juni 1953 der Anfang vom Ende der DDR war. Wir sehen aber auch, dass dieser Volksaufstand eine osteuropäische Protestbewegung gegen die Vorherrschaft der Sowjetunion in Gang setzte, die selbst die UDSSR am Ende implodieren ließ. Dafür steht der Aufstand in Ungarn 1956. Dafür steht die mutige Verteidigung des Prager Frühlings 1968. Dafür steht die Gründung der polnischen Freien Gewerkschaft Solidarność Anfang der 1980er Jahre. Und dafür steht zu guter Letzt die Friedliche Revolution von 1989, die in die deutsche Vereinigung von 1990 mündete.
Auch wenn die einzelnen Ereignisse für sich zu betrachten sind und sie auch einen jeweils spezifischen nationalen Impuls hatten – was sie verbindet, ist der antikommunistische und antisowjetische Charakter. Aber auch die jeweilige nationale Selbstbestimmung der politischen Verhältnisse war zudem ein zentrales Anliegen der Demonstrierenden. Das wurde auch rund um den 17. Juni 1953 deutlich. So stand unverhohlen die Forderung nach der deutschen Wiedervereinigung im Raum – eine Wiedervereinigung unter demokratischen Vorzeichen mit freien Wahlen. Allerdings: Dieses Postulat sollte dann erst mit der Friedlichen Revolution von 1989 erfüllt werden. Für mich ist dieser Vereinigungswunsch nach wie vor die elementare Brücke zwischen den Erhebungen von 1953 und 1989.
Meine Damen und Herren,
bei den meisten Menschen in der DDR gab es also von Anfang an eine tiefe Sehnsucht nach nationaler Einheit in Freiheit. Diese Sehnsucht konnten SED und Staatssicherheit auch nach 1953 nie wirklich unterbinden, einfach weil Gefühle nicht überwacht und gesteuert werden können. Ein Staat, der seine Bürgerinnen und Bürger – wie seit 1961 geschehen - einsperrt und im Zweifel auch auf der Flucht erschießt , mag Stärke symbolisieren und Angst verbreiten. Anerkennung, Respekt wird dieser Staat nie erlangen. Das hat die Geschichte gezeigt.
Meine Damen und Herren,
ich freue mich, dass wir heute Tom Sello, unseren Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, als Redner gewinnen konnten. Er war Oppositioneller in der DDR und hat die Friedliche Revolution hautnah miterlebt und mit initiiert. Sein Blick zurück zum 17. Juni 1953 wird sicherlich beeinflusst sein von diesen Erfahrungen mit der DDR-Diktatur.
Vielen Dank, Herr Sello, dass Sie heute zu uns sprechen. Ich darf Ihnen nun das Wort erteilen.