Begrüßung des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Ralf Wieland anlässlich der Ausstellungseröffnung "Revolution macht Republik"
10.12.2018 18:00, Abgeordnetenhaus
Der November 1918 markiert eine einschneidende, eine bis heute nachwirkende Zäsur in unserer Geschichte.
Damals, vor 100 Jahren, wurde unser Land endlich Republik und erhielt eine demokratische Verfassung, damals wurde endlich ein Krieg beendet, der in vier langen Jahren Millionen Opfer gefordert hatte. Die Menschen, die in jenen Tagen im Deutschen Reich und in der Hauptstadt Berlin auf die Straße gingen oder in den politischen Gremien wirkten, sie schrieben Geschichte. An diese Menschen, an diese Ereignisse des Herbstes und Winter 1918/1919 erinnert die Ausstellung, die heute hier im Abgeordnetenhaus von Berlin, dem ehemaligen Preußischen Landtag, eröffnet wird.
Anfang November 1918 überschlugen sich die Ereignisse: Am 9. November wurde gegen Mittag bekannt, Wilhelm II., der deutsche Kaiser und König von Preußen, habe abgedankt. Kurz darauf rief der Abgeordnete Philipp Scheidemann vom Reichstag aus die Republik aus. Und zwei Tage später schwiegen an den Fronten des Ersten Weltkriegs endlich die Waffen. Die Ära der Monarchie, die den Krieg zu verantworten und obrigkeitsstaatlich regiert hatte, war zu Ende. Die Geschichte der parlamentarischen Demokratie begann.
Im Jahr darauf gab sich Deutschland eine Verfassung, die den Bürgerinnen und Bürgern ihre Grundrechte garantierte und allen, also erstmals auch den Frauen, das Wahlrecht zusprach. Die Weimarer Republik schuf Grundlagen, auf denen das Deutschland, in dem wir heute leben, beruht. Der Sturz der Monarchie, die Republikgründung und der Friedensschluss waren Ergebnisse einer Revolution, die 1918 angesichts der katastrophalen Lage das gesamte Deutsche Reich erfasst hatte. Die Menschen litten unter dem Krieg, sie sehnten sich nach Frieden und Normalität. Die Soldaten an der Front fühlten sich verheizt, die Menschen zu Hause hungerten. Als die Marineführung die Flotte Ende Oktober 1918, als der Krieg schon längst verloren war, in eine letzte Schlacht schicken wollte, lehnten sich die Matrosen gegen dieses Selbstmordkommando auf. Mit ihrer Meuterei gaben sie das entscheidende Signal. Überall im Land bildeten sich erst Soldaten- und dann auch Arbeiterräte. Sie forderten nicht nur die Beendigung des Krieges, sondern auch politische Macht. Die Gruppierungen und Parteien, die die Revolution trugen, vertraten allerdings unterschiedliche Vorstellungen.
Das zeigte sich auch am 9. November: Unmittelbar nach Scheidemann rief Karl Liebknecht die „Freie Sozialistische Republik“ aus. Die Oberste Heeresleitung mit Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff an der Spitze weigerte sich jedoch, ihre Verantwortung für die Niederlage auf sich zu nehmen. Sie waren es, die im Verlauf des Krieges faktisch in Form einer Militärdiktatur, das Sagen in Deutschland hatten. Aber anstatt für das von ihnen zu verantwortende Desaster einer missratenen Kriegspolitik einzustehen, delegierten sie vielmehr die Waffenstillstandsverhandlungen an die Regierung und am 11. November unterzeichnete der Reichstagsabgeordnete Matthias Erzberger den Waffenstillstand. Er beendete einen Krieg, der mit dem Einsatz von Tanks und sogar Giftgas sowie dem zermürbenden Stellungskrieg eine bis zu jenem Zeitpunkt nicht gekannte Dimension des Schreckens erreicht hatte. Erzberger jedoch erfuhr für seine Mitwirkung am Waffenstillstand keinen Dank.
Im Gegenteil: Er wurde von rechten und rechtsradikalen Parteien und Organisationen heftig angegriffen und 1921 von Rechtsradikalen ermordet. Die inneren Zwistigkeiten, die Putschversuche und wirtschaftlichen Probleme waren eine starke Belastung für die junge Republik. Die jedoch erfüllte auch viele lang gehegte Hoffnungen. Doch letztlich hatte sie zu wenig Zeit, um demokratisches Bewusstsein breit und tief zu verankern.
Nicht einmal 15 Jahre nach der Republikgründung, am 30. Januar 1933, ernannte Hindenburg, seit 1925 Reichspräsident, Adolf Hitler, zum Reichskanzler. Kaum an der Macht, traten die Nationalsozialisten Demokratie und Menschenrechte mit Füßen und brachen einen weiteren Weltkrieg vom Zaun. Erst nachdem sie besiegt waren, konnte erneut eine Demokratie aufgebaut werden. Wenn wir heute an das Ende des Ersten Weltkriegs und die Ausrufung der Republik vor 100 Jahren erinnern, dann blicken wir auf denkwürdige Ereignisse zurück. Dann machen wir dramatische Tage noch einmal lebendig, die unserer Geschichte eine neue Wendung gaben und die das Leben der Generationen vor uns stark prägten.
Aber wenn wir an die Vergangenheit erinnern, dann fragen wir auch, welche Erkenntnisse die Geschichte für uns bereithält. Dann fragen wir, was vergangene Geschehnisse uns, die wir in anderen Zeiten leben, zu sagen haben. Dieser Bezug zur Gegenwart macht die große, die bleibende Bedeutung unserer Erinnerungskultur aus. Schon lange gibt es eine mit Vehemenz geführte, strittige Debatte bei uns darüber, wie und warum es zu den Entwicklungen 1918/1919 in Deutschland kam.
Dabei sollten alle beteiligten Protagonisten in Politik, Wissenschaft und Gesellschaft sich heute immer wieder vor Augen führen, dass es für die beteiligten politischen Akteure damals keine Blaupause gab, um nach dem Zusammenbruch der alten monarchischen Ordnung, die revolutionären Entwicklungen in geordnete Bahnen zu lenken, Chaos, Bürgerkrieg und das Auseinanderbrechen des Staates zu verhindern. Auf den Mitgliedern des Rates der Volksbeauftragten und den Delegierten des 1. Reichskongresses der Arbeiter- und Soldatenräte im Dezember 1918 lastete eine ungeheure Verantwortung. Die Macher der heute zu eröffnenden Ausstellung haben ihre Sicht der damaligen Ereignisse in Bild und Ton gesetzt. Dabei legen sie besonderen Wert darauf, zu verdeutlichen, dass einige Vorkommnisse anders hätten laufen können, um z. B. eine Spaltung der Arbeiterbewegung zu verhindern. Hier wird insbesondere das Agieren von Friedrich Ebert, seiner Regierung und der Mehrheitssozialdemokraten eher kritisch ins Bild gesetzt und auf die zahlreichen Opfer der Straßenkämpfe im Januar und Frühjahr 1919 hingewiesen, die insbesondere der Einsatz der Freikorps forderte. Ja, da sind furchtbare Taten im Namen der Regierung begangen worden und niemand sollte diese Opfer kleinreden oder gar vergessen.
Es gehört aber auch zur Wahrheit darauf hinzuweisen, dass Vertreter eines Rätesystems, die eindeutigen und vor allem legitimierten Mehrheiten im Reichskongress für die Wahl einer verfassungsgebenden Nationalversammlung als erster Stufe zur Schaffung der parlamentarischen Demokratie nicht akzeptieren wollten. Im revolutionären Elan ihrer Ablehnung nicht nur der Monarchie, sondern auch der parlamentarischen Demokratie griffen diese Kräfte – gegen den Willen von Rosa Luxemburg und führenden Mitgliedern des Parteivorstandes der KPD - zu den Waffen. Außerdem kann man im Übrigen auch bei der Einordnung und Bewertung der Rolle der sog. Volksmarinedivision in jenen Tagen durchaus zu anderen Schlussfolgerungen kommen.
Die Ergebnisse der nachfolgenden Wahlen haben deutlich gezeigt, dass es für ein Rätesystem in Deutschland keine Mehrheit in der Bevölkerung gab. Auch bei einer heutigen kritischen Bewertung der Vorkommnisse der Revolution von 1918/19 und deren Auswirkungen auf das politische Geschehen der Folgejahre kommt man rasch zu der Erkenntnis, dass es nicht nur eine Begründung und eine Wahrheit zu diesem wichtigen Abschnitt unserer gemeinsamen Geschichte gibt.
Ich erlaube mir jedenfalls den Hinweis, dass mir als Präsidenten, anders, als die Ausstellung, die heute hier eröffnet wird, es nahelegt keinerlei historische Belege dafür bekannt sind, wonach die Volksmarinedivision hier vor Ort eine bedeutende Rolle eingenommen hat. Für historisch mindestens ebenso umstritten halte ich die Darstellung, wonach das unzweifelhaft kritisch zu betrachtende Zusammenwirken der Reichsregierung und der Freikorps so weit gegangen sei, dass die SPD-Spitze die Ermordung Luxemburgs und Liebknechts „gebilligt“ habe. Die gewählte Formulierung deutet mehr an, als sie zu beweisen im Stande ist.
Man kann sicher vieles von dem, was sich in den unruhigen Zeiten kurz nach Ende des Ersten Weltkrieges ereignete und vor allem welche Ergebnisse sie für die junge Republik nach sich zogen, kritisch betrachten; aber ich stimme hier mit Siegfried Heimann überein, der in seinem Buch über die politische Geschichte des Preußischen Landtages 1899 – 1947 treffend feststellte: „Dennoch können auch nur halb gelungene Revolutionen einen aus revolutionärem Umbruch hervorgegangenen Fortschritt auf dem Weg zu mehr Demokratie und Selbstbestimmung bedeuten.“ Das darf zweifellos, die Historiker sind sich darüber nun fast einig, auch für die deutsche Revolution von 1918/1919 gesagt werden.
Der Historiker Reinhard Rürup zitiert in diesem Sinne zustimmend den in die USA emigrierten Rechtsanwalt und späteren Politikwissenschaftler Ernst Fraenkel, der mitten im Zweiten Weltkrieg 1943 schrieb: „Was immer man auch sonst vom 9.November halten mag, jenes Beispiel wird geschichtsbildende Kraft behalten. Ein Volk, das einmal in kritischer Stunde sein Geschick in die eigene Hand genommen hat, wird auf die Dauer niemals wieder ganz entmündigt werden.“
Der Blick zurück macht deutlich, wie lang und wie steinig unser Weg zur Demokratie und zu einem friedlichen Miteinander in Europa war. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde zwar angesichts der immensen Verluste der Völkerbund gegründet, ein Vorläufer der Vereinten Nationen. Doch er konnte, als sich die Lage in Europa erneut zuspitzte, nur wenig Wirkung entfalten. Erst nach dem vernichtenden Zweiten Weltkrieg und den Menschheitsverbrechen des Holocaust begab sich Europa auf einen neuen Weg. Politiker wie Bürger bemühten sich um Annäherung und Verständigung und leiteten so eine der längsten Friedensperioden ein, die unser Kontinent je kannte.
Auf unserem Weg zu unserer heutigen parlamentarischen Demokratie markiert der 9. November 1918 ein signifikantes Datum. Damals begann etwas Neues. Seit Jahrhunderten haben bei uns Männer und Frauen für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte gekämpft. Viele von ihnen sind gescheitert. Aber immer wieder griffen andere ihr Vermächtnis auf und setzten sich erneut für Freiheit und Demokratie ein. Und die Geschichte dieses Ringens zeigt mit aller Deutlichkeit: Demokratie muss stets erkämpft und sie muss immer verteidigt werden. Sie fällt nicht vom Himmel und sie bleibt nicht von allein erhalten. Sie hat Bestand, wenn die Menschen sich dafür stark machen. Aber sie kann auch zerstört werden, wenn Demokratiefeinde es darauf anlegen oder wenn eine schweigende Mehrheit antidemokratischen Tendenzen und Akteuren nichts entgegensetzt. Deshalb ist es so entscheidend, sich für Demokratie einzusetzen, sie mit Leben zu erfüllen und die vielen positiven Erfahrungen, die wir mit der Demokratie gemacht haben, immer wieder weiterzuvermitteln.
Dass wir heute in einer stabilen Demokratie leben und die beste Verfassung unserer Geschichte haben, das haben wir den Menschen zu verdanken, die dafür – oft unter Einsatz ihres Lebens – eingetreten sind. Und das haben wir den vielen Bürgerinnen und Bürgern zu verdanken, die heute Verantwortung übernehmen und die mit ihrem Engagement unser demokratisches Gemeinwesen und unser Zusammenleben in einer pluralen Gesellschaft stärken. Wir können froh und dankbar sein, in Frieden und Freiheit zu leben. Das zeigt der Blick auf die 100 Jahre, die seit der Ausrufung der Republik und der Unterzeichnung des Waffenstillstands vergangen sind. Und das sollte, das ist uns Ansporn, unsere Werte zu bewahren und stets für Demokratie einzutreten. Der Ausstellung wünsche ich zahlreiche, interessierte Besucherinnen und Besucher und ich darf jetzt Herrn van Dülmen bitten, uns in den Themenwinter einzuführen und die Idee dieser Ausstellung näher zu erläutern.