Begrüßung des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Dennis Buchner zur Einbürgerungsveranstaltung
23.11.2022 18:00, Abgeordnetenhaus, Festsaal
Es ist mir eine große Freude, Sie heute Abend hier im Abgeordnetenhaus von Berlin begrüßen zu dürfen. Schön, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind. Denn Sie haben eine weitreichende und sehr persönliche Entscheidung getroffen: Sie haben die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen. Dazu möchte ich Ihnen recht herzlich gratulieren.
Es ist inzwischen eine schöne Tradition, dass wir jedes Jahr im Abgeordnetenhaus eine Einbürgerungsveranstaltung durchführen. Pandemiebedingt ist die heutige Veranstaltung sogar schon die zweite in diesem Jahr, denn leider mussten wir die Feier der letzten beiden Jahre bis in den Frühling dieses Jahres verschieben.
Sie alle haben in dieser faszinierenden Stadt ein Zuhause gefunden. Sie bzw. Ihre Familien stammen aus den verschiedensten Ländern der Welt, sie verfügen über ganz unterschiedliche Lebenswege, Erfahrungen und Prägungen. Sie machen unsere Stadt bunter und vielfältiger. Berlin lebt genau davon, dass hier knapp 4 Millionen Menschen leben mit ganz unterschiedlichen Lebensentwürfen, mit unterschiedlicher Herkunft, Religion, Kultur und Identität sowie mit verschiedenen Professionen und Expertisen. Jeder dieser Menschen trägt dazu bei, dass Berlin ein internationales Zentrum der Kultur, der Wissenschaft, der Forschung, des Sports, der Politik und der Wirtschaft ist. Wir Berlinerinnen und Berliner sind stolz auf diese Vielfalt!
Auch Ihre persönlichen Hintergründe sind ganz verschieden: Manche von Ihnen sind hier geboren und aufgewachsen. Andere sind zum Arbeiten oder zum Studium nach Berlin gekommen. Doch was Sie alle miteinander verbindet: Sie sind letztlich gekommen, um zu bleiben. Und das sollte uns alle froh und glücklich machen. Nicht nur, weil das für unsere Stadt spricht. Sondern auch, weil Berlin mehr Menschen braucht, die hier heimisch werden und an der Zukunft der Stadt mitwirken. Es ist ja kein Geheimnis, dass die demografische Situation in Deutschland schwierig ist: immer mehr älteren Menschen stehen immer weniger jüngere Menschen gegenüber. Schon heute zeigt sich eine große Lücke bei Fachkräften in der Arbeitswelt. Das ist natürlich eine große Herausforderung für ein Land, das zu den größten Volkswirtschaften der Welt gehört.
Inzwischen leben Sie nicht nur in unserer aufregenden Stadt. Sie sind auch Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, dieser Bundesrepublik Deutschland geworden. Damit ist Deutschland nun auch Ihre politische Heimat. Sie tragen jetzt auch eine gewisse Mitverantwortung für unser Land. Nicht zuletzt haben Sie sich zu unserer Verfassung, unserem Grundgesetz, bekannt.
Unser Grundgesetz, das die Demokratie in Deutschland festschreibt, ist die Antwort auf das dunkelste Kapitel der deutschen Vergangenheit. In der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur von 1933 bis 1945 wurden die Menschenrechte grundlegend missachtet, wurde der Krieg verherrlicht, wurde der Rassismus zur Staatslehre erhoben. Doch was am allerschlimmsten war: Deutsche haben über sechs Millionen jüdische Menschen ermordet und auch andere Minderheiten, wie Sinti und Roma oder homosexuelle Menschen, verfolgt und getötet. Viel Leid und auch den Tod haben deutsche Soldaten im Zweiten Weltkrieg in viele andere Länder getragen.
Als Lehre aus dieser Zeit lautet der erste Artikel im Grundgesetz daher: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Nie wieder darf sich dieses dunkle Kapitel der Weltgeschichte wiederholen. Weder im eigenen Land noch anderswo. Es ist unser aller Aufgabe, aus der Geschichte zu lernen, sie uns immer wieder zu vergegenwärtigen und unser zukünftiges Handeln danach auszurichten. Wir tun gut daran, dieses grundlegende Prinzip nicht infrage zu stellen.
Natürlich – auch das gehört zur Wahrheit dazu: Das, wozu uns das Grundgesetz anhält, wird nicht von allen Menschen in Deutschland geteilt. Es gibt sie immer noch: Die Rassisten, die Antisemiten und andere Zeitgenossen, denen die Menschenrechte egal sind. Nichts, gar nichts rechtfertigt die Bedrohung von Jüdinnen und Juden in Deutschland oder Angriffe auf Synagogen in unseren Städten, wie wir sie erst kürzlich in Essen wieder erleben mussten. Jeder Form von Antisemitismus, von Rassismus, von Hass auf Muslime, ja von Menschenfeindlichkeit schlechthin muss der Staat – aber nicht nur der Staat –, muss die gesamte Gesellschaft entschieden entgegentreten. Das ist unsere historische Verantwortung. Von ihr können wir uns nicht freikaufen. Mit ihr müssen wir leben. Umso wichtiger ist es, die Grund- und Menschenrechte, die das Grundgesetz garantiert, im Hier und Jetzt zu schützen.
Ohne Frage: Demokratie ist anstrengend. Das kann bei Bürgerinnen und Bürgern auch zu Enttäuschungen führen. Ganz klar. Aber es gibt demokratische Regeln und Gepflogenheiten, die wir achten sollten, wenn wir ein gutes Zusammenleben in unserer Gesellschaft verwirklichen wollen. Dazu gehört, nicht nur die eigenen Freiheitsrechte zu achten. Dazu gehört vielmehr, dass niemand diskriminiert wird, dass Konflikte friedlich gelöst werden und dass bei unterschiedlicher Auffassung Kompromisse eingegangen werden. Die Vielfalt und Pluralität in unserer Gesellschaft ist ohne Kompromiss undenkbar. Kompromisse einzugehen, fällt nicht immer leicht. Doch nur so funktioniert Demokratie.
Besonders besorgt mich jedoch, dass zunehmend der Populismus unsere Demokratie untergräbt. Das sehen wir in Staaten wie den USA, aber auch im eigenen Land. Dieser Populismus ist demokratiefeindlich, zumeist rechtsextrem orientiert und im Kern auch rassistisch. Er negiert die Wahrheit, abstruse Thesen werden aufgestellt und unter Missachtung von Fakten verbreitet. Doch diese kruden Thesen verfangen bei den Menschen. Denn in einer immer komplexeren Welt scheinen die Antworten des Populismus wohltuend einfach zu sein. Ich kann die Sehnsucht nach klaren, eindeutigen und unkomplizierten Antworten auf die großen drängenden Fragen unserer Welt verstehen. Doch so einfach ist die Wirklichkeit eben nicht. Und was noch viel dramatischer ist: die einfachen Antworten sind zumeist einfach, weil sie Zulasten von Minderheiten gehen.
Diese Entwicklung ist längst auch auf dem europäischen Kontinent zu beobachten. Schauen wir nach Polen, schauen wir nach Ungarn, um nur zwei Länder zu nennen, in denen offen von Regierungen die Rechtsstaatlichkeit untergraben wird. Und auch wir in Deutschland müssen uns Sorgen machen. Das zeigt die Stimmungsmache in der Corona-Pandemie und auch in der jetzigen Energiepreiskrise, die durch den russischen Angriff auf die Ukraine ausgelöst wurde. Corona-Leugner und Putin-Versteher diskreditieren ganz bewusst die demokratisch gewählten Institutionen und Personen in unserem Land. Sie wollen polarisieren und einen Keil in unsere demokratische, auf Ausgleich setzende Gesellschaft treiben. Wir können uns derzeit noch glücklich schätzen, dass die demokratischen Parteien in Deutschland gegen diesen Populismus zusammenstehen. Übrigens auch hier im Berliner Abgeordnetenhaus. Und wir sind in der glücklichen Lage, dass die meisten Medien in Deutschland die Demokratie stützen. Sorgen wir alle dafür, dass wir diesen Zusammenhalt bewahren.
Für uns Demokratinnen und Demokraten heißt das konkret: Wir müssen wachsam bleiben, denn es ist in Deutschland schon einmal eine Demokratie gescheitert. Insofern sind wir vorgewarnt. Das unterscheidet uns möglicherweise auch von urdemokratischen Ländern ohne Diktaturerfahrung und lässt uns vorsichtiger sein. Die Freiheit für jeden einzelnen in unserem Land ist keine Selbstverständlichkeit. Es ist ein Auftrag an uns alle, sie zu bewahren.
Liebe Neubürgerinnen, liebe Neubürger,
es gibt im Deutschen einen Begriff, den Sie mit Sicherheit kennen. Die literarische Auseinandersetzung mit diesem Begriff füllt ganze Bibliotheken. Nicht so sehr, weil dieser Begriff besonders umstritten wäre. Vielmehr hat er unwahrscheinlich viele Dimensionen. Ich meine den Begriff „Heimat“. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie ebenfalls bereits über diesen Begriff Heimat nachgedacht haben, denn Sie haben in Berlin Ihre neue Heimat gefunden.
Der Soziologe Heinz Bude etwa sagt, dass Heimat dem Menschen eine innere Schwerkraft verleihe. Ich finde, das ist eine schöne Beschreibung. Einerseits sorgt die Schwerkraft dafür, dass wir am Boden bleiben. Andererseits hat die Schwerkraft aber auch zur Folge, dass wir nicht auf alle Zeiten ganz fest an etwas gebunden sind. Trotz Schwerkraft kann Bewegung entstehen, was in unserem Fall heißen kann: Ein Mensch kann durchaus mehr als nur eine Heimat haben. Ich habe das selbst erfahren.
Geboren wurde ich in Schleswig-Holstein, später dann habe ich in Nordrhein-Westfalen studiert und gearbeitet. Heute lebe ich bereits seit vielen Jahren in Berlin. Ich muss, so glaube ich, nicht betonen, wo nun meine innere Schwerkraft mich verortet. Wer mich heute also fragen würde, wo meine Heimat ist, dann sage ich natürlich Berlin.
In unseren Tagen hat der Begriff Heimat wieder eine höchst politische Dimension erlangt. Leider muss ich sagen. Millionen Menschen aus der Ukraine haben ihr Land wegen des russischen Angriffskrieges verlassen. Auch in Berlin sind inzwischen 90.000 Menschen aus der Ukraine. Was wir also erleben ist die größte Fluchtbewegung in Europa seit Ende des Zweiten Weltkrieges.
Wir sehen aber auch: Heimat ist wieder etwas sehr Fragiles geworden. Sie kann nämlich zerstört werden, angegriffen werden mit militärischer Gewalt. Aber umgekehrt gilt natürlich auch: Heimat lässt sich verteidigen. Mir persönlich nötigt es den größten Respekt ab, mit welcher Energie die Ukrainerinnen und Ukrainer ihr Land, ihre Heimat verteidigen. Es ist förmlich zu spüren, dass hier eine Energie vorhanden ist, die sich aus einer tiefen, tiefen Heimatverbundenheit speist. Sie wollen ihr Land behalten. Und dafür kämpfen sie tagaus, tagein sehr erfolgreich.
Liebe Neubürgerinnen und Neubürger,
ich habe Sie heute ins Abgeordnetenhaus eingeladen, um mit Ihnen Ihre Einbürgerung zu feiern. Das ist ein freudiges Ereignis. Für Sie selbst, aber auch für uns.
Es ist eine gute Tradition, dass Jemand, der selbst vor einiger Zeit eingebürgert wurde, zu uns spricht. Heute wird Herr Mohammed EL Ouahhabi unser Festredner sein. Er arbeitet für den Landessportbund Berlin als Sportintegrationscoach. Herr EL Ouahhabi wird uns seinen Weg zur deutschen Staatsbürgerschaft schildern. Es sind immer individuelle Wege. Und ich bin sehr gespannt, was ihm auf diesem Weg alles widerfuhr.
Ich freue mich nun auf den Abend mit Ihnen. Seien Sie nochmals herzlich willkommen. Vielen Dank.