Ansprache des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Ralf Wieland zur Enthüllung des Ehrenbürgerporträts von Prof. Dr. Michael Blumenthal
25.04.2017 12:00, Festsaal
Ich freue mich sehr, Sie alle heute im Abgeordnetenhaus von Berlin begrüßen zu können. Besonders freue ich mich aber, dass Sie, sehr geehrter Herr Prof. Dr. Blumenthal und Ihre verehrte Gattin unter uns sind. Seien Sie herzlich willkommen. Schön, dass Sie den weiten Weg zu uns gefunden haben. Fast auf den Tag ist es nun doch schon zwei Jahre her, dass Ihnen im Roten Rathaus von Berlin die Ehrenbürgerwürde unserer Stadt verliehen wurde. Heute wollen wir nun gemeinsam mit Ihnen Ihr Künstlerporträt enthüllen, das künftig in der Ehrenbürgergalerie unseres Hauses öffentlich zugänglich sein wird. Damit findet dann die feierliche „Verleihung der Ehrenbürgerwürde an Prof. Dr. Michael Blumenthal“ ihren gebührenden Abschluss. Ich denke, ich kann dies im Namen aller Beteiligten hier im Abgeordnetenhaus sagen: Wir sind stolz, dass künftig auch Ihr Porträt unser Abgeordnetenhaus schmückt. Meine Damen und Herren, es ist gar nicht einfach, eine so angesehene, eine so oft geehrte Persönlichkeit wie Michael Blumenthal mit den richtigen Worten erneut zu würdigen. Deutschland und Berlin haben Ihnen so unendlich viel zu verdanken. Und natürlich stehen dabei für uns Berliner der Bau und die Ausgestaltung des Jüdischen Museums ganz oben auf der Agenda Ihrer Verdienste. Sie haben damit unserer Stadt etwas geschenkt, was man nicht kaufen kann: eine weitere Facette der Aussöhnung. Aber eben auch für jüngere Generationen, die nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurden, eine Facette der Ermahnung. Es bleibt wirklich wichtig, dass wir die Erinnerung an das wachhalten, was der europaweite Holocaust für Millionen Jüdinnen und Juden bedeutet hat. Es bleibt wichtig, dass die deutschen Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen zwischen 1933 und 1945 nicht vergessen werden. Dass wir uns der grausamen Seite unserer Vergangenheit stellen, sie nicht leugnen, sondern sie zum Anlass nehmen, konsequent für die Völkerverständigung einzutreten und uns für Menschenrechte überall auf der Welt einzusetzen, hat dazu geführt, dass Deutschland heute auf gleicher Augenhöhe mit anderen Nationen umgehen kann. Wer hätte das nach dem Zweiten Weltkrieg gedacht? Die Erwartungshaltung war eine andere. Viele Deutsche fürchteten die Rache der Sieger. Sicherlich zu Recht. Sie, verehrter Herr Prof. Blumenthal, haben in Ihrer Autobiografie von einem Wunder gesprochen, das Deutschland in der Nachkriegszeit wiederfuhr, als es Schritt für Schritt in den Kreis der zivilisierten Nationen zurückkehrte. Ich persönlich möchte Ihrer ausgewiesenen historisch-politischen Einschätzung nicht widersprechen. Für mich war dieser Prozess jedoch auch ein gewaltiger moralischer Akt der damals handelnden Politiker jenseits der deutschen Grenzen, der mich bis heute mit einer ganz tief empfundenen Dankbarkeit erfüllt. Denn wir alle wissen: Ein zweiter Friede von Versailles hätte auch Westeuropa erneut gespalten und zerrissen zurückgelassen. Ein geeintes Europa wäre unmöglich geworden. Wir Deutschen wissen ganz genau, wem wir es zu verdanken haben, dass unser Land heute gleichberechtigt in Europa existiert. Neben den Alliierten waren es die vielen europäischen Nachbarn. Sie streckten ihre Hände aus. Das hat Deutschland neu geprägt und es hat aus diesem Land eine Nation gemacht, die in einer wirklichen europäischen Vereinigung eine Zukunft sieht und diese auch anstrebt. Daran werden wir festhalten. Davon bin ich tief überzeugt. Es haben aber nicht nur Staaten – bildlich gesprochen – ihre Hände Deutschland entgegengestreckt. Auch viele Opfer des Rassenwahns des nationalsozialistischen Deutschlands haben dies getan. Sie, lieber Herr Blumenthal, haben sich ebenfalls dazu entschlossen, es zu tun. Dafür sind wir Ihnen sehr dankbar. Mit Ihren Eltern flohen Sie als junger Mensch 1939 zunächst nach Schhanghai. Sie mussten in Ihrer Heimat Berlin alles zurücklassen, was Ihnen lieb und teuer war. Besonders bitter war zudem das Wissen um die Verfolgung und Ermordung lieb gewordener Menschen. Dass Sie vor diesem Hintergrund mit Deutschland abgeschlossen hatten, das ist allzu verständlich. Wir alle können uns glücklich schätzen, dass Sie, Prof. Blumenthal, verzeihen konnten und seit den 1970er Jahren begannen, sich innerlich Deutschland wieder anzunähern. Der Besuch Ihrer Geburtsstadt Oranienburg in der Zeit des Kalten Krieges hat wohl dazu beigetragen, einen neuen Zugang zu Deutschland zu finden. Vielleicht auch deshalb, weil Sie sahen, dass die Stadt – wie Sie sagten – sehr deprimiert wirkte. Sehr geehrter Herr Prof. Blumenthal, meine Damen und Herren, unser Regierender Bürgermeister Michael Müller hat ausführlich vor zwei Jahren begründet, weshalb Berlin Ihnen die Ehrenbürgerwürde verliehen hat. Ich möchte das nicht nochmals wiederholen. Es ist, so denke ich, ebenso berechtigt, über zwei fulminante Reden zu sprechen, die Sie als Homo Politicus gehalten haben. Da ist zum einen Ihre Dankesrede zur Verleihung des Preises für Verständigung und Toleranz aus dem Jahr 2015. Und da ist zum anderen Ihre Rede in Oranienburg zum Thema ‚Zusammenleben im 21. Jahrhundert‘, die Sie 2007 gehalten haben. Beide Reden thematisieren die Notwendigkeit von Toleranz in modernen Gesellschaften. Toleranz ist für Sie geradezu eine notwendige Voraussetzung, um im nicht mehr umkehrbaren Prozess der Globalisierung bestehen zu können. Dafür gibt es Gründe: Sie nennen an erster Stelle die digitale Revolution, die unser Leben und auch unser Wirtschaftsleben revolutioniert und weiterhin revolutionieren wird. Weltweit natürlich, so dass es gar nicht ausbleiben kann, dass immer mehr Menschen dorthin gehen, wo der technologische Fortschritt am weitesten vorangekommen ist. Ohne Toleranz unter den Menschen in diesen erfolgreicheren Ländern passiert etwas, was allen schadet: der ökonomische Aufschwung bremst ab. Es verbreitet sich Unsicherheit, Ab- und Ausgrenzungen sind die Folge. Ein stärker werdender Sozialneid breitet sich aus. Ihre Schlussfolgerungen aus dem Jahr 2007 dazu sind eindeutig: „Ob wir Toleranz wollen oder nicht, ob wir eine Politik verfolgen, die Toleranz fördert oder die sie erschwert, es gibt letztlich keine Alternative dazu, dass wir uns mit den Menschen, die mit und unter uns leben, arrangieren und mit ihnen positiv zusammen leben. Der Schlüssel zu einem erfolgreichen Überleben in der heutigen Welt ist, dass nicht nur ein neues Denken und Handeln erforderlich, sondern von uns ein gewisser Mut abverlangt wird.“ Verehrter Prof. Blumenthal, Ihre Worte von damals haben von Ihrer Gültigkeit aus meiner Sicht nichts eingebüßt. Und dennoch müssen wir alle gemeinsam feststellen, dass selbst in vielen aufgeklärten, demokratischen und fortschrittlichen Ländern politische Kräfte wirken, die glauben, die Lösung der Probleme liegt in einem neuen Nationalismus. Selbst die USA liebäugeln mit diesem politischen Trend. Lassen Sie mich noch kurz auf Ihre Rede eingehen, die Sie 2015 hielten. Die Anschläge von Paris waren zu diesem Zeitpunkt einen Tag alt. Europa war geschockt. Und die Ströme der Kriegsflüchtlinge nach Europa rissen nicht ab. In dieser Situation sprachen Sie von der Notwendigkeit, dass wir der Integration zugewanderter Menschen – und Sie meinten nicht nur die Flüchtenden – viel mehr Aufmerksamkeit schenken müssten. Diese Menschen anderer Herkunft dürften nicht nur in den jeweiligen Gesellschaften leben, sie müssen auch die Chance bekommen, dazu zu gehören. Notfalls auch zum integrierten Leben in Deutschland und den anderen Ländern angehalten werden. Das erfordert guten Willen bei allen. Wir sind also klug beraten, wenn wir das Thema Integration zukünftig viel stärker in den Mittelpunkt unserer Politik rücken. Meine Damen und Herren, Michael Blumenthal wäre nicht Michael Blumenthal, hätte er nicht zugleich auch einen hilfreichen Hinweis parat, wie sich Integration historisch studieren ließe. Für ihn ist die jüdisch-deutsche Geschichte auch eine Geschichte von Integration – natürlich mit vielen dunklen Seiten. Und die wäre im Jüdischen Museum in Berlin hervorragend dokumentiert und aufgearbeitet, so Michael Blumenthal. Ich bin überzeugt: Geschichte wiederholt sich nicht, aber man muss aus ihr Lehren ziehen. Dafür steht auch das Jüdische Museum Berlin. Wie ein Leuchtturm in unserer städtischen Museumslandschaft. Und dafür stehen Sie, verehrter Prof. Blumenthal, dem wir dieses wichtige Museum zu verdanken haben. Ich wünsche Ihnen – und ich spreche jetzt einfach mal für alle: Wir wünschen Ihnen noch viele, viele erfüllte Lebensjahre. Herzlichen Dank. Meine Damen und Herren, bevor wir gleich das Ehrenbürger-Porträt enthüllen, möchte ich noch einige Sätze zum Künstler Michael Triegel sagen, der dieses Kunstwerk erschaffen hat. Michael Triegel wird nach der Enthüllung selbst noch über seine künstlerische Intuition berichten. Insofern kann ich mich kurz dem Künstler selbst widmen, der in Deutschland lebt, genauer gesagt: in Leipzig und 49 Jahre alt ist. Dort in Leipzig ließ er sich auch ausbilden. Gelernt hat Triegel die Technik der Renaissancemeister bei Arno Rink an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst. Rink wiederum studierte bei Werner Tübke, der politisch in der DDR, aber stilistisch im späten 16. Jahrhundert lebte. Michael Triegel arbeitet häufig im kirchlichen Auftrag. Viel öffentliche Aufmerksamkeit erntete 2010 sein Gemälde Papst Benedikt XVI. Einen weiteren Höhepunkt im künstlerischen Leben von Michael Triegel stellte die erste umfassende Retrospektive ‚Verwandlung der Götter‘ im Leipziger Museum der bildenden Künste dar. Über 60 Gemälde erlaubten einen repräsentativen Einblick in sein Werk und gaben dem Kunstpublikum die Möglichkeit, die künstlerische Entwicklung Michael Triegels von der Mitte der 1990er Jahre bis zum Jahr 2010 nachzuvollziehen. Das Werk Michael Triegels umfasst bisher Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen und Radierungszyklen. Neben Landschaften, Stillleben und Porträts sind es vor allem eben die komplexen künstlerischen Auseinandersetzungen mit dem christlich-heilsgeschichtlichen Erbe, die seine Kunst ausmachen. Immer wieder wird Triegel deshalb auch in eine Traditionslinie mit renommierten Künstlern aus der ehemaligen DDR gerückt. Vor allem der Künstler Werner Tübke sei hier erwähnt. Lassen Sie mich nun zum eigentlichen Anlass der heutigen Veranstaltung kommen: Wir werden nun gleich ein weiteres Gemälde aus der Künstlerwerkstatt von Michael Triegel bewundern können. Es zeigt unseren Ehrenbürger Michael Blumenthal. Ich darf deshalb Michael Blumenthal und Michael Triegel bitten, zu mir nach vorne zu kommen.