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Blick in den Plenarsaal und hauptsächlich die Flaggen für Deutschland, Berlin und Europa
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Ansprache des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Ralf Wieland anlässlich der Verleihung der German Jewish History Awards

26.01.2015 18:00, Plenarsaal

Wir kommen heute hier im Plenarsaal des Abgeordnetenhauses von Berlin zusammen, um den 70. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee zu begehen. Dieser Tag, an dem sich das ganze Grauen durch die infernalische Todesmaschinerie der Nationalsozialisten zeigte, wurde zum Gedenktag für alle Opfer des Nationalsozialismus erklärt. Die heutige Preisverleihung der Obermayer-Stiftung erinnert auch an das unermessliche Leid, das der jüdischen deutschen Bevölkerung in den zwölf Jahren des staatlich angeordneten Terrors zugefügt wurde. Jahrhunderte jüdischen Lebens in Deutschland wurden ausgelöscht. Gleichzeitig ist diese Preisverleihung aber auch ein Ausdruck von Aussöhnung und wieder gewachsenem Vertrauen. Der furchtbare Schmerz, den Millionen Juden in Europa erleiden mussten, die Toten und auch die, die gerettet werden konnten, kann nicht in Worte gefasst werden. Was wir aber alle miteinander tun können, und was ganz besonders die Preisträger getan haben und noch tun, um das vergangene jüdische Leben in Deutschland nicht nur zu rekonstruieren, sondern auch zu erforschen und lebendig zu machen, das gibt mir die Hoffnung, dass das in unserem Land nie wieder geschehen kann. Siebzig Jahre, nachdem die Welt von der abscheulichen Barbarei und dem widerlichen Rassismus durch die Bilder aus dem Konzentrationslager Auschwitz Kenntnis erlangt hatte, ist Deutschland nun längst zu einem demokratischen Land herangereift, in dem die Würde des Menschen unbedingter Maßstab des Handelns ist. Als die sowjetischen Truppen am 27. Januar 1945 das größte deutsche Vernichtungslager Auschwitz–Birkenau erreichten, waren dort bereits jahrelang  Menschen gepeinigt, misshandelt, gefoltert und getötet worden, hatten unter unvorstellbaren Bedingungen medizinische Experimente erdulden müssen, waren mit Hunger und Seuchen konfrontiert. Sie waren vor allem Juden, aber auch Polen, Sinti und Roma, sowjetische Kriegsgefangene, politisch Verfolgte. 1,1 Millionen Menschen wurden allein in diesem einen Konzentrationslager verbrannt und verscharrt. Der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog hat sich den Gedenktag ausdrücklich als, „nachdenkliche Stunde inmitten der Alltagsarbeit“, gewünscht. Und auch wir halten heute inne und besinnen uns der dunkelsten Jahre  der deutschen Geschichte. Am 8. Mai 1945, nach der bedingungslosen Kapitulation, war Deutschland nicht nur besiegt, sondern auch befreit. Der Versuch, Europa zu unterwerfen und auf einer rassistischen Grundlage ein nationalsozialistisches Imperium aufzubauen, war endgültig gescheitert. Wenn wir an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee erinnern, dann möchte ich auch daran erinnern, welche unvorstellbar große Opferzahl die Sowjetunion zu beklagen hatte. 27 Millionen russische Staatsbürger, Soldaten, Zwangsarbeiter, Zivilisten sind in nur vier Jahren durch einen unvorstellbar  rücksichtslosen und grausamen Feldzug Deutschlands gegen die Sowjetunion und ihre Bevölkerung ums Leben gekommen. Zum Vergleich: zwischen 1939 und ´45 hatte Deutschland sechs bis sieben Millionen Tote zu zählen. Mit dem Überfall auf die Sowjetunion begann die Eroberung des sogenannten „Lebensraums im Osten“, Ziel war die Schaffung eines riesigen Kolonialreiches bis zum Ural. Die rücksichtslose Germanisierung und Eroberung von neuem Lebensraum hatte Hitler nicht nur in „Mein Kampf“ formuliert, sondern er hatte das auch der Generalität schon im Jahr 1933 als Ziel genannt. Die Befehle zur Eroberung der Sowjetunion waren ganz eindeutig, der Feind sollte „erbarmungslos“ vernichtet werden, politische Offiziere der Roten Armee sollten nach Gefangennahme sofort erschossen werden. Das Völkerrecht wurde mit Füßen getreten. Der Hungertod von Millionen Russen wurde als notwendig erachtet, um die eigenen Soldaten und die deutsche Bevölkerung zu ernähren. Sehr geehrte Damen und Herren, dass Ausschwitz sich nicht wiederholen darf, dafür steht dieser Gedenktag. Dass wir Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, wo immer sie uns entgegen treten, nicht nur benennen, sondern aktiv handeln müssen, auch das ist Sinn von Erinnerungskultur. Die Entwicklungen am rechten Rand unserer Gesellschaft müssen als das dargestellt und benannt werden, was sie in Wirklichkeit sind, nämlich im Kern Feinde einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Und wer sich zu Neonazis in die rechte Ecke stellt, wo antisemitische Parolen gebrüllt werden – ja der steht mit Neonazis in der rechten Ecke. Diesen Vorwurf müssen sich alle machen, die Kritik an Politik und Politikern mit Menschenverachtung und Hass verbinden. Sehr geehrte Damen und Herren, umso wichtiger ist es, auch heute hier in unserem Plenarsaal zu sagen: Die übergroße Mehrheit der deutschen Bevölkerung ist gegen Ausgrenzung und Fremdenhass. Jeder Angriff auf Menschen jüdischen Glaubens, auf ausländische Mitbürger und Asylbewerber ist ein Angriff auf unsere Verfassung und auf unsere Demokratie. Gewaltfrei handeln und tolerant denken, das sind die Bausteine eines modernen  Rechtsstaats. Wir werden uns von Terror jeglicher Art nicht einschüchtern lassen. Berlin ist eine weltoffene, bunte Stadt, in der sich mehr als 190 Nationen wohl fühlen. Wir freuen uns, in Berlin über unsere blühende große jüdische Gemeinde. So viele, auch junge, Israelis sind in den letzten Jahren zu uns gekommen. Ihnen allen rufen wir zu: Bleiben Sie in Berlin, bleiben Sie in Deutschland! Wir stehen nicht nur hinter Ihnen, sondern, wenn es darauf ankommt auch vor Ihnen! Deshalb sei auch an dieser Stelle gesagt: Wegschauen, Teilnahmslosigkeit und Gleichgültigkeit sind Feinde der Mitmenschlichkeit. Sehr geehrte Preisträger, Sie alle haben den Toten Stimmen gegeben. Sie lassen wiederauferstehen, was für immer ausgelöscht werden sollte. Sie geben ihnen ihre Würde zurück. Und Sie bringen vielen Kindern und Kindeskindern  der Opfer ein Stück meist unbekannter Familiengeschichte. Sie helfen dabei, dass wir zumindest einen Teil unserer jahrhundertelangen jüdischen Geschichte, unserer deutschen Geschichte – unserer Vielfalt zurückgewinnen. Im Namen aller Mitglieder des Abgeordnetenhauses danke ich den Preisträgern für ihre teils über Jahrzehnte hinweg geleistete ehrenamtliche Arbeit  und  der Obermayer–Stiftung  für die große Anerkennung, die sie Ihnen damit zollt. Ganz herzlichen Dank!