Ansprache des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Ralf Wieland anlässlich der Gedenkveranstaltung "Jahrestag der Errichtung des Sowjetischen Speziallagers Nr. 7 / Nr. 1" in Sachsenhausen
15.09.2013 11:00, Sachsenhausen
- Es gilt das gesprochene Wort - Es gibt gute Gründe, das vergangene 20. Jahrhundert auch als ein „Jahrhundert der Lager“ zu kennzeichnen. Gerade hier in Sachsenhausen wird deutlich, welche Bedeutung die Lager gerade für Diktaturen als Herrschaftsinstrumente besaßen. Hier gab es keine Rechte für die Insassen. Hier regierte das Unrecht, die Ausbeutung. Und der Tod der Inhaftierten wurde billigend in Kauf genommen. Lager waren, wenn man so will, das Signum der Diktatur. Die Rechtlosigkeit der in Lagern eingesperrten Menschen stand als Sinnbild für Willkür, Folter und Qual. Wir gedenken heute des Tages der Errichtung des Sowjetischen Speziallagers hier in Sachsenhausen. Dort, wo einst die Gegner der Nazis, dort, wo die verfolgten Juden zwangskaserniert waren, ja dorthin verbrachte nur kurze Zeit später im August 1945 die damalige sowjetische Besatzungsmacht ihre Gefangene. Wir gedenken heute vor allem aber der Männer, Frauen und Jugendlichen, die hier in Sachsenhausen im Speziallager unter schlimmen Bedingungen interniert und gepeinigt wurden. Viele – man zählt in etwa 12.000 Menschen - starben hier. Andere, die diese Lagerzeit überlebten, wurden um ihre Freiheit, um ihre wertvolle Lebenszeit gebracht. An all diese Unmenschlichkeit muss erinnert werden. Es ist gut, dass wir das heute wieder tun. Orte wie Sachsenhausen machen betroffen. Diese Betroffenheit richtet sich nicht einmal in erster Linie gegen irgendein politisches System. Wobei ich gegen jegliche Form von Diktatur bin. Sie macht vielmehr deutlich, wie wichtig in jeder Gesellschaft individuelle, rechtsstaatlich garantierte Rechte für Einzelne sind. Doch man muss der Fairness halber auch fragen: Konnte es Gerechtigkeit unmittelbar nach der Kapitulation des Deutschen Reiches am 8. Mai1945 geben? Konnte die sowjetische Besatzungsmacht gerecht gegen Deutsche sein nach den erbitterten Kriegshandlungen und Kriegsverbrechen auf dem Boden Russlands? Ich denke kaum. Anders waren die Zusammenhänge bezogen auf die NS-Lagerpolitik. Hier fand eine systematische Vernichtung politischer Gegner und angeblich rassenideologisch minderwertiger Menschen statt. Die exakt durchgeplante Liquidation von Millionen Menschen wurde angestrebt, war ein erklärtes Ziel der NS-Politik. Die Lager der Nationalsozialisten waren Vernichtungslager. Einen anderen Sinn hatten sie nie. Dieser Punkt markiert einen elementaren Unterschied zwischen der Lagerpolitik der Sowjetunion als Besatzungsmacht und dem NS-System. Damit soll nicht bestritten werden, dass auch in den Speziallagern der Sowjetunion der Tod der Insassen billigend in Kauf genommen wurde. 12.000 Todesopfer allein in Sachsenhausen sprechen eine deutliche Sprache über das Menschenbild und die Achtung von Menschenrechten in diktatorischen Ländern. Hier gibt es nichts zu beschönigen. Es war eine gute Entscheidung, auch die Geschichte des Sowjetischen Speziallagers in Sachsenhausen zu dokumentieren. In der DDR wurde die Existenz dieser Lager verschwiegen, es gab sie also nicht. Diese Gedenkstätte gibt gerade auch den ehemaligen Häftlingen und deren Familien eine Möglichkeit, mit dem Leid zu leben, weil den Opfern und Geschädigten nun Gesicht und Stimme gegeben werden. Und dieser Ort ermöglicht nun schon eine Weile das Nachdenken darüber, was hier geschah. Schon jetzt gehören viele Besucherinnen und Besucher der dritten oder vierten Generation an. Eigene biografische Bezüge zu der Zeit und zu den Hintergründen, die das Speziallager Sachsenhausen ausmachen, haben diese jungen Menschen nicht. Ich denke, als Gedenkstätte für das Speziallager wird der authentische Ort Sachsenhausen gerade für junge Menschen wichtig: Hier rückt die scheinbar weit entfernte Geschichte ganz nah an Gegenwärtiges heran, hier können die Besucher mit den Opfern mitfühlen. Und hier wird schon erfahrbar, welch fundamentale Bedrohung Krieg, Gewalt, Willkür auslösen können. Und der Ort dokumentiert all die Opfer. Und dennoch es gab auch Überlebende. Einige von ihnen sind heute noch unter uns, was unseren höchsten Respekt verdient. Dass Sie als ehemalige Häftlinge die Kraft finden, diesen Teil ihrer Biografie nicht zu verdrängen, sondern sich diesem zu stellen – trotz des Grauens, das Sie erlebt haben, trotz der Willkür, die Sie erlitten, das macht Mut, sich den geschichtlichen Irrungen und Wirrungen in Deutschland zu stellen. An all die Unmenschlichkeit zu erinnern, bleibt eine wichtige Aufgabe für uns alle, über Generationen hinweg, auch in Zukunft. Das Leid der vielen Opfer unmenschlicher Behandlung lässt uns aber gleichzeitig den Wert von Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit erkennen. Nur die offene, die tolerante Gesellschaft, die in Frieden mit den Nachbarn lebt, wird die kostbaren Grundwerte unseres Zusammenlebens garantieren. Die Achtung der Menschenwürde, der Menschenrechte, die Wahrung des Friedens sind die unverzichtbare Grundlage unserer Gesellschaft. Diese Basis muss gegen jede noch so willkürliche Herausforderung verteidigt werden. Und insofern schließe ich mich den Worten meines brandenburgischen Kollegen Gunter Fritsch an: als Demokraten werden wir alles tun, damit ein derartiges Unrecht nie wieder auf deutschem Boden passieren kann.