Vor Eintritt in die Tagesordnung

Siehe Inhaltsprotokoll.

 

Punkt 1 der Tagesordnung

Wahl

 

 

Siehe Inhaltsprotokoll.

 

Punkt 2 der Tagesordnung

Aktuelle Viertelstunde

 

 

Siehe Inhaltsprotokoll.

 

Punkt 3 der Tagesordnung

Besprechung gemäß § 21 Abs. 5 GO

Wie wir zu einer wirksamen Deregulierungsstrategie kommen

(auf Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der PDS)

 

in Verbindung mit

0088

VerwRefKIT

 

Antrag der Fraktion der CDU

Bürokratie-TÜV bringt Deregulierung voran!

Drs 15/1670

 

 Hinweis: Hierzu wird noch die Stellungnahme des mitberatenden Rechtsausschusses erwartet.

 

in Verbindung mit

0090

VerwRefKIT(f)

+Recht

 

Antrag der Fraktion der CDU

Deregulierung – kein Fremdwort für die Berliner Verwaltung

Drs 15/289

 

Hinweis: Hierzu wird noch die Stellungnahme des mitberatenden

Rechtsausschusses erwartet.

 

in Verbindung mit

0031

VerwRefKIT(f)

+Recht

+WiBetrTech*

 

Antrag der Fraktion der FDP

Bestimmungen zur Zweckentfremdung von

Wohnraum sind zwecklos

Drs 15/440

 

hierzu: Änderungsantrag der Fraktion der CDU Drs 15/440-1

 

in Verbindung mit

0038

VerwRefKIT

+StadtUm*

+Recht

+BauWohnV(f)

 

Antrag der Fraktion der FDP

Mehr Berlin, weniger Staat (23) –

Staatsaufgabenkritik ohne weitere Verzögerungen

Drs 15/1467

 

in Verbindung mit

0085

VerwRefKIT

+InnSichO(f)

 

Antrag der Fraktion der FDP

Mehr Berlin, weniger Staat (2) –

Berliner Stadtplanung vereinfachen

Drs 15/995

 

in Verbindung mit

0070

VerwRefKIT

+BauWohnV(f)

 

Antrag der Fraktion der FDP

Mehr Berlin, weniger Staat (3) –

Denkmalschutz vereinfachen

Drs 15/996

 

in Verbindung mit

0071

VerwRefKIT

+Hauptausschuss

+BauWohnV(f)

 

Antrag der Fraktion der FDP

Mehr Berlin, weniger Staat (42) –

neue Gesetze nur noch mit "GFA"

Drs 15/1938

 

in Verbindung mit

0099

VerwRefKIT

+Recht(f)

+Hauptausschuss

 

Antrag der Fraktion der FDP

Gesetz zur Aufhebung des Gesetzes über die

Eigenbetriebe des Landes Berlin

(Eigenbetriebsgesetz – EigG)

(Eigenbetriebsaufhebungsgesetz – EigAG)

Drs 15/1949

 

in Verbindung mit

0100

VerwRefKIT

+WiBetrTech(f)

 

Antrag der Fraktion der Grünen

Einbürgerung dezentralisieren – Änderung des Gesetzes über
die Zuständigkeiten in der Allgemeinen Berliner Verwaltung

Drs 15/2005

0104

VerwRefKIT

+InnSichO(f)

 


 

Antrag der Fraktion der CDU

Entbürokratisierungsinitiative (I) - alte

Verwaltungsvorschriften abbauen

Drs 15/3121

 

Hinweis: Hierzu wird noch die Stellungnahme des mitberatenden

Ausschusses für Wirtschaft, Betriebe und Technologie erwartet

 

in Verbindung mit

0156

VerwRefKIT(f)

+Hauptausschuss

+WiBetrTech

 

Antrag der Fraktion der CDU

Entbürokratisierungsinitiative (II) – neue

Verwaltungsvorschriften befristen!

Drs 15/3122

 

Hinweis: Hierzu wird noch die Stellungnahme des mitberatenden

Ausschusses für Wirtschaft, Betriebe und Technologie erwartet

 

Hierzu: Anhörung

0157

VerwRefKIT(f)

+Hauptausschuss

+WiBetrTech

 

Vors. Dr. Zotl: Zu diesen Anträgen gibt es einige Anmerkungen: Zum Antrag der CDU Drucksache 15/1670 – Behörden-TÜV – liegt uns – wir sind federführend – die Stellungnahme des Rechtsausschusses noch nicht vor. Sie wird heute Nachmittag kommen, wenn der Rechtsausschuss getagt hat, so dass wir, wenn wir 3. Februar abstimmen, so wie wir es vereinbart haben, diese Stellungnahme vorzuliegen haben. Zum Antrag der CDU Drucksache 15/289 liegen die Stellungnahmen der mitberatenden Ausschüsse Wirtschaft und Recht vor, sie können bei der Beratung schon berücksichtigt werden.

 

Dann kommt der Fall, den der Kollege Krestel ansprach: Die Fraktion der FDP hat im Bauausschuss Anfang November mitgeteilt, dass sie den Antrag Drucksache 15/440 zurückziehen wird – das ist aber offiziell beim Präsidenten noch nicht passiert. Ich gehe davon aus, dass am 3. Februar dieser Antrag nicht mehr existent ist. Das betrifft dann auch den Änderungsantrag der CDU: Wenn der Originalantrag nicht mehr da ist, ist auch der Änderungsantrag nicht mehr existent.

 

Wir müssen zum Antrag der FDP Drucksache 15/995 – Stadtplanung vereinfachen – noch darauf hinweisen: Da das ein Änderungsantrag des Ausführungsgesetzes zum Baugesetzbuch ist, gibt es eine Stellungnahme des Senats dazu, die allen Fraktionen vorliegt. Das betrifft auch den Antrag der FDP Drucksache 15/996 – Denkmalschutz vereinfachen. – Und auch zum Antrag der FDP Drucksache 15/1949 – Aufhebung des Eigenbetriebsgesetzes – liegt Ihnen eine Stellungnahme des Senats vor.

 

Wir sind federführend bei den Anträgen der CDU Drucksache 15/3121 – alte Verwaltungsvorschriften abbauen – und Drucksache 15/3122 – neue Verwaltungsvorschriften befristen –. Da soll der Wirtschaftsausschuss mitberaten. Wir haben mit ihm Kontakt aufgenommen – er wird am 17. Januar diese Anträge beraten, seine Stellungnahme machen, so dass wir am 3. Februar abstimmen können.

 

Nun kommen wir zu der Anhörung unter TOP 3, zu der ich fünf Herren in alphabetischer Reihenfolge herzlich begrüßen möchte:

 

– Herrn Hartmut Bäumer von der BRIDGES Consulting Public Affairs und Management GmbH

   – benannt von der Fraktion der Grünen –,

 

– Herrn Dr. Hugo Dicke

   – benannt von der Fraktion der FDP –,

 

– Herrn Horst Grysczyk, den ehemaligen Präsidenten des Landesrechnungshofs Berlin und

    jetzigen Vorsitzenden der Normenprüfungskommission des Senats

    – benannt durch die Koalitionsfraktionen –,

 

– Herrn Jürgen Kipp, den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Berlin

   – ebenfalls benannt von den Koalitionsfraktionen – und

 

– Herrn Gerhard Müllenbach, Staatssekretär des Ministeriums für Inneres, Familie, Frauen und Sport

   des Saarlandes – er ist von der Fraktion der CDU benannt.

 

Ich möchte mich im Voraus im Namen unseres Ausschusses bei Ihnen ganz herzlich bedanken, dass Sie zum Teil lange Reisen auf sich genommen haben, um uns hier zur Anhörung zur Verfügung zu stehen.

 

Ich schlage zum Verfahrensablauf Folgendes vor: Ich rufe zunächst eine Vertreterin/einen Vertreter der Koalitionsfraktionen zur Begründung des Besprechungsantrags auf – das ist die Kollegin Flesch. Dann haben die Fraktionen von CDU und FDP – nur von Ihnen stammen die Anträge – Gelegenheit, ihre Anträge zu begründen. Danach wird es eine Stellungnahme des Senats zum Generalproblem geben – vorgetragen, wenn ich richtig informiert wird, durch den Chef der Senatskanzlei, Herrn Staatssekretär Schmitz. Dann steigen wir in die Anhörung der Experten ein – ich schlage vor, in alphabetischer Reihenfolge –, und danach kommen wir zur Diskussion. Und: Wir haben einen Zeitrahmen von etwa gut zwei Stunden dafür vorgesehen. Besteht Einverständnis? – Dann verfahren wir so, und ich gebe der Kollegin Flesch von der Fraktion der SPD das Wort.

 

Frau Abg. Flesch (SPD): Vielen Dank, Herr Vorsitzender! – Meine Damen und Herren! Über Deregulierung reden wir schon eine ganze Weile, und ich habe inzwischen den Eindruck, dass von Teilen der politisch Handelnden, von Teilen der veröffentlichten Meinung die Deregulierung schon als Selbstzweck angesehen wird – nach dem Motto: „Die Masse macht’s! Wenn wir 1 000 Vorschriften wegfallen lassen, sind wir gut.“ Ich wage die These, dass das nicht der Zweck sein kann. Die Abschaffung von Vorschriften, von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Verwaltungsvorschriften, hat in einem Kontext zu erfolgen. Aber ich gehe nicht so weit, zu sagen, dass Deregulierung ein Nebenprodukt von Entbürokratisierung oder Aufgabenkritik ist. Es ist ein Standbein!

 

Ich denke, wir müssen das Thema einmal einordnen: in die Entbürokratisierung mit Aufgabenkritik und Deregulierung auf der einen Seite, in Geschäftsprozessoptimierung zum Zweck von Verfahrensvereinfachung, Verfahrenstransparenz, auf der anderen Seite. Gesetze, Verordnungen, selbst Verwaltungsvorschriften sind nicht per se schlecht, nur weil sie da sind. Diesem Eindruck sollten wir entgegenwirken, denn sie haben durchaus einen Zweck. Sie sind dann schlecht, wenn sie die Ziele, die man mit Gesetzen vereinbart hat, behindern, wenn sie nicht mehr den Schutz eines Rechtsgutes – Gesundheit, Leben, Eigentum – zum Ziel haben, sondern eigentlich nur noch den Schutz einer Bürokratie, die sich um dieses Rechtsgut kümmert. In dem Sinne haben wir diesen Besprechungspunkt beantragt, um zu schauen, wie in dieser Einbettung eine Strategie zu fahren ist, die beinhaltet: Gesetze, Normen, dienen dem Schutz von etwas. Sie dürfen sich nicht selbst quasi perpetuieren. Und wir müssen eine vernünftige Abwägung finden zwischen Entbürokratisierung und Schutz von Rechtsgütern. – In dem Sinne freue ich mich auf die Anhörung!

 

Vors. Dr. Zotl: Danke schön! – Ich gebe jetzt der Fraktion der CDU Gelegenheit, zu Ihren Anträgen eine Begründung abzugeben – bitte, Herr Wambach!

 

Abg. Wambach (CDU): Danke, Herr Vorsitzender! – Um gleich im Anschluss die Diskussion über das Gesagte von Frau Kollegin Flesch fortzuführen: Natürlich macht es die Masse nicht – um das mal voranzuschicken. Aber umgekehrt macht es der kleine Klecks natürlich auch nicht. – Meine Fraktion ist grundsätzlich der Auffassung, dass wir zu viele Gesetze, zu viele Verordnungen und zu viele Verwaltungsvorschriften im Land Berlin haben. Eine Anzahl von 69, die im ersten Durchgang von Innensenator Körting zur Disposition gestellt wurden, und jetzt wenig über 100, werden das Problem im Land Berlin im Bereich Deregulierung nicht lösen.

 

Der Staatssekrektärsausschuss – und es ist richtig, dass wir uns im Land Berlin schon länger mit diesem Thema befassen – hat zuletzt auf seiner Klausurtagung und auch in den uns übermittelten Unterlagen grundsätzlich die Auffassung vertreten – ich sage es einmal etwas pseudowissenschaftlich –, die induktive Methode zu wählen, das heißt, die Verwaltungen im Land Berlin aufzufordern, die Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften zu benennen, die zur Disposition gestellt werden können. Dieses Verfahren, das sozusagen der Versuch im Guten war, in Kooperation mit den einzelnen Verwaltungen hier nennenswert zu deregulieren, ist im Ergebnis nicht das, was wir uns von Seiten der CDU-Fraktion unter einer nennenswerten Deregulierung im Land Berlin vorgestellt haben. Deswegen – das ist auch schon presseöffentlich seit längerem diskutiert worden – müssen wir jetzt einmal darüber reden, ob der umgekehrte Weg, das heißt die deduktive Methode, zu sagen, wir stellen grundsätzlich alle Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften zur Disposition und haben dann einen umgekehrten Begründungssachverhalt aus Sicht der Verwaltung, welche davon zwingend in Kraft bleiben müssen oder sollten, möglicherweise der zielführendere Weg ist. Das war auch der Grund für meine Fraktion, hier einen Vertreter des Landes Saarland einzuladen, denn die sind in der Vergangenheit diesen Weg gegangen. Hier können wir uns vielleicht einmal sachkundig über die Ergebnisse dieses Verfahrens auseinandersetzen. Das ist auch der Gegenstand eines Teils unserer Anträge gewesen.

 

Ich möchte noch etwas Grundsätzliches sagen – das ist ja auch ein Gesamtzusammenhang: Das eine ist die Deregulierung oder die Abschaffung oder Vereinfachung auch von bisherigen Verwaltungsvorschriften und Normen insgesamt. Der zweite Punkt ist die Gesetzesfolge, Abschätzung für künftige. Auch hier gibt es einiges zu besprechen. Denn, wie wir alle wissen, bekommen wir als Parlamentarier – auch in den anderen Ausschüssen und letztlich dann auch im Plenum – nach meiner Erinnerung in der letzten Zeit Gesetzentwürfe, wo bei fast allen unter den Gesetzesfolgen – zum Beispiel finanzielle Auswirkungen oder Auswirkungen auf X, Y, Z – immer „keine“ darunter steht. Und allein mir fehlt der Glaube, dass das tatsächlich so ist. Denn wenn wir Gesetze machen, die gänzlich folgenlos sind, können wir es uns ja am Ende auch ersparen. Deswegen bin ich dankbar, dass wir hier heute die Gelegenheit haben, auch noch mal über die Normenkontrollkommission, deren Aufgabe und auch die Stellung gegenüber dem Parlament zu sprechen.

 

Letzte Bemerkung – und da unterscheiden wir uns vielleicht grundsätzlich, Frau Kollegin Flesch: Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften haben natürlich auch noch andere Wirkungen außer finanziellen oder sonstigen, nämlich einerseits einen Folgeaufwand für Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen, die zum Beispiel durch Ausfüllen von bestimmten Formularen oder Beachten von bestimmten Vorschriften auch einen zusätzlichen, administrativen Aufwand haben bzw. sich in vielen Fällen für Geld Fachleuten bedienen müssen, die ihnen bei dem Gang durch Verwaltungsverfahren zur Seite stehen und zumindest Gesetze und Verordnungen letztlich dann auch möglicherweise einklagbare Tatbestände im Verwaltungsgerichtsverfahren sind. Und wir haben ja viele Fälle, wo letztlich Dinge vor dem Verwaltungsgericht ausgetragen werden, die teilweise Genehmigungstatbestände – zum Beispiel bei Investitionen oder vielen anderen Dingen, Baugenehmigungen – eben zeitlich verzögern. Die Frage ist, ob wir uns das im Land Berlin künftig noch leisten wollen. – Ich bin der Meinung, dass wir das nicht können. Und auf der anderen Seite engen Gesetze – und das spielt unmittelbar in unseren Ausschuss rein: Verwaltungsreform-Grundsätzegesetz –, Gesetze weniger, aber Verordnungen, insbesondere Verwaltungsvorschriften, den persönlichen Entscheidungsspielraum von Mitarbeitern im öffentlichen Dienst teilweise erheblich ein.

 

Unserem Idealbild entspricht der Mitarbeiter im öffentlichen Dienst, der einen Ermessensspielraum hat, der auch Verantwortung im besten Sinne von dezentraler Fach- und Ressourcenverantwortung wahrnimmt. Und allgemeine Vorschriften – die Anzahl ist im Augenblick nicht tatsächlich bezifferbar – im Land Berlin schränken aus unserer Sicht grundsätzlich Verwaltungshandeln und den verantwortlichen Mitarbeiter in seinem Tun ein. Meine Fraktion hat Anfang des vergangenen Jahres den Versuch unternommen, aus allen Senatsverwaltungen die Verwaltungsvorschriften übermittelt zu bekommen, weil Schätzungen davon ausgehen, dass wir im Land Berlin derzeit etwa 50 000 bis 60 000 interne Verwaltungsvorschriften haben. Wir haben aus allen Senatsverwaltungen einen Standardbrief bekommen, der wohl abgestimmt war, dass eine Fraktion nicht das Recht hat, sich die Verwaltungsvorschriften übermitteln zu lassen, dies müssten wir über das Parlament offiziell tun. Damit war uns in diesem Augenblick klar, dass hier möglicherweise auch der Wille zur Kooperation nicht besonders ausgeprägt ist. – Das nur einmal als Information am Rande.


Lange Rede, kurzer Sinn: Wir haben uns von Seiten der CDU-Fraktion dazu entschlossen, nachdem wir es gutwillig über Jahre mit verschiedenen Kommissionen versucht haben, die auch in vergangenen Legislaturperioden eingesetzt wurden, Verwaltungsvorschriften im Einzelnen aufzurufen und abzuschaffen, hier zielführend den anderen Weg zu gehen. Ich bin sehr gespannt auf die Ausführungen des Bundeslandes Saarland über die Erfahrungen, die mit der dortigen Methode gemacht wurden.

 

Vors. Dr. Zotl: Danke schön! – Jetzt bitte ich die Fraktion der FDP um eine Begründung ihrer Anträge. – Kollege Krestel!

 

Abg. Krestel (FDP): Ich kann mich kürzer fassen, wir arbeiten nicht nach dem Prinzip: Es ist schon alles gesagt, aber nicht von allen. – Wir sind sehr wohl der Meinung, Frau Flesch, dass alle Vorschriften auf den Prüfstand gehören, gerade in so einem überregulierten Land wie Berlin. In kaum einer Gebietskörperschaft werden Dinge, die man nach dem gesunden Menschenverstand regeln könnte, so extensiv in Vorschriften gegossen wie in unserem Bundesland. Man hat auch ein bisschen den Eindruck, die Koalition will sich hier drücken nach dem Motto: Die Vorschriften sind ja gar nicht so schlecht. Man muss sie nur verstehen wollen. – Wir haben deshalb die verschiedensten Anträge eingebracht, z. B. die Vereinfachung von Planungsverfahren in der Stadtentwicklungsplanung und die Abschaffung von so genannten Planungsebenen als Pflichtaufgabe der Bereichsentwicklungsplanung. Diese Dinge können ganze Verwaltungszweige lähmen. Wir halten deshalb ihre Vereinfachung bzw. Abschaffung für lebensnotwendig. Andere Dinge – ich möchte nur die umständlichen Prozeduren im Denkmalschutzrecht nennen – sind einfach lästig und überflüssig. Auch hier kann man vereinfachen oder Vorschriften evtl. sogar ganz abschaffen.

 

Im Übrigen – dies zum Abschluss – lohnt sich gerade für die SPD ein Blick in das Bundesland Rheinland-Pfalz – dort stellt sie ja auch die Regierung. Dort ist man schon viel weiter. Vielleicht braucht man einfach den richtigen Antrieb dafür. In diesem Sinne freue ich mich auf die Anhörung. – Vielen Dank!

 

Vors. Dr. Zotl: Danke schön! – Herr Staatssekretär Schmitz, bitte!

 

StS Schmitz (CdS): Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! In diesem Ausschuss gibt es, was das Ziel angeht, Gott sei Dank einen parteiübergreifenden Konsens. Die Vereinfachung von Rechtsnormen und der Abbau von unnötiger Bürokratie sind nicht nur vorrangige Ziele des Senats, sondern aller im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien. Damit liegen wir nur im Trend dessen, was der Bund macht und was viele Bundesländer – wir haben ja einen Kollegen aus dem Saarland da – im Moment auf der politischen Agenda haben. Dahinter steckt die Erkenntnis, dass wir von vielen Gesetzen, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften, die wir uns seit Jahrzehnten mit großer Liebe zum Detail zugelegt haben, nicht mehr so ganz überzeugt und zu Recht zu der Erkenntnis gekommen sind, dass sie nicht nur die Bürgerinnen und Bürger bei ihrer freien Entfaltung, sondern häufig auch die Exekutive bei ihrem Agieren hemmen. Ich würde nicht so weit gehen, wie die FDP eben behauptet hat, dass das in Berlin noch viel schlimmer sei. Ich glaube, das ist ein Trend, der sich in 50 Jahren bundesrepublikanischen Verwaltungshandelns herausgebildet hat und den Sie auch in anderen Bundesländern vorfinden.

 

Der Senat verfolgt im Rahmen seiner Reformprojekte das Ziel, diese nicht notwendigen Rechtsvorschriften abzuschaffen, bürokratische Hemmnisse zu beseitigen und Verwaltungsverfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen. Dies ist immer Ziel der Maßnahmen zur Verwaltungsmodernisierung vor dem Hintergrund, dass wir den Bürgerinnen und Bürgern in Berlin mehr Freiräume und den wirtschaftliche agierenden Firmen und Gesellschaften am Wirtschaftsstandort Berlin eine bessere Voraussetzung schaffen wollen. Angesichts der Haushaltsnotlage im Land Berlin haben wir nicht die Möglichkeit wie andere Städte, die direkte finanzielle Hilfe in viel größerem Maße zuwenden können. Wir müssen versuchen, Standortvorteile anderer Art hier in Berlin auszubauen, um neue Investoren anzuziehen und den vorhandenen Unternehmen möglichst optimale Rahmenbedingungen zu bieten.

 

Es wird Sie nicht wundern, dass ich die Ansicht der Kollegin Flesch teile, dass Deregulierung keinesfalls ein Selbstzweck sein kann. Wie sie eben ausgeführt hat, sind rechtliche Regelungen nicht per se überflüssig und damit negativ – wie dies in Teilen der Anträge der Opposition immer etwas durchschimmert –, sondern sie erfüllen wichtige Funktionen zur Sicherung der Rechte des Einzelnen in unserer Gesellschaft und der Rechte von gesellschaftlichen Gruppen. Ich denke, wir sollten mit dem hohen Gut der Rechtsstaatlichkeit auch nicht zu populistisch umgehen. Es schützt uns alle vor Willkür und Korruption. Wenn man einmal in anderen Ländern – auch Europas, in Ost- und Mitteleuropa – auf Reisen war, dann weiß man dieses Rechtsgut, das wir jeden Tag als so selbstverständlich erleben dürfen, noch viel mehr zu schätzen. Für einen funktionierenden Sozialstaat und eine prosperierende Volkswirtschaft sind Regeln und Normen wichtig. Hier einfach nur von einer Eindämmung der Normenflut zu reden, ist vielleicht auch ein bisschen zu einfach gemacht.

 

Wir sollten vielmehr bei den Initiativen zur Rechtsvereinfachung genau hinschauen, uns jede einzelne Norm anschauen – so, wie wir es hier im Land Berlin machen – und sie auf den Prüfstand stellen. Dabei müssen wir zwangsläufig Prioritäten setzen. Das Ziel muss sein, eine substantielle Vereinfachung nach klaren politischen Zielvorgaben im Land Berlin zu erreichen, ausgerichtet am Leitbild einer Stärkung der Bürgergesellschaft. Es geht um die Stärkung der Eigenverantwortung unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger und auch im Land Berlin um eine neue Partnerschaft zwischen Staat und den Akteuren in der Gesellschaft. Deregulierung und Staatsaufgabenkritik – wie die Kollegin Flesch es eben gesagt hat – sind zwei Seiten einer Medaille und müssen immer gemeinsam gedacht werden.

 

Dem Rückzug des Staats aus ordnungsbehördlichen Verfahren – wie wir ihn uns parteiübergreifend ein bisschen als Ziel gesetzt haben – müssen immer auch aufgabenkritische Überlegungen vorausgehen. Wir wollen dies am Beispiel des Rückzugs des Staats aus dem Baugenehmigungsverfahren vorexerzieren. Die Novelle wird den Senat noch im Frühjahr passieren und dann dem Abgeordnetenhaus zugeleitet.

 

Ich darf Ihnen noch einige kurze Beispiele für die Initiativen und Maßnahmen des Senats zur Deregulierung und Rechtsvereinfachung nennen: Das ist die hier schon erwähnte präventive Normprüfung. Sie geht auf eine lange Diskussion – wie ich gelernt habe – im Land Berlin zurück. Seit Jahren wird dies gefordert, zuletzt auch von der Scholz-Kommission. Der Senat hat dann am 17. Dezember 2002 diese ressortübergreifende begleitende Gesetzesfolgenabschätzung erst einmal probeweise eingeführt. Diese soll zwischen dem bestmöglichen Erreichen des beabsichtigten Zweckes und den ungewollten Nebenwirkungen einer Norm abwägen. Sie soll Alternativen prüfen, die ebenso im Verzicht auf eine neue Regelung wie im Vorschlag veränderter Formulierungen zum Erreichen eines tragfähigen Ausgleichs bestehen können. Zu diesem Zweck haben wir in der Senatskanzlei die Normenprüfungskommission mit einer Geschäftsstelle eingerichtet, und, sehr verehrter Herr Grysczyk, Sie haben, etwas überredet durch mich, weil Sie sich auf Ihren wohl verdienten Ruhestand zu Recht gefreut haben, dann doch dankenswerterweise im Mai 2003 diese Arbeit übernommen. Der Senat hat dann am 10. Februar 2004 diese ressortübergreifende Normenprüfungskommission nach einer Probezeit dauerhaft eingeführt. Neben Ihnen, Herr Grysczyk, haben wir drei weitere externe Mitglieder: Frau Dr. Bausch von der IHK, Herrn Prof. Mäding, der Leiter des Deutschen Instituts für Urbanistik, sowie Herrn Rechtsanwalt Detlef Bohrmann. Es gibt noch eine Prüfungskommission in der Bundesrepublik Deutschland, für mehrere Bundesländer sind wir aber mit dieser externen Beteiligung ein Vorbild. Ich habe von Herrn Schroeter, der diese Geschäftsstelle führt und dem ich an dieser Stelle auch noch einmal ganz herzlich dafür danke, gelernt, dass selbst in Speyer unser Modell als Vorzeigemodell vorgeführt wird. Der Senat hat gestern noch einmal einen Bericht von Herrn Grysczyk bestätigt, der Veränderungsvorschläge nach einem Jahr Praxis enthält, und auf seinen Vorschlag hin die Verfahrensregeln etwas verbessert.

 

Ich darf an dieser Stelle noch einmal den Kommissionsmitgliedern, allen voran Ihnen, Herr Grysczyk, ganz herzlich für ihre sehr gute Tätigkeit danken. Dass sie gut ist, sehe ich immer daran, dass sich die anderen Kolleginnen und Kollegen in der Staatssekretärskonferenz immer vehement gegen die Kommission aussprechen. Dann merke ich immer: Aha, dann haben Sie wohl offensichtlich – häufig jedenfalls – einen wunden Punkt getroffen.

 

Hier haben wir etwas umgesetzt, was im Land Berlin schon lange gefordert worden ist. Ich bedauere nur, dass Herr Grysczyk nach der Einführungszeit sein Kind jetzt doch bald verlassen will, weil er sagt: Es gibt zu viele schöne Theater und Museen in dieser Stadt, als dass ich diese schwierige Aufgabe noch die nächsten zehn Jahre machen will. – Aber ich denke, Sie haben Ihr Kind sehr gut auf den Weg gebracht, und es wird auch unter einem anderen Vorsitz gut laufen. Besonders wichtig ist uns, dass diese Normenprüfungskommission vom Senat und von den Senatsverwaltungen unabhängig ist und dass wir hier auch externe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den gesellschaftlichen Gruppen unserer Stadt haben.

 

Die CDU-Fraktion hat eben schon etwas lässig – mit links – unsere zwei Entbürokratisierungsgesetze angesprochen. – [Abg. Wambach (CDU): Mit rechts!] – Mit rechts natürlich! Aber links kommt vom Herzen! – Ich sehe das natürlich – was Sie nicht wundern wird – anders. Wir haben in dieser Legislaturperiode hundert Rechtsvorschriften auf ihre Sinnhaftigkeit überprüft. Wir haben im Herbst ein erstes Artikelgesetz zur Rechtsvereinfachung und Entbürokratisierung vorgelegt. Ein zweiter Gesetzentwurf, der in der Tat – gegenüber dem ersten jedenfalls, das gebe ich Ihnen zu – größere Veränderungen und Verbesserungen vorgesehen hat, hat den Senat Ende 2004 passiert. Dieses zweite Artikelgesetz zielt auf die Erleichterung und Beschleunigung von Verfahren durch Änderung standortrelevanter Rechtsvorschriften, u. a. der zentralen Regelung der Sondernutzung öffentlichen Straßenlandes, des Denkmalschutzes – wie eben schon zu Recht angemahnt wurde, auch dies ist in diesem Gesetz wesentlich beschleunigt und vereinfacht – und des Gaststättenrechts ab. Dieses zweite Gesetz soll auch zu einer Vereinfachung für die mittelständischen in Berlin ansässigen Unternehmen und Existenzgründer führen. Ich denke, dieses zweite Artikelgesetz mit dem Berliner Straßengesetz hat ganz praktische Auswirkungen auf die Bürgerinnen und Bürger, was Anträge für Feste, Straßenfeste, Musik- und Sportveranstaltungen und Schankvorgänge angeht und wird für sie erfahrbarer werden. In der Regel sollen mit diesem Gesetz künftig die Genehmigungen erteilt werden und Versagungen nur noch im Ausnahmefall zulässig sein – also eine Umkehr dessen, was wir bisher kennen. Im Bereich Denkmalschutz, der schon angesprochen worden ist, werden Verwaltungsverfahren und Fristen beschleunigt. Und in der Landesverordnung zum Gaststättengesetz sind Bestimmungen klarer formuliert und unnötige Regelungen gestrichen worden.

 

Wir werden auf diesem Weg weitermachen. Eine Novellierung des Baurechts muss im Januar noch in den Senat kommen und wird Ihnen dann auch zugeleitet werden. Die IHK hat sich im Vorfeld schon sehr positiv über diese Veränderung ausgesprochen, und der Staatssekretärsausschuss zur Verwaltungsmodernisierung hat sich für die Zukunft, für die verbleibende Zeit in dieser Legislaturperiode, vorgenommen, wichtige und relevante Vorschriften noch einmal systematisch zu überprüfen. Wir wollen uns aber nicht verzetteln, indem wir uns die Tausende von Vorschriften vornehmen, sondern wir haben uns drei Bereiche herausgesucht, wo wir der Meinung sind, dass sie für die Bürgerin und den Bürger und den Mittelstand in unserer Stadt unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten besonders wichtig sind. Wir wollen uns mit externem juristischen Sachverstand und unter Einbeziehung der Industrie- und Handelskammer diese drei Bereiche noch einmal genauer anschauen, und zwar die landesrechtlichen Vorschriften des Baunebenrechts, die landesrechtlichen Vorschriften des Umwelt- und Naturschutzrechts und die arbeitsschutz-, hygiene- und veterinärrechtlichen Bestimmungen des Landes Berlin.

 

Der Vorsitzende der Normenprüfungskommission hat zum Stichwort „Gesetzbenchmarking“ empfohlen, jedem Gesetzesvorhaben einen besonders sorgfältigen Vergleich mit dem Vorgehen der anderen Bundesländer voranzustellen. Es zeichnet auch unsere Normenprüfungskommission aus, dass sie nicht nur besonderen Wert darauf legt, wie man das in Brandenburg macht – was für uns hier sowieso selbstverständlich sein sollte, aber leider auch in der Verwaltung immer noch nicht selbstverständlich ist –, sondern sich auch den Vergleich mit den Regelungen und der Regelungsdichte in anderen Bundesländern anschaut und auch hier auf Ausstattung und Leistungsvorsprünge achtet. Das freut meine Kollegin zur Linken angesichts unserer Haushaltsnotlage. Ich denke, hier kann man auch von anderen Bundesländern lernen. Dieses Verfahren ist mit dem Senatsbeschluss von gestern in der Checkliste der Normenprüfungskommission noch einmal festgeschrieben worden und wird auch in der neuen GGO des Senats verankert werden.

 

Wir müssen uns weiter die Verwaltungsprozesse ständig anschauen – das ist ein Bohren dicker Bretter. Wir müssen aufgabenkritisch – diese Aufgabe wird so bald nicht abgeschlossen sein – diese Prozesse anschauen und die angestrebte Neuordnung auch nach dem Lebenslagenprinzip bzw. ganzheitlicher Fallbearbeitung immer wieder auf den Prüfstand stellen. Aus der Sicht des Senats müssen die Initiativen zum Bürokratieabbau durch besondere Maßnahmen flankiert werden. Dies ist vor allen Dingen die aktive Bürgerbeteiligung, denn ohne diese werden alle unsere Maßnahmen keinen dauerhaften Erfolg haben. Wir müssen es durch weitreichende Bürgerbeteiligung schaffen, dass die Bürger sich bei uns melden, indem sie Hemmnisse identifizieren. Dies brauchen wir auch, um eine dauerhafte Akzeptanz von Veränderungen zu erreichen.

 

Natürlich müssen wir, was die Behördenkultur angeht, auch immer bei uns selbst anfangen. Entbürokratisierung und Rechtsvereinfachungen können nur einen spürbaren Erfolg haben, wenn sie von einem modernen Personalmanagement auf Seiten der Behördenleitung begleitet wird, einer so genannten neue Behördenkultur. Die Ansätze hierfür sind ja auch im 3. Gesetz zur Reform der Verwaltung des Landes Berlin verankert. Darauf haben Sie eben noch einmal hingewiesen, das nehmen wir auch ernst. Es gibt aus Ihrem Ausschuss, aber auch aus Senatskreisen jetzt Überlegungen, wie wir auf diesem Weg weitere Verbesserungen – ich hoffe, auch gemeinsam mit Ihnen – bei der Veränderung des VGG erreichen können.

 

Dies war eine kurze Stellungnahme zu dem Riesenthema, das Sie sich heute im Ausschuss vorgenommen haben. – Vielen Dank!

 

Vors. Dr. Zotl: Danke schön, Herr Staatssekretär! – Wir kommen jetzt zur eigentlichen Anhörung. Ich rufe unsere Gäste in alphabetischer Reihenfolge auf und bitte sie um ihre Darlegungen. Der Zeitraum beläuft sich auf maximal zehn Minuten. – Herr Bäumer, bitte!

 

Herr Bäumer (BRIDGES Consulting Public Affairs und Management GmbH): Einen schönen guten Tag, meine Damen und Herren! Herr Vorsitzender! Vielen Dank für die Einladung! – Vielleicht noch ein ergänzendes Wort zu mir, damit auch alle wissen, warum ich mich mit Verwaltungsreform beschäftige: Ich war acht Jahre lang Regierungspräsident in Hessen – diese Institution gibt es in einem Stadtstaat natürlicherweise nicht, auch nicht im Saarland –, bin also selbst lange Zeit einer gewesen, der sich mit der Ausführung von Gesetzen zu beschäftigen hatte, im Übrigen von zu Hause aus Richter. Ich bin auch Mitglieder der Enquetekommission dieses Landes „Eine Zukunft für Berlin“ und habe mich in dem Kontext mit diesen Fragen auch schon auseinander gesetzt und einiges dazu gesagt.

 

Deswegen möchte ich am Anfang einige grundsätzliche Dinge sagen. – Herr Staatssekretär, Sie haben schon darauf hingewiesen: Bei der Fülle dieses Themas könnte man ohne Weiteres mehrere Stunden referieren. Aber einiges scheint mir ganz wichtig, gerade weil dies ein Parlamentsausschuss ist. Ich finde, alle Anträge und auch die Thematik dieses Tages und Ihres Ausschusses machen eines deutlich, nämlich ein Unbehagen am eigenen Tun, und zwar nicht nur der Verwaltung, sondern auch des Gesetzgebers. Das möchte ich ganz bewusst an den Anfang stellen. Sie sind Gesetzgeber. Ich glaube, jede Verwaltungsreform und jede Diskussion von Deregulierung führt am Ziel vorbei, wenn nicht die, die sie führen und auch die Gesetze machen, sich am eigenen Portepee packen. Wir haben die Diskussion im ganzen Bundesgebiet, nicht nur in Berlin, seit 15, 20 Jahren. Geändert hat sich bisher aus meiner Sicht viel zu wenig. Wir alle wissen, dass wir teilweise überreguliert sind – ich komme darauf noch zurück –, und vor allen Dingen, dass wir Verwaltungsverfahren entwickelt haben, die in der Tat Investitionen hemmen und Bürger oft nur noch als Passive in einem Prozess erscheinen lassen, in dem sie selbst aktiv sein könnten, wenn man ihn anders strukturieren würde.

 

Wir haben aber auch die Erfahrung gemacht – egal, mit welcher Regierung –, dass trotz anders lautender Ankündigung in jeder Legislaturperiode mehr Gesetze produziert wurden. Sie wissen das auch. Aber ohne dass man sich das immer wieder vornimmt und an Gesetzestüftlern vorführt, wird man da nicht weiterkommen. Deswegen finde ich es gut, dass das hier in Berlin so angepackt wird. In anderen Ländern läuft das auch, in anderen Ländern ist es auch nicht prinzipiell besser. In Berlin sind aber die Probleme – aus meiner Sicht als Neuberliner – besonders groß, weil wir eine aufgeblähte Verwaltung haben, weil wir eine Verwaltung haben, die sich aus zwei ganz unterschiedlichen Systemen zusammengesetzt hat, und mit der musste man erst einmal fertig werden. Deswegen sind die Notwendigkeiten zur Veränderung hier besonders stark.

 

Ich will noch etwas vorausschicken, das ist auch ein Ergebnis der Enquetekommission: In Berlin gibt es, wenn man mal die Gesetze nimmt und das, was diskutiert wird, weniger Erkenntnisprobleme, aber es gibt nach wie vor immense Umsetzungsprobleme. Ich glaube, da braucht auch keiner auf den anderen zu schauen, sondern alle wissen das und müssen überlegen: Wie könnten wir dieses Thema angehen?

 

Ich möchte ganz kurz auf einige Dinge in anderen Ländern zu sprechen kommen und auch sagen, wo ich Fragen sehe und wo positive Entwicklungen vorhanden sind. Sehr deutlich ist – in den meisten anderen Ländern sind es Bauordnungen, hier ist es das Ausführungsgesetz –, dass in diesem Bereich seit vielen Jahren Bemühungen da sind, etwas zu tun – ob man das jetzt Entbürokratisierung, Verschlankung oder auch bürgerfreundlichere Gesetzgebung nennt. Man muss aufpassen – Bayern ist ein Vorreiter gewesen, Nordrhein-Westfalen hat einiges gemacht, ich glaube, das Saarland auch, Niedersachsen und Hessen sind dran –: Man kann in dem reinen Wunsch nach Deregulierung – da gebe ich Ihnen Recht, Frau Abgeordnete – sicherlich kein Ziel an sich sehen. Wenn man nur in dem Sinn dereguliert, dass man bestimmte Teile von Genehmigungsnotwendigkeiten wegnimmt, ohne sich darüber klar zu werden, wie dann das Verfahren weiterläuft, kann man auch erhebliche Probleme produzieren.

 

Ich will in diesem Bereich auf einen Fall hinweisen, der mir aus meiner eigenen Erfahrung noch bekannt ist: Wenn man Genehmigungsvoraussetzungen wegnimmt und damit auch verhindert, dass in Zukunft gebündelte Entscheidungen ergehen können, wenn verschiedene Behörden zusammenwirken müssen, dann erweist man sich einen Bärendienst, weil dann nämlich der Antragsteller möglicherweise plötzlich wieder zur Denkmalschutzbehörde, zur Wasserbehörde, zu wem auch immer laufen muss, weil es nicht mehr gebündelt an einer Stelle ist. Ich sage das jetzt nicht konkret auf Berlin bezogen, aber diese Probleme muss man sehen, wenn man herangeht. Ich denke, mit so etwas werden Sie sich dann auch auseinander setzen müssen.

 

Man muss zweitens sehen, dass Verwaltungsvorschriften – so überbordend sie in der Tat sind und so notwendig es ist, sie zu reduzieren – ähnlich wie allgemeine Geschäftsbedingungen im zivilrechtlichen Bereich auch einen vernünftigen Sinn haben, nämlich die Verwaltung in eine einheitliche Linie zu bringen und deutlich zu machen, wie eine Auslegung in einem bestimmten Land laufen soll. Deswegen ist der Ansatz – wenn er so gemeint ist –: Wir nehmen das alles weg. – nur dann richtig, wenn man eine vernünftige Diskussion vorgeschaltet hat, was zu erhalten und was tatsächlich unnötig ist. Eine weitere Einschränkung ist aber – da sind sich, glaube ich, alle Verwaltungspraktiker einig – das unglaublich starke Beharrungsvermögen. Das ist keine Kritik an den Menschen, die in der Verwaltung arbeiten, sondern es ist organisationssoziologisch bedingt und notwendig, an dem festzuhalten, was man hat. Das heißt eindeutig: Man muss externen Sachver­stand hinzuziehen. Niemand sägt gern an dem Stuhl, auf dem er sitzt, und wenn der noch so veraltet ist. Deswegen ist es notwendig, da heranzugehen, sich aber auch über die innerkulturellen Verwaltungsbedingungen klar zu werden, und da hapert es in ganz vielen Reformen. Ich spreche jetzt nicht von Berlin allein, sondern auf das ganze Land bezogen.

 

Die besten Grundsätze – Berlin hat sie verabschiedet – helfen nichts – das ist mein zentrales Plädoyer –, wenn man bei der Umsetzung nicht dabei ist und die Verwaltungskultur mit bedenkt. Kultur mitbedenken heißt nicht, das zu tun, was die Menschen in der Verwaltung selbst als richtig vorgeben, aber mit zu bedenken, wie sie reagieren werden, wenn man Schritt A oder B macht, und sie einzubeziehen und dann zu Lösungen zu kommen.

 

Mein Eindruck ist: In all diesen Bereichen fehlt eine Bereitschaft, bis ins Detail – das ist Knochenarbeit, das ist Bohren dicker Bretter – am Ball zu bleiben, insbesondere auch bei der Politik. Es ist relativ leicht, eine Verordnung zu verabschieden. Papier ist geduldig, Verwaltung auch. D. h., Sie werden nur dann wirklich zu einem Ergebnis kommen, wenn Sie dranbleiben, wenn Sie sagen: Das ist unser Ziel, und wir werden in den nächsten Jahren immer wieder verfolgen, ob es erreicht ist. – Wenn diese Schritte in Veränderungsvorgaben nicht mitgedacht und teilweise auch schriftlich festgelegt sind, dann wird man das erleben, was in den zurückliegenden 15 Jahren – oder auch schon weiter zurückliegend – leider häufig der Fall war, nämlich dass es bei guten und gut gemeinten Ankündigungen bleibt, aber nicht zu Umsetzungen kommt, die dann tatsächlich zu Veränderungen führen.

 

Jetzt will ich noch kurz – wegen der eingegrenzten Zeit – auf einige Dinge eingehen, die hier vorgeschlagen worden sind. Ich fange bei der CDU an. Sie hat u. a. die Aussetzung und Befristung von Verwaltungsvorschriften angesprochen und auf das Beispiel Saarland – dazu werden wir noch einiges hören – verwiesen. Einige Länder haben damit dann gute Erfahrungen gemacht, wenn man sagt: Zu einem bestimmten Verfallstag sollen die Verwaltungsvorschriften auslaufen, wenn nicht vorher geklärt worden ist, welche Notwendigkeit sie noch haben. – und wenn dieses Verfahren vorher wirklich sauber festgelegt und auch klar gemacht worden ist, ob man das bei der Fülle der Vorschriften überhaupt erreichen kann.

 

Ich kann für Berlin nicht beantworten, ob man diesen Weg gehen soll. Mir scheint die Frist, die Sie da eingesetzt haben – von jetzt an –, ohnehin zu kurz. Wenn man den Weg geht, erzeugt er sicherlich einen internen Druck, sich darüber zu verständigen, ob eine bestimmte Vorschrift noch nötig ist. Man muss aber auch in der Lage sein, das Verfahren, das dazu angesetzt wird, durchzuführen, sonst ist es ein Schuss nach hinten. Dann werden nämlich diejenigen, die kein Interesse an den Veränderungen haben, nur abwarten, das aussitzen und dann sagen: Nun geht es wieder weiter wie vorher. – Denn ohne Verwaltungsvorschriften – das muss klar sein – wird eine Verwaltung nicht arbeiten. Dazu wird möglicherweise auch Herr Kipp als Präsident des OVG einiges sagen können, auch wenn sie manchmal vielleicht für die Justiz unangenehm sind, weil sie eben diese interne Bindung auslösen. Ich habe das als Richter auch erlebt: Man kann sich manchmal den Mund fusslig reden, wenn man mit Öffentlichen zu tun hat, und sagen: Ändert das doch bitte! – Die Rechtsprechung geht anders. Solange sie nicht geändert wird, kann ja auf der unteren Ebene keine andere Entscheidung getroffen werden. Das ist aber auch notwendig, um zu einheitlichen Entscheidungen zu kommen. – Kurz gesagt: Hier kommt es auf den Weg an.

 

Befristung von Verwaltungsvorschriften, evtl. auch von Gesetzen: Dem könnte ich etwas abgewinnen, weil man in der schnelllebigen Zeit heute in den Bereichen, wo noch Kompetenzen bei den Ländern sind – sie sind ohnehin nicht mehr sehr groß –, durchaus sagen kann: Wir schauen uns mal die Entwicklung an und sehen dann, ob das in fünf Jahren – wie auch immer die Frist ist – noch Sinn macht.

 

Der Antrag – vielleicht ist das der, der zurückgezogen wurde – „Deregulierung – kein Fremdwort“ ist ein sehr alter. Das ist einer – jetzt bin ich mal sehr deutlich –, der unter den Aspekt kommt: Politik hat etwas gemacht und kümmert sich nicht um die Folgen.

 


Das ist in Ordnung, das kann man machen, aber es steht überhaupt nicht drin, was es für Folgen hat, wenn ihnen vorgelegt wird, welche Verwaltungsvorschrift es gibt und welche abgeschafft worden sind.

 

Kurz zu FDP: Ich weiß nicht genau, welcher Antrag zurückgezogen wurde. Ich bin aber der Auffassung, dass die Zielrichtung – insbesondere, was den Denkmalschutz angeht und ich glaube, eine zum Planungsrecht im Baurecht – zutreffend ist, dass man in Berlin unbedingt von dieser schwierigen Vermischung der beiden Verwaltungsebenen – Senat und Bezirke – wegkommen muss und dass Berlin dringend etwas tun muss, um zu einer Vereinheitlichung der Verwaltung – auch in den Bezirken – zu kommen. Das ist politisch nicht einfach, das weiß ich inzwischen. Aber das muss sein, und man wird auch dazu kommen müssen – das würde auch den Antrag der Grünen umfassen – zu sagen: Eine Ebene ist zuständig, und die muss es machen. Es haben alle Verwaltungsebenen in Berlin so viel Kraft, dass sie das allein machen können, und wenn etwas aus dem Ruder läuft, muss es aufsichtsrechtliche Maßnahmen geben. Insofern sind die Tendenzen in dem Antrag der FDP meiner Meinung nach richtig, aber im Einzelnen kann ich das nicht ausführen, weil ich dann hätte stärker einsteigen müssen. So viel für den Moment. – Danke schön!

 

Vors. Dr. Zotl: Recht herzlichen Dank! – Herr Dr. Dicke, bitte!

 

Dr. Hugo Dicke: Ich bin Ökonom, und einem Ökonomen geht es nicht um die formelle Rechtlichkeit, sondern um das Ergebnis einer Regulierung, d. h. um die Wirkung auf Wirtschaft und Gesellschaft. Grundsätzlich können Regulierungen die Kosten des Miteinanderlebens oder – technisch ausgedrückt – die Kosten von Transaktionen, auch wirtschaftlichen Transaktionen senken. Das sind die effizienten Regulierungen. Sie können aber auch die Kosten innerhalb und außerhalb der Verwaltung erhöhen, ohne dass diesen ein gleich großer Nutzen oder überhaupt ein Nutzen gegenübersteht. Das sind die ineffizienten Regulierungen, die abgebaut, aber keines falls vermehrt werden.

 

Als ich die Einladung hierher bekam, erinnerte ich mich an eine Zeit – die jetzt 20 Jahre zurückliegt –, als ich eine Studie über die Möglichkeiten und Grenzen der Gesetzesanalyse mit Blick auf die externen Kosten von Rechtsvorschriften gemacht habe. Das Thema ist jung geblieben, ich habe graue Haare bekommen. Das ist der Unterschied zwischen damals und heute.

 

Eine Variante ineffizienter Regulierungen sind diejenigen Regelungen, die den Wirtschaftsbürgern Bürokratiekosten auferlegen, indem sie ihnen Leistungen für den Staat ohne Entgelt abverlangen. Die Höhe dieser Kosten belief sich meinen Untersuchungen zufolge auf über 3 % der Wertschöpfung. Bei kleinen Unternehmen war die Belastung höher als bei den großen.

 

Eine andere Variante sind Regelungen, die verhindern, dass knappe Ressourcen in die vom Bürger am höchsten bewerteten Verwendungen gelangen. Ein Beispiel hierfür sind die vielen Vorschriften, die das Angebot an sich privatwirtschaftlicher Leistungen durch Verwaltungen ermöglichen soll. Wirtschaftliche Leistungen, die vom Land oder Bezirken in Konkurrenz zu privaten Unternehmen oder in einer Alleinstellung erbracht werden, erfordern durchweg einen höheren Einsatz von knappen Ressourcen, als es beim Angebot durch private Unternehmen der Fall wäre. Die Möglichkeiten Berlins, die Zunahme von ineffizienten Rechtsvorschriften einzudämmen oder gar zu verhindern, sind beschränkt auf die Zuständigkeiten des Landes. Da die Gesetzgebungskompetenz für einen großen Bereich von Tatbeständen nicht beim Land selbst liegt, sondern auf der übergeordneten föderalen Ebene – beim Bund –, und in zunehmendem Maße bei der Europäischen Union angesiedelt ist, wird Berlin mit einer weiteren Zunahme von Regulierungen konfrontiert sein.

 

Die Einführung einer ressortübergreifenden Gesetzesfolgenabschätzung im Land ist also nur geeignet, der Zunahme autochthoner ineffizienter Regulierungen entgegen zu wirken. Damit wäre nicht wenig gewonnen. Noch mehr wäre von dieser Neuerung zu erhoffen, wenn neben den guten Zwecken der Gesetzesfolgenabschätzungen – wie sie auch im Antrag formuliert sind – auch noch die Mittel definiert würden, die geeignet sind, die Zwecke dieses Gesetzes zu erreichen. Ich denke an Kostenerhebungen durch Befragungen und Kosten-Nutzen-Analysen oder Experimente, Methoden, die ich auch damals im Jahr 1985 ausgeführt und an drei Fällen demonstriert haben.

 

Zweckmäßig wäre es darüber hinaus, die mit der Normprüfung befasste Stelle mit der Aufgabe zu betrauen, ein Frühwarn- und Abwehrsystem – das klingt sehr militärisch – für ineffiziente Rechtsvorschriften aus dem Bereich des Bundes und der Europäischen Union aufzubauen. Ob all diese Schritte hinreichend sein würden, die Flut neuer Rechtsvorschriften in eine Ebbe zu verwandeln, ist nicht gewiss. Es wären wohl noch einschneidendere Maßnahmen erforderlich. Zu beseitigen wären die positiven Anreize für die Entscheidungsträger in den Verwaltungen aller föderalen Ebenen, neue, ineffiziente Regulierungen zu initiieren.

 

Die Geschichtsschreibung, die Anschauungsunterrichte, für die These vom Untergang von Reichen auf Grund einer zu starken Anhäufung von Gesetzen liefert, bietet auch Beispiele dafür, wie Gemeinwesen funktionstüchtig gehalten werden konnten, etwa indem negative Anreize für die Initiatoren neuer Gesetzes geschaffen wurden. Ein Beispiel sei hier genannt und nicht zur Nachahmung empfohlen: Ein Lokrier, der ein neues Gesetz in Vorschlag brachte, musste in der Volksversammlung mit einem Strick um den Hals dastehen, und wenn man das Gesetz verwarf, so wurde er augenblicklich daran aufgehängt.

 

Nun zu einem anderen Thema. Deregulierung erfordert in der Regel, dass ineffiziente Rechtsvorschriften
– damit meine ich Gesetze, Verordnungen und Entscheidungen – aufgehoben werden. Das dürfte noch schwerer zu bewerkstelligen sein als die Aufgabe, neue Regulierungen zu verhindert. Aus einem einfachen Grund ist es schwieriger, und das klang hier auch schon an: Es gibt bei der Abschaffung wenige Verlierer mit individuell großen Einbußen und viele Gewinner mit individuell geringen Vorteilen. Jeder der Verlierer hat einen großen Anreiz zu opponieren, während keiner der vielen Gewinner einen spürbaren Vorteil eines Lobbying für die Deregulierung erwartet. Es bleibt die vornehmste Aufgabe der Abgeordneten, Anwalt der vielen zu sein. Die in der heutigen Tagesordnung aufgeführten Anträge der Fraktionen tragen dieser Aufgabe in verschiedener Weise Rechnung. Einmal geht es um die Aufhebung einzelner ineffizienter Regulierungen nach dem Motto der induktiven Methode sowie um die Vereinfachung und Entschärfung von Rechtsvorschriften. Hier wäre es notwendig, die Aufhebung von Vorschriften einzubeziehen, die das Angebot von Leistungen der Verwaltung vorsehen, die ihrem Wesen nach privatwirtschaftlicher Natur sind.

 

In weiteren Anträgen geht es um die Verbesserung der Transparenz, der Produktion und des Bestandes von Regulierungen. In anderen Ausführungen geht es um einen durchgreifenden Abbau oder die Terminierung des Ablaufs ineffizienter oder überflüssiger Rechtsvorschriften. Das Wort „sunset-regulation“ fiel mir dazu ein, und in meiner Studie habe ich die entsprechende Direktive des amerikanischen Präsidenten abgedruckt, die diese Terminierung in rechtliche Bestimmungen kleidet. Der Adressat der meisten dieser Anträge ist der Senat. Ein Antrag fordert eine Stelle außerhalb der Verwaltung, die die Entbehrlichkeit von Rechtsvorschriften Berlins feststellen soll: diese Normprüfungskommission. Mir drängte sich der Eindruck auf, dass sich Legislative und Exekutive nicht auf gleicher Augenhöhe gegenüberstehen. Die Verfassung sieht eigentlich keinen Vorrang der Verwaltung vor dem Parlament vor. Dass die Verfassungswirklichkeit in dieser Weise von den in der Verfassung niedergelegten Grundsätzen der Teilung der Gewalten abweicht, hat zu der Behauptung Anlass gegeben, dass das Parlament – und das ist nicht das Berliner, sondern allgemein das Parlament – zu einer Art Notariat der Exekutive mutiert sei. Die verfassungsgemäße Rolle des Abgeordnetenhauses wieder herzustellen, wäre ein tragendes Element einer Deregulierungsstrategie. Ein anderes Element wäre eine Veränderung der Leistungsanreize für die Amtsinhaber. Festhalten an ineffizienten Regulierungen dürfte nicht länger belohnt werden. Zu belohnen wären Initiativen für deren Abbau und das Aufzeigen von deregulierungsbedingten Rationalisierungsmöglichkeiten in der Verwaltung. Das bedingt unter anderem Änderungen des Dienstrechts und viel Einsatz. – Danke!

 

Vors. Dr. Zotl: Recht schönen Dank! – Jetzt hat Herr Grysczyk das Wort.

 

Horst Grysczyk (Präsident des Rechnungshofs a. D.): Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren Abgeordneten! – Nach der freundlichen Einführung in die Arbeit der Berliner Normprüfungskommission und zu meiner Person, insbesondere durch Herrn StS Schmitz, wäre ich gut beraten, mich hier heute nicht mehr zu äußern, denn das, was Sie an Positivem gesagt haben, kann ich nicht übertreffen. Ich kann also nur dahinter zurückbleiben. Ich werde dennoch versuchen, die eine oder andere Bemerkung zu machen.

 

Zunächst noch eine zweite allgemeine Bemerkung: Herr Schmitz hat schon angedeutet, dass er mich überredet hat, einen Teil meines Ruhestands ehrenamtlich – wie übrigens die gesamte Kommission – dieser Arbeit der Normprüfung zu widmen. Ich habe das sicher auch deswegen getan, weil Herr Schmitz ein charmanter und überzeugungskräftiger Mensch ist. Ich habe es aber vor allem getan, weil es mir hier etwas zu tun schien, was wirklich etwas verändern kann.

 

Ich habe in meinem ganzen Berufsleben – sei es in der Zeit, in der ich in der Innenverwaltung mit Verwaltungsreform beschäftigt war, sei es in der Zeit als ich für den Berliner Haushalt verantwortlich war, sei es in der Zeit als Rechnungshofpräsident – an x verschiedenen allgemeinen Formulierungen mitgearbeitet, und ich hatte überhaupt keine Lust mehr, wenn es darum gegangen wäre, noch an einem 20. oder 30. Konzept mitzuarbeiten, sondern es geht gerade bei diesem Thema – Deregulierung, Verwaltungsreform, Verbesserung, Eindämmung von Normen, Verbesserung von Qualität von Normen – darum, etwas zu tun. Jetzt – vielleicht ist die Zeit auch erst jetzt reif gewesen – hat eine große Zahl von Ländern begonnen etwas zu tun, und Berlin hat damit etwa vor zwei Jahren mit der Normprüfung angefangen. Ich verweise auf den ausführlichen Bericht, der Ihnen in der Drs 15/2599 mit Anlage vorliegt. Sie können viele Dinge nachlesen, die ich allein aus Zeitgründen nicht sagen kann. Es gibt einen zweiten Bericht, den der Senat am Dienstag beschlossen hat. Der ergänzt das und setzt es fort.

 

Ich will auf der Grundlage dieser ausführlichen Drucksache einige Anmerkungen machen. Unumstritten ist das Ziel. Man kann aber unterschiedliche Wege wählen. Berlin hat einen besonderen und wie ich finde, einen sehr pragmatischen Weg gewählt. Wir hatten zwei Phasen: eine erste Phase mit einer etwas anderen Besetzung der Kommission und einem etwas anderen Verfahren und eine zweite Phase vom 1. April 2004 bis zum vorgestrigen Senatsbeschluss mit einer gemischten Kommission.

 

In diesen fast zwei Jahren haben wir in 28 Sitzungen ca. 70 Gesetze – das ist quantitativ interessant – in einem vernünftigen Aufwands- und Ertragsverhältnis beraten. Alle haben ehrenamtlich gearbeitet. Es war hochinteressant, in der gemischten Kommission zu arbeiten. Ich möchte Ihnen noch einmal in Erinnerung rufen, was Herr Schmitz bereits gesagt hat. Drei Mitglieder der Kommission sind rein extern: ein bekannter Kommunalwissenschaftler, eine Vertreterin der Industrie- und Handelskammer, jemand, der früher als Staatssekretär an verschiedenen Stellen der Verwaltung gearbeitet hat und jetzt als Rechtsanwalt tätig ist und im Grunde auch ich, der schon etwa seit vier Jahren im Ruhestand ist. Dazu sind zwei Verwaltungsvertreter gekommen, eine Staatssekretärin und ein Vertreter eines Bezirks. Wir haben also überwiegend mit Externen beraten und auf einer ganz schlichten Basis gearbeitet: Wir haben Wissen, Sachverstand, Erfahrungen auf der Grundlage einer guten Vorbereitung durch die Geschäftsstelle der Senatskanzlei zusammengeführt, darüber diskutiert und zum Teil mit den betroffenen Verwaltungen Anhörungen gemacht und dann daraus unsere Schlüsse gezogen.

 

Was ist das Besondere an dem Berliner Weg? – Eben diese starke Einbeziehung von Externen in die Kommission. Ich habe den Eindruck, dass auch im Saarland ein ähnlicher Weg gegangen wird, woanders sicher auch. Ich halte es für eine sehr positive Seite, dass wir Externe in der Kommission haben, um externen Sachverstand und andere, nichtadministrative und auch nicht im engeren Sinn parteipolitische Sichtweisen der Themen zu den einzelnen Gesetzen vorzutragen.

 

Das Zweite ist: Es ist eine unabhängige Kommission. Sie wurde zwar vom Senat gebildet, aber es gibt dabei keinerlei Weisungsabhängigkeit. Diese unabhängige Kommission arbeitet begleitend während des Mitzeichnungsverfahrens, d. h., sie verzögert das Gesetzgebungsverfahren nicht. Grundsätzlich nach der Zeichnung eines Gesetzentwurfs durch den zuständigen Senator berät die Kommission, und es wird – und darauf kam es uns sehr an – nichts an besonderer Zeitverzögerung eingebracht. Es ist das erste Argument, dass gesagt wird: ja, noch eine Kommission, noch ein Apparat, noch eine Verlängerung des Verfahrens. – Es gibt keine Verlängerung des Verfahrens.

 

Wir haben auf die Art und Weise eine ganz Reihe von Erfolgen gehabt. Ich will auf ein paar generelle Fragestellungen hinweisen, aber dann einige konkrete Beispiele nennen.

 

Zunächst ist natürlich die Frage, ob überhaupt etwas geschehen muss, ob es in Form eines Gesetzes geschehen muss und ob es in Form eines detaillierten Gesetzes geschehen muss, dann aber zunehmend wichtiger werdend auch der Vergleich – darauf hatte Herr Schmitz schon hingewiesen – mit anderen Bundesländern. Das ist nicht nur eine Frage der Finanzen, sondern auch eine Frage, ob wir nicht voneinander lernen können. Selbst wenn unterschiedliche politische Mehrheiten in anderen Bundesländern herrschen, kann man durchaus voneinander vernünftige Dinge übernehmen und vor allem dabei unvernünftige Dinge von vornherein vermeiden. Den Vergleich mit Brandenburg sollte man für selbstverständlich halten. Sie können sich überhaupt nicht vorstellen, wie dieser Vergleich generell von der Administration vernachlässigt wird. Es scheint so zu sein, als ob beide Seiten – das ist nicht nur eine Berliner Frage – auf der administrativen Ebene nichts miteinander zu tun haben wollen. Es ist unendlich wichtig, gerade wenn es aus finanziellen Gründen nicht zu einer kurzfristigen Fusion kommt. Es ist im Interesse der Anerkennung der Normen und deren Autorität wichtig, dass man nicht von Zehlendorf nach Klein Machnow über die Grenze schreitet und etwas völlig anderes hat.

 

Z. B. das Hundegesetz, das bereits im Parlament beschlossen wurde. Ich will das nicht bewerten, weil das eben immer eine politische Frage ist. Die Kommission hat wichtige Hinweise für die Politik, den Senat und letztlich auch für das Parlament zu geben, aber sie hat nicht die Politik zu ersetzen. Es gibt keine demokratische Legitimationen durch Wahl bei dieser Kommission. Die Politik ist nicht Aufgabe dieser Kommission, sondern die des Senats und vor allem des Parlaments. Aber bei den Hinweisen der Kommission ist es wichtig, dass sie auch klar stellt, dass ihr bei der politischen Entscheidung bewusst ist, dass es zwischen Berlin und Brandenburg völlig unterschiedliche Konzepte zu einer ganzen Reihe wichtiger Fragen gibt, wie z. B. beim Hundegesetz oder bei der Bauordnung, die auf uns zu kommt. Das muss man wenigstens wissen. Man muss keinen einheitlichen Weg gehen, aber man muss wissen, wie unterschiedlich der Weg ist. Darauf haben wir in der letzten Zeit ganz besonders hingewiesen.

 

Ich will Sie noch auf ein paar Kleinigkeiten aus der praktischen Arbeit aufmerksam machen. Wir haben z. B. in der Kommission mit sehr großen Bauchschmerzen ein Gesetz passieren lassen, das für die Berliner Situation völlig überflüssig war. Da kann ich nur an den Hinweis auf Europa anknüpfen: Wir haben ein Seilbahngesetz nur mit großen Bauchschmerzen akzeptiert. Wir haben – wie Sie wissen – keine ausreichenden Berge, was für Mecklenburg-Vorpommern genauso gilt, wir haben gar keine Seilbahn, aber wir sind gezwungen gewesen, dieses Gesetz laufen zu lassen. Es ist die Frage, ob wir das dann so perfekt machen mussten. Das, was Senat und Parlament gemacht haben, ist im Zweifel an Bayern und Baden-Württemberg orientiert, also an zwei Ländern mit guter Administration und ausreichenden Bergen. Das ist eine wichtige und interessante Frage, aber wir haben es aus Gründen der gemeinsamen europäischen Regelungen akzeptieren müssen, und ich weise darauf hin, dass es Ihnen als Parlamentarier und der Regierung als Politikern einfallen muss, wie wir es schaffen können, präventiv auf eine auf uns zu rollende Überregulierung aus dem europäischen Bereich hinzuweisen. Das ist etwas Wichtiges. Wir beschäftigen uns hier noch mit der Frage der Deregulierung im normalen Bereich. Das ist vergleichsweise harmlos gegenüber dem, was noch auf uns zukommt.

 

Ein weiteres Gesetz, das wir so nicht akzeptiert, sondern mit Hinweisen versehen haben, war ein Gesetz, in dem es im Wesentlichen um eine Regelung zum Thema Energiesparen und auch in wichtigen Fragen der Selbstbindung der Regierung und der Verwaltung ging. Wenn man überflüssige Gesetze vermeiden will, muss man nicht etwas, das man intern durch schlichte Weisungen erreichen kann, noch durch ein besonderes Gesetz regulieren. Aber da wurden wir in der Diskussion darauf verwiesen, dass das das Parlament so wünsche. Sie werden selbst sehen, ob Sie es für zweckmäßig halten, dass es ein Gesetz gibt, das vorwiegend eine Selbstbindung der Verwaltung in Gesetzesform regelt. Das haben Sie und auch die Verwaltung nicht nötig, Das sind überflüssige Gesetze.

 

Wichtig ist auch noch einmal der Abgleich mit anderen Bundesländern, vor allem mit Brandenburg. Gerade wenn es eine kurzfristige Fusion wegen der großen finanziellen Probleme beider Länder nicht geben soll, ist das umso nötiger.

 

Ich möchte Sie zum Abschluss dieser beiden Bemerkungen noch auf ein Problem hinweisen, dass Sie in Ihrem Herzen und bei Ihren Entscheidungen mit berücksichtigen mögen: Das Spannungsverhältnis zwischen Privatisierung und Deregulierung. Das wird übrigens besonders beim Thema Bauordnung deutlich. Entweder gibt man etwas heraus und dann hat man etwas privatisiert. Am besten so, dass man es nicht konkurrierend macht, sondern dass man auf die Wahrnehmung einer Aufgabe verzichtet, weil man meint, dass diese keine öffentliche Aufgabe ist, sondern ohne weiteres von einem Privaten wahrgenommen werden kann. Dann ist es aber unter Umständen wichtig, Rahmenregulierungen zu schaffen. Wenn Sie über Deregulierung auf der einen und Privatisierung auf der anderen Seite entscheiden, sollten Sie dieses Spannungsverhältnis mit berücksichtigen.

 

Ich habe jetzt fast zwei Jahre als Vorsitzender dieser unabhängigen Kommission gearbeitet und glaube, wir haben wirklich einiges auf den Weg gebracht, nicht nur, weil es die Höflichkeit von Herrn Schmitz gebietet, so etwas zu sagen. Sie können das in den Berichten und einzelnen Beispielen selbst nachlesen. Wir haben in unserem Bewusstsein nicht nur für den Senat etwas getan, sondern wir haben versucht, auch für das Parlament etwas zu tun, denn Sie machen die Gesetze. Wir haben geglaubt, dass das eine oder andere, was als Entwurf auf Sie zukommt, jetzt besser ist. Mir hat es Spaß gemacht, an einer praktischen Sache mitzuarbeiten und endlich nicht nur an einem Bericht zu stricken. Ich bin stolz darauf, dass ich in den zwei Jahren meiner Pension noch an so einer Aufgabe mitwirken durfte, und ich glaube, das Ergebnis für Berlin, der Berliner Weg bei der Erreichung des von allen angestrebten Ziels kann sich durchaus sehen lassen. – Vielen Dank!

 

Vors. Dr. Zotl: Recht herzlichen Dank, Herr Grysczyk! – Herr Präsident Kipp, bitte!

 

Jürgen Kipp (Präsident des Oberverwaltungsgerichts): Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! – Bevor ich heute Morgen hierher gekommen bin, habe ich auf meinem Schreibtisch die neuesten Fassungen der Gesetz- und Verordnungsblätter der Amtsblätter des Landes Berlin und des Bundes vorgefunden. Das geht mir jede Woche so. Ich habe mir die Überschriften dieser Vorschriften kurz angeschaut und dann durchzuckte mich der Gedanke: Ich mache heute hier nur eines: Ich lese Ihnen nur die Titel dieser Gesetze, Verordnungen, Verwaltungsvorschriften vor, und zwar kommentarlos.

 

Diese Wirkung empfinde ich jede Woche. Das ist eine Wirkung der Resignation und auch der Kapitulation, weil man denkt, dieses Thema Deregulierung, Entbürokratisierung ist ein aussichtsloses Thema. Aber wenn ich länger darüber nachdenke – und das habe ich natürlich in dem Zusammenhang getan –, dann kann man es doch nicht so ganz sehen. Wichtig scheint mir, sich zunächst einmal auch verfassungsrechtlich darüber Klarheit zu verschaffen, woher das kommt.

 

Ich will jetzt nicht ausholen. Man müsste – wenn man es gründlich macht – in die Entwicklung des deutschen Rechts zurückgehen. Das will ich nicht tun. Der entscheidende Einschnitt – da fange ich an – ist das Ende des zweiten Weltkrieges. Sie wissen, dass der nationalsozialistische Unrechtsstaat dadurch gekennzeichnet war, dass er die Subjektivität der Rechtspersönlichkeit verneint hat, mit all den schlimmen Folgen, die das hatte. Am Endes des zweiten Weltkrieges kommt – und das ist völlig richtig – die Gegenbewegung, nämlich: Das ist die Geburtsstunde des subjektiven öffentlichen Rechts des einzelnen Bürgers. Und nicht nur das: Dieses Recht wird einklagbar gemacht. Auf diesen beiden Grundpositionen haben wir seit 1949 durch das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und durch zahlreiche Gesetze, die auf der Grundlage des Grundgesetzes entstanden sind, ein rechtstaatliches System errichtet – hinter dem ich stehe, damit Sie mich nicht missverstehen –, was natürlich hochkompliziert ist und das wird nicht anders möglich sein.

 

Man muss schon an dieser Stelle sagen, dass dieses System gilt – wenn Sie Juristen sprechen, die viel im Ausland bewandert sind – als vorbildlich. Der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts nennt es einen Exportschlager. Das muss man zunächst auch als positiv vermelden.

 

Wenn Sie sich die ersten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts anschauen, wird das völlig deutlich. Bundesverwaltungsgericht, Band I: Fürsorge ist ein subjektives Recht des Bürgers. Also, man hat einen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen. Dahinter können wir nicht zurückfallen, und so entsteht die Frage, ob sich das bedingt. Muss – wenn wir dieses System für richtig halten – notwendigerweise daraus eine solche Regulierungsdichte entstehen, wie wir sie heute vorfinden, oder sind wir über das Ziel hinaus geschossen? – Das ist die Frage.

 

Ich nenne Ihnen ein Beispiel, und nun kommt aus meiner Sicht ein zentral wichtiger Dritter hinzu. Dieser Dritte ist das Bundesverfassungsgericht. Denken Sie an den berühmt berüchtigten Kopftuchstreit des Bundesverfassungsgerichts. Eine Baden-Württembergische Lehrerin unterrichtet – ich mache es ganz verkürzt – mit einem Kopftuch. Dieser Fall wird auf Verwaltungsebene beamtenrechtlich zunächst in einer bestimmten Weise geklärt, er durchläuft die verwaltungsgerichtlichen Instanzen bis hin zum Bundesverwaltungsgericht.

 


Am Ende steht, dass das Bundesverwaltungsgericht sagt: Die baden-württembergische Schulverwaltung konnte das untersagen, gestützt auf Regelungen des baden-württembergischen Beamtengesetzes. – Nun kommt das Bundesverfassungsgericht und sagt: So geht es nicht. Ohne eine besondere gesetzliche Regelung kann man das so nicht machen. Und die ist nicht da. Also, liebe Bundesländer, nun legt einmal los und überlegt, ob ihr eine solche Regelung schaffen wollt. – Das Land Berlin hat heute Nachmittag im Rechtsausschuss den Gesetzentwurf auf der Tagesordnung.

 

Mein Appell an das Parlament ist: Ist das notwendig? Haben wir in Berlin dieses gesellschaftliche Problem? Ich kenne keine einzige Streitigkeit von 30 000 Verwaltungsstreitverfahren. Am Verwaltungsgericht Berlin hat keine mit einem solchen Fall zu tun. Brauchen wir dieses Gesetz? – Und nun wird noch eines darauf gesetzt; das betrifft nicht nur Berlin, alle anderen Bundesländer machen das auch. Es wird sehr schwierig. Schreiben Sie einmal ein solches Gesetz. Ich möchte das nicht machen. Wie wollen Sie das fassen? – Sie kommen in Abgrenzungsprobleme hinein, die mir abstrakt kaum lösbar erscheinen. Ich sehe schon jetzt die Streitigkeiten im Anschluss, wenn wir das Gesetz haben. Dann wird es – so fürchte ich – nämlich nicht geklärt, sondern richtig problematisch sein.

 

Ein typisches Beispiel, wo dieser Zusammenhang nicht mehr ausreichend bedacht wird, und der Hauptschuldige in dem Fall ist das Bundesverfassungsgericht. Dafür haben wir viele Beispiele. Das Bundesverfassungsgericht hat eine große Leistung vollbracht. Wir haben im Grundgesetz einen Grundrechtskatalog, der vorbildlich ist, um den uns alle beneiden. Wenn Sie die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darauf hin durchleuchten, was das Bundesverfassungsgericht diesen Grundrechten alles entnommen hat, und Sie lesen sie dann, dann befällt Sie ein Zustand der Verzweiflung. Da soll beispielsweise in Artikel 14, Eigentumsgarantie, stehen: Maximal 50 % des Einkommens dürfen weggesteuert werden. Es gibt zahlreiche weitere Beispiele. – Also, ganz selbstkritisch an meine eigene Zunft, an die dritte Gewalt: Auch die dritte Gewalt hat massive Beiträge für den Zustand geleistet, den wir heute vorfinden. Die wichtigste Vorschrift, die einen Anteil daran hat, ist Artikel 3 des Grundgesetzes, das Gleichbehandlungsgebot.

 

In meinem letzten Teil komme ich zu der Wirkungsweise von Verwaltungsvorschriften. Ich beklage auch als Richter, dass wir eine weitgehende Entmachtung der Verwaltung vorgenommen haben. Die Verwaltung ist nicht nur an die Kette gelegt worden, sondern sie ist in weiten Teilen auch in einen Zustand der Verantwortungslosigkeit gebracht worden. Das ist auch die Verantwortung der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Daraus mache ich überhaupt keinen Hehl. Wir sind in der Vergangenheit in einer Weise in Ermessensbereiche der Verwaltung vorgedrungen, beispielsweise im öffentlichen Dienstrecht oder im Ausländerrecht. Ich habe die Weisungen der Ausländerbehörde des Landes Berlin in der Tasche, E.Bos 4 und E.Jug 3. Das sind umfangreiche Kompendien über die aufenthaltsrechtliche Behandlung von Flüchtlingen aus Bosnien oder anderen Nachfolgestaaten Ex-Jugoslawiens. – Ich frage mich, wie ein nach A 8 besoldeter Mitarbeiter des mittleren Dienstes – damit haben wir es bei der Ausländerbehörde des Landes Berlin zu tun – das verstehen soll. Ich brauche manchmal Stunden, um es zu verstehen, und nach zwei Stunden habe ich es wieder vergessen. Wenn ich nicht wieder so einen Fall habe, muss ich es mir wieder vergegenwärtigen. Das sage ich ohne Bösartigkeit gegen die Innenverwaltung oder die Leitung der Ausländerbehörde. Der Grund ist die Angst vor dem Verwaltungsgericht. Es wird in einer Weise regulierend auf die Verwaltungstätigkeit des einzelnen Sachbearbeiters eingegriffen, die nicht mehr hinnehmbar ist. Er hat keinen Spielraum mehr. Das wird vor dem Hintergrund des Gleichheitssatzes gemacht, denn wenn die Ausländerbehörde heute einem eine Aufenthaltsgenehmigung erteilt und morgen einem zweiten, dann gibt es sofort jemanden, der sagt: Wenn der eine bekommen hat, muss ich auch eine bekommen. Wo ist denn der Unterschied? – Und so schaukeln wir uns pausenlos weiter hoch. Dieses System muss auf allen Ebenen durchbrochen werden. Wir brauchen deshalb in der Verwaltungsgerichtsbarkeit eine Rückbesinnung auf unsere eigentliche Aufgabe.

 

Erlauben Sie mir zum Schluss, dass ich ein Blatt Papier verteile. Das dient dazu, Ihnen klar zu machen, in welchem Zustand wir uns befinden. – Ich bin – das hat mit meinem Hauptamt gar nichts zu tun – ehrenamtlicher Vorsitzender des Nachbarschaftsheims Schöneberg. Das ist ein kleiner sozialer Trägerverein. Wir haben kürzlich diesen Bescheid erhalten, den ich Ihnen gerade verteile. Ich bitte Sie, sich dieses Blatt Papier einmal kurz durchzulesen und es zu genießen. Es geht um die Rückforderung von 7,15 € überzahlter Zuwendung. – Ich schildere Ihnen noch ganz kurz den Fall: Unser kleiner Verein übernimmt bestimmte soziale Aktivitäten. Wir bekommen eine Subvention von 8 000 €. Wir müssen dann einen Verwendungsnachweis vorlegen. Das ist auch völlig in Ordnung. In dem Verwendungsnachweis tragen wir, weil wir vollkommen ehrlich sind, ein, wir hätten für dieses Projekt 8 007,15 € ausgegeben, also 7,15 € mehr. Nun kommt die Verwaltung – das hat eine lange Vorgeschichte, ich könnte Ihnen eine ganz Akte darüber vorlegen – und sagt: Aha, Ihr habt 7,15 € selber gehabt. Ihr seid mit den 8 000 € nicht ausgekommen, ihr habt 7,15 € Eigenmittel gehabt. Diese 7,15 € Eigenmittel schlagen wir euch als Strafzuschlag noch einmal drauf. Die habt ihr ausgegeben und müsst sie trotzdem noch einmal an die Verwaltung zurückzahlen, und zwar mit Zinsen. – Ich bitte Sie, diese Zinsberechnung zu genießen.

 

Ich halte dagegen, und auch das muss man für den Zustand unseres Landes sagen: Wir haben vor Kurzem mit der Wohnungsbauförderung des Landes Berlin zu tun gehabt. Da geht es um Größenordnungen von vielen Milliarden DM, respektive Euro, die in den vergangenen 30 Jahren dafür aufgewendet worden sind. Wenn ich die Verwaltungsvorschriften, die dazu bestanden haben, mit der Sache vergleiche, dann erfasst mich als Bürger das Grausen. In welcher Weise dann auch wieder auf der anderen Seite – das richtet sich an alle Fraktionen und Parteien, die hier sitzen –, Geld ausgegeben worden ist, ist abenteuerlich, so dass wir durchaus eine vielschichtige Situation haben. Wir haben den Bereich einer vollkommenen Überregulierung. Wir haben Bereiche – ich nenne es ohne Schärfe so – einer Verantwortungslosigkeit vieler Behörden und Verwaltungen. Der Appell an Sie ist, dem entgegenzuwirken. – Vielen Dank!

 

Vors. Dr. Zotl: Danke schön, Herr Kipp! – Herr Staatssekretär Müllenbach, bitte!

 

StS Müllenbach (Staatssekretär des Ministeriums für Inneres, Familie, Frauen und Sport des Saarlandes): Herzlichen Dank, Herr Vorsitzender! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! – Zunächst darf ich mich für die Einladung zu dieser Anhörung bedanken. Der Mensch ist ein lernendes Wesen, und ich habe mir vorgestellt, dass ich aus dieser Anhörung auch die eine oder andere Anregung für die Umsetzung in meinem Land mitnehmen kann. Ich bin gerne bereit, über die Erfahrungen zu berichten, die wir zu den Themen Bürokratieabbau und Deregulierung in den letzten fünf Jahren im Saarland gemacht haben.

 

Gestatten Sie mir einige grundsätzliche Vorbemerkungen, bevor ich nachher auf einige konkrete, im Land durchgeführte Maßnahmen eingehe: Ob wir im Bereich Bürokratieabbau ein Musterland sind, vermag und möchte ich nicht beurteilen, aber es hat bei mir schon Wohlgefallen ausgelöst, dass der Abgeordnete Wambach von unserem Saarland in dieser Beziehung gesprochen hat. – Was ich für unser Land und für die Landesregierung aber mit Fug und Recht behaupten kann, ist, dass wir versuchen, gerade hier einen Schwerpunkt zu setzen und dieses Thema nach Kräften aus dem parteipolitischen Alltagsgeschäft und Hickhack herauszuhalten. Die Eingangsstatements von Frau Flesch und Herrn Wambach haben mir das noch einmal verdeutlicht: Es sollte beim Thema Bürokratieabbau und Deregulierung – wie Herr Schmitz es gesagt hat – über alle Parteigrenzen hinweg ein sehr hoher Konsens und ein konsensuales Vorgehen angestrebt werden. Deswegen sollten dies eigentlich „unpolitische“ Themen sein.

 

Warum das aus meiner Sicht so sein sollte: Deregulierung ist kein Modethema, wie wir es in der Politik sehr häufig haben, sondern ist unter dem Aspekt der Standortfaktoren im Rahmen der Ansiedlungspolitik und der Abwägung von Standortvorteilen und -nachteilen ein Schlüsselthema für die Gegenwart, aber auch für die Zukunft. Die Regelungsdichte und damit verbunden der bürokratische Aufwand für Unternehmen, aber auch für unsere Bevölkerung, verbunden mit den damit zusammenhängenden Kosten, sind eine durch die Exekutive, aber auch vor allem durch die Legislative beeinflussbare Größe. Dies gilt sowohl für die im Wettbewerb untereinander stehenden Bundesländer, als auch für den Gesamtstaat Bundesrepublik Deutschland im Wettbewerb in der Europäischen Union und vor dem Hintergrund der weltweiten Globalisierung. Für mich ist daher die Deregulierung ein Politikfeld, bei dem aus gesamtstaatlichem Interesse heraus zwischen allen Parteien, auch zwischen Regierung und Opposition, ein höchstmögliches Maß an Konsens herrschen sollte.

 

Politik, Deregulierung und Entbürokratisierung sollten eher politikneutral sein. Das ist der zweite Grund für meinen Appell. Die Instrumente der Deregulierung, zum Beispiel die Rechtsbereinigung, sind: Wir haben im Saarland seit 1970 sieben Rechtsbereinigungen vorgenommen, und dabei über 40 000 Einzelvorschriften eliminiert. Ich gebe gerne zu, dass wir damit auch beim Oldenburgischen Recht angefangen haben und nach dem allgemeinen Preußischen Landrecht einige noch geltende Vorschriften eliminiert haben. Wir sind jetzt im Stande zu sagen, dass wir im Saarland 344 Gesetze und 872 Rechtsverordnungen haben. Wir haben einen genauen Überblick, und das ist im Moment noch – nach meiner Kenntnis – ein Alleinstellungsmerkmal in dieser Republik.

 

Rechtsbereinigung als wichtige Deregulierung, die Normprüfung, die Gesetzesfolgenabschätzung, mit der Sie sich aktuell in Berlin befassen, die Befristung von Gesetzen, die man sehr trefflich diskutieren kann, die wirtschaftliche Gestaltung von Verfahrensabläufen, also Prozessökonomie und auch der Abbau von Erlaubnis- und Genehmigungsvorbehalten sind ein ganzer Strauß von Deregulierungsinstrumenten. Daraus lässt sich ablesen, dass die Deregulierung und der Bürokratieabbau in den Programmen aller staatstragenden Parteien in der heutigen Zeit einen sehr hohen Stellenwert haben. – Ich gebe zu, dass diese Einschätzung für das Instrument der Privatisierung – das vorhin schon einmal angesprochen wurde – nicht zutrifft. Da gibt es schon politisch grundsätzliche unterschiedliche Auffassungen, wie weit man dort gehen sollte. Allerdings führt auch an diesem Instrument nach meiner festen Überzeugung aus volkswirtschaftlicher Sicht, mit Blick auf die notwendige Rückführung der Staatsquote, überhaupt kein Weg vorbei. Ein Hinweis auch hier auf die entsprechenden EU-Vorgaben zur Liberalisierung der Märkte. Da müssen wir handeln. – Parteipolitisch und ideologisch ist höchstens die eine oder andere Schwerpunktsetzung möglich. Ich möchte nicht verhehlen, dass Deregulierung und Bürokratieabbau auch zu einem politischen Richtungsstreit führen kann, aber das werde ich später vielleicht noch erläutern.

 

Jede Regierung, die sich das Thema Deregulierung auf ihre Fahnen schreibt, wird aus diesem vorbezeichneten Fundus, aus diesem Bündel von Einzelinstrumenten schöpfen können, und bei einem Regierungswechsel wird auch jede Folgeregierung gut beraten sein, auf den Leistungen der Vorgängerregierung aufzubauen. Das haben wir zumindest gemacht. Wir haben auf dem aufgebaut, was die SPD-Vorgängerregierung an sehr guten Initiativen in die Wege geleitet hat. Wir haben die beschleunigt und mit noch mehr Drive versehen. Wir haben vor allen Dingen eines gemacht: Wir haben nicht versucht, das Rad neu zu erfinden. Wir haben über den Tellerrand hinausgeschaut, nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch im europäischen Ausland, vor allen Dingen in den skandinavischen Ländern, und dabei Honig gesogen und versucht, dieses auf unsere Verhältnisse umzulegen. Deswegen sind wir auch im Bereich der Verwaltungsmodernisierung und Deregulierung im Moment im vorderen Bereich im Vergleich der Bundesländer.

 

Der vierte Grund, weshalb ich herzlich um einen Konsens über die Parteigrenzen hinweg bei diesem Thema bitte, ist, dass gerade die Länder unabhängig von der Zusammensetzung ihrer Regierungen in einem Boot sitzen. Das ist vorhin schon einmal angesprochen worden. Die heute vorzufindende Regelungsdichte beruht in übergroßem Maße nicht auf der Rechtssetzungstätigkeit der Länderparlamente oder der Länderregierungen, sondern ist insbesondere Ergebnis der übergeordneten Gesetzgebungstätigkeit auf der Ebene der EU oder des Bundes. Deswegen müssen die Länder in ihrer Gesamtheit ein unabhängig von der Farbenlehre herausragendes Interesse daran haben, gegen diese überbordende Gesetzgebungstätigkeit auf Ebene der EU und des Bundes vorzugehen, sonst laufen alle unsere Anstrengungen in den Ländern ins Leere und werden konterkariert.

 

Ich möchte nun auf meinen Hinweis zum politischen Richtungsstreit zurückkommen, der meines Erachtens deutlich aufweist, in welchem Spannungsfeld sich Deregulierung und Bürokratieabbau bewegen: Die saarländische Landesregierung hat im letzten Jahr einen weiteren konsequenten Schritt zur Entbürokratisierung getan. Sie hat im Landtag eine neue Landesbauordnung eingebracht. Vorgabe für die Neufassung war, dass das Bauen in unserem Land künftig schneller, einfacher und damit auch kostengünstiger werden soll. Das heißt im Klartext, dass es für mehr Bauvorhaben als bisher keine Genehmigung, sondern lediglich nur noch eine Anzeigepflicht geben soll. Erhebt die Gemeinde nach einer Frist von vier Wochen keinen Widerspruch, dann gilt die Genehmigung als erteilt. Das hat die Baugenehmigungspraxis massiv beschleunigt. In diesem Sinne haben wir eine Vielzahl von Genehmigungsvorbehalten in vielen Rechtsgebieten in Erlaubnisse grundsätzlicher Art mit Verbotsvorbehalten umgewandelt. Wir setzen mit diesen Regelungen auf den mündigen Bürger, der im Bauwesen, zumindest gemeinsam mit seinem Architekten, mehr Eigenverantwortung erhält. Viele Regelungen, die wir dort weggeschlagen haben, haben nicht immer das Wohlgefallen der Architektenkammer gefunden, weil dort Pfründe wegbrechen. In diesem Bereich ist Lobbyismus durchaus feststellbar, und es ist nicht immer nur das Beharrungsvermögen der öffentlichen Verwaltung, die ihr Gärtchen schön sauber pflegen möchte, sondern es sind auch Lobbyisten, die bei Verwaltungsmodernisierung und Deregulierung ihre Pfründe schwinden sehen, die sich dann mehr oder weniger laut und deutlich gegen Deregulierung und Bürokratieabbau wenden. – Es war auch bei uns im Land so, dass uns nicht nur die Architektenkammer, sondern auch die Opposition massiv beschuldigt hat, wir würden unzulässige und unverantwortliche Risiken im Baurecht schaffen, indem wir dem Bauherrn und seinem Architekten viel mehr Eigenverantwortung überlassen haben. Deshalb gibt es auch bei diesem Thema politische Reibungsverluste.

 

Ich habe in diesem Zusammenhang auch die Erfahrungen aus der saarländischen Deregulierungskommission, der ich vorstehen darf. In dieser Deregulierungskommission sind alle Ressorts vertreten, aber es sind dort auch angefangen von der Arbeitskammer, der Industrie- und Handelskammer, der Deutsche Gewerkschaftsbund und Verdi vertreten. Ein Aspekt heute morgen bei allen Deregulierungs- und Modernisierungsbemühungen war, dass Sie das Personal mitnehmen müssen. Meine Erfahrung ist, dass eine Verwaltungsmodernisierung und Deregulierung ohne das Personal nicht machbar ist. Deswegen muss das durch entsprechende Pflegemaßnahmen im Bereich der Behördenkultur begleitet werden. – In der Deregulierungskommission waren sehr viele Externe, auch Wirtschaftsverbände, zum Beispiel die Vereinigung der saarländischen Unternehmensverbände, vertreten, weil wir uns von dort Anstöße erhofft haben. Nach vierjährigem Bestand dieser Kommission bin ich über die Rückmeldungen enttäuscht, denn diejenigen, die permanent den Staat ermahnen zu entbürokratisieren, zu deregulieren, haben ganz wenige Vorschläge eingebracht. Zu ihrer Ehrenrettung möchte ich lediglich anführen, dass es überwiegend, wenn sie die Stimme erheben und klagen, um Vorschriften geht, die mit Landesrecht nicht zu beeinflussen sind, weil es überwiegend Vorschriften sind, die vom Bund oder von der EU gesetzt werden, die unsere Unternehmen im Moment zumindest quälen.

 

Wir haben vielfältige landesrechtliche Standards und Regelungen, die durchaus immer wieder, auch in der Vergangenheit, kritisiert wurden, aber wenn es konkret wurde, kam nichts. Wir haben in diesem Zusammenhang auch als Ausfluss der Deregulierungskommission ein so genanntes Standardflexibilisierungsgesetz auf den Weg gebracht. Das ist jetzt eindreiviertel Jahr alt. Das bedeutet – das kann nur gelten für vom Landesgesetzgeber oder Verordnungsgeber gesetzte Standards im Bereich der Bauordnung, Schulordnung, Kindergartenvorschriften und Ähnliches –, dass wir den Kommunen, die immer wieder gesagt haben: Das Land quält uns mit seinen Standards, die Möglichkeit gegeben haben, Standardbefreiungsanträge zu stellen. Ich bin von der Landesregierung befugt, mir diese Anträge anzuschauen und auch gegen den Widerstand des Fachressorts, das im Bereich Kindergärten oder im Bereich Gesundheit und Soziales zuständig ist, diese Standardbefreiung zu erteilen. Ich habe die feste Absicht, und dort gibt es nur eine Grenze, wenn durch die Absenkung oder den Verzicht auf den Standard eine Lebensgefahr besteht. So hoch habe ich die Hürde gehängt. Ich werde alle Standardbefreiungsanträge zeitlich befristet genehmigen. Ich habe in eindreiviertel Jahren dieses Standardbefreiungsgesetzes fünf Anträge von saarländischen Kommunen. Der neueste Antrag, der uns im Moment als neues Familien- und Frauenministerium enorme Probleme bereitet, ist ein Standard, den ich für eine Mittelstadt von 25 000 Einwohnern außer Kraft gesetzt habe. Sie wollen auf eine hauptamtliche Frauenbeauftragte verzichten und das im Nebenamt machen. Sie sparen dadurch Personalkosten. Ich habe diesen Standardverzicht genehmigt und muss mir auf der anderen Seite als Staatssekretär dort in diesem Ministerium die Prügel abholen.

 

Jetzt noch ein paar Sätze zur Gesetzesfolgenabschätzung im Land Berlin: Der dort ausgebrachte ressortübergreifende Ansatz, so wie er hier umgesetzt werden soll, ist absolut richtig und sinnvoll. Wir haben diesen Ansatz im Bereich der Reduzierung von Verwaltungsvorschriften mit sehr gutem Erfolg gewählt. – Ich möchte mir aber doch die eine oder andere kritische Anmerkung zu dem, was mir zumindest in schriftlicher Form vorgelegen hat, erlauben. Bei den Normprüfungen gibt es umfangreiche Kataloge, zum Beispiel die so genannte „blaue Liste“, die auch wir im Land umgesetzt und angereichert haben. Die Normprüfung wird fast in allen Ländern durchgeführt. Ich habe den Eindruck, dass diese Gesetzesfolgenabschätzung eher eine fortentwickelte Normprüfung ist, denn der Anspruch, den man an eine Gesetzesfolgenabschätzung stellen müsste, kann nach meiner Auffassung auch durch diese Verfahren nicht in einem hohen Wirkungsgrad erreicht werden. – Beispiel: Das einzige Gesetzesvorhaben, wo ein solcher Versuch gemacht wurde, durch interdisziplinäre Forschung auch die Wirkung eines Gesetzes in die Zukunft zu eruieren, ist meines Wissens in Rheinland-Pfalz beim dortigen Waldgesetz durch wissenschaftliche Begleitung gemacht worden. Sie sind auf dem richtigen Weg, und ich halte es für sehr sinnvoll, eine externe Kommission zu beauftragen, denn die systembedingte Schwachstelle bei den üblichen Normprüfungen ist die, dass man – auch verankert in den Geschäftsordnungen der verschiedenen Landesregierungen – es dem Normproduzenten weitgehend überlässt, wie er diese Prüffragen und Normprüfungen dort vornimmt und das Gesetz auf den Weg bringt. – Deshalb noch einmal meine Bestärkung, auf Ihrem Wege dort fortzufahren, weil wir im Bereich der Verwaltungsvorschriftenreduzierung mit einer ressortübergreifenden Kommission diese guten Erfahrungen gemacht haben, die sowohl die alten als auch die künftigen neu geschaffenen Verwaltungsvorschriften auf den Prüfstand stellt.

 

Wir haben von ursprünglich 3 346 Verwaltungsvorschriften 2 229 aufgehoben, Frau Flesch, nicht nur, um Masse zu produzieren, sondern um einen Befreiungsschlag zu machen. Wir haben die Vorgehensweise so gewählt, dass wir gesagt haben: Alle Vorschriften, die bis 1980 erlassen wurden, treten automatisch am 31. 12. 1999 außer Kraft, es sei denn, das zuständige Ressort begründet gegenüber dieser Arbeitsgruppe, dieser Kommission, den Fortbestand. Das wussten alle Ressorts, das war ein knapper Plan auf einer DIN-A-4-Seite, dass am 31. 12. 2000 die Verwaltungsvorschriften bis 1. 1. 1990 außer Kraft treten, es sei denn, die Notwendigkeit wird bekundet. So haben wir es fortgesetzt. Am 31. 1. 2001 haben wir alle Vorschriften außer Kraft gesetzt, die bis 2000 erlassen waren, es sei denn, die Notwendigkeit wurde begründet.

 


So haben wir zweidrittel aller Verwaltungsvorschriften außer Kraft gesetzt. Wir haben jetzt mit immer noch 1 017 Verwaltungsvorschriften auch unsere Verwaltung eingängig gleichmäßig in ihrem Verwaltungshandeln ausgerichtet. Wir haben viele, teilweise hahnebüchende Verwaltungsvorschriften, die insbesondere in großen Teilen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst gegängelt haben, ihnen jegliche Eigenverantwortung und damit Initiative und Kreativität genommen haben verzichtet, sie über den Jordan geschickt.

 

Ich habe als letzten Punkt die Verantwortung des Parlamentes für die Normprüfung und Gesetzesfolgenabschätzung. Es empfiehlt sich, die Verantwortung für die Normprüfung und Gesetzesfolgenabschätzung nicht allein der Exekutive zu überlassen, da auch das Parlament ein legitimes Interesse an den Folgen der von ihm beschlossenen Gesetze hat. Und wer inhaltlich und formal kraft Zuständigkeitsverteilung die Verantwortung für den Erlass von Gesetzen hat, der sollte auch eine Kompetenz für die Abschätzung der Folgen dieser Gesetze haben. – Ich habe mir überlegt, wie dieses in praxi geschehen könnte: Sie haben auf der einen Seite schon die wesentliche Vorprüfung durch die Kommission, die auch mit Externen besetzt ist, was die Gesetzesfolgenabschätzung anbelangt, aber es stünde auch einem Parlament gut zu Gesicht, dort im Bereich des wissenschaftlichen Dienstes ebenfalls eine Gesetzesfolgenabschätzung gegen laufen zu lassen, um eine zweite Sicherung einzubauen. Das ist ein hoher Aufwand, so dass man dann Kosten-Nutzen-Analysen anstellen muss.

 

Letzte Bemerkung: Deregulierung durch Aufgabenkritik und organisatorische Straffung. Überregulierung kann selbstverständlich auch durch Aufgabenkritik und damit durch den Abbau von Aufgaben vermieden werden. Aber auch in Bereichen, in denen Sie nicht sofort alle staatlichen Aufgaben reduzieren können oder in Bereichen, wo trotz Sisyphusarbeiten wegen bestimmten Beharrungsvermögens von Verwaltung es nicht zu diesem Abbau gekommen ist, kann man allein durch die Straffung von Organisationen, durch Zusammenlegung von Behörden, Ämtern und Betrieben – wir haben es jetzt bei Ministerien gemacht, ein Ministerium wieder eliminiert und nach der Wahl im letzten Jahr wieder zusammengefasst – Druck auf die Verwaltung ausüben, die sich dann diese lieb gewonnenen Standards und ihre lieben Gärtchen nicht mehr leisten kann, weil sie es nicht mehr packt. Ich sage es ganz brutal: Man muss die Verwaltung dann austrocknen. Sie darf sich nicht mehr damit befassen, und sie wird, wenn sie eine funktionierende Verwaltung ist, mit verantwortungsbereiten Führungskräften und vor allen Dingen auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sehr genau unterscheiden können, was zur Aufgabenerfüllung zwingend notwendig ist und was Beiwerk ist, das manchmal lieb gewonnen wurde und Nischen geschaffen hat, allein durch Reduzierung des Personals, durch Veränderung von Strukturen, Abbau von Hierarchieebenen einen ganz erklecklichen Anteil an Verwaltungsmodernisierung und Deregulierung erreichen können. Denn Verwaltung hat – erlauben Sie mir das als Mensch, der ebenfalls schon 36 Jahre in der öffentlichen Verwaltung tätig ist – ein sehr schönes Bestreben, sich intensiv vor allen Dingen mit sich selber zu befassen. Dieses müssen Sie unterbinden, und da ist auch der Gesetzgeber gefordert.

 

Wir versuchen im Moment – das ist der derzeitige Sachstand im Land – auf der Grundlage eines Gutachtens, das Herr Prof. Dr. Joachim Jens Hesse vom internationalen Institut für Staats- und Europawissenschaften in Berlin für uns erstellt hat, dieses Austrocknen noch zu forcieren. Er hat uns erstens eine sehr saubere, methodisch hervorragende Aufgabenkritik, Aufgabenerhebung auf den Tisch gelegt und über 200 Empfehlungen gegeben, wie wir die öffentliche Verwaltung über die drei Ebenen Land, Kreisverbände und Kommunen straffen können, wie wir Aufgaben, sowohl Ausgaben als auch Aufgabenverantwortung, bündeln und dort Mehrfachzuständigkeiten absenken und abbauen können. Wir sind wild entschlossen, dieses durchzuführen.

 

Letzte Bemerkung: Es ist ein sehr umfangreiches Gutachten mit jeder Menge Zündstoff, zum Beispiel die Anzahl der Kreise im Saarland. Wir leisten uns in einem kleinen Land, das so groß wie ein Kreis in Bayern oder Nordrhein-Westfalen ist, sechs Landkreise mit der entsprechenden Verwaltung. Wir leisten uns sechs Ausländerbehörden. Wir leisten uns sechs Straßenverkehrsbehörden. Wenn es nach mir ginge, wenn die Verfassung es zuließe, würden wir alles hochzoomen oder alles auf die kommunale Ebene geben und diese Ebene wegschlagen. Es wird wohl darauf hinauslaufen, dass wir die Anzahl der Kreise reduzieren. Es gab heftigste politische Diskussionen. – Meine Empfehlung an alle, die solche Umorganisationen vorhaben: Die Dauer der Diskussionsphase so kurz wie möglich halten und dann sofort umsetzen. Das haben wir in vielen Bereichen, auch bei den Verwaltungsvorschriften oder anderen Verwaltungsmodernisierungsmaßnahmen bei uns im Land gemacht, denn die Zahl der Bedenkenträger ist immens. Es ist offenbar so, dass auch sehr gute und wohl durchdachte Dinge in einem langen Diskussionsprozess dermaßen zerredet werden, dass sie es nicht mehr hinbekommen, die Dinge dann auch umzusetzen. Deswegen ist es unsere Absicht, bis spätestens im Juni diesen Jahres alle politischen Diskussionen geführt zu haben, und dann wird entschieden, und bis Mitte nächsten Jahres ist alles umgesetzt, insbesondere im Bereich der 13 Landesbehörden. Die werden wir auf fünf bis sechs reduzieren. Das wird schon erhebliche Effizienzgewinne und Deregulierung bringen. – Herzlichen Dank!

 

Vors. Dr. Zotl: Danke schön, Herr Staatssekretär! – Damit ist die Expertenrunde abgeschlossen. Wir treten in die Debatte ein. – Frau Flesch, bitte!

 

Frau Abg. Flesch (SPD): Vielen Dank, Herr Vorsitzender! – Bevor ich auf Einzelheiten dessen eingehe, was von den Herren dankenswerterweise gesagt wurde, doch noch einmal ein Versuch, Herr Krestel, Herr Wambach, mich Ihnen gegenüber verständlich zu machen. Wenn ich sage: Deregulierung ist kein Selbstzweck, die Masse von weggefallenen Verwaltungsvorschriften ist kein Zweck an sich, dann meine ich damit, wir sollten von einem Ziel aus beginnen. Das Ziel heißt: Entbürokratisierung. Das ist ein falsches Wort, weil das ein negatives Ziel ist. Das positive Ziel heißt: Klare Regeln. Was muss geregelt werden? Wie ist das Verfahren? Also das altbekannte Schlagwort: Effiziente und effektive Verwaltung dort, wo sie nötig ist. Der zweite Teil ist der neuere in diesem Deregulierungsaspekt.

 

Das heißt an dem Beispiel Bauordnung gesehen: Was muss ich regeln? Muss ich das Einfamilienhaus einer Genehmigungspflicht unterlegen? Wie läuft das Verfahren? Das sind dann meine Prozesse, aber auch die Prozesse der anderen. Da haben wir unsere allgemeinen Forderungen: Bürgerfreundlichkeit, Lebenslagenorientierung. Es kann nicht heißen, dass ich eine Genehmigungspflicht abbaue, daraus eine Anzeigepflicht mache, aber den Bürger dazu verpflichte, zu 20 Behörden zu gehen, um sich die Untergenehmigungen, die wasserrechtliche, die umweltschutzrechtliche und die denkmalschutzrechtliche usw. einzuholen. Das heißt, ich muss einerseits sehen, was ich regeln muss und andererseits muss ich sehen, wie regele ich es so, dass es meinem allgemeinen politischen Primat der Bürgerfreundlichkeit und der Lebenslagenorientierung entspricht. – Und dann kann ich noch sehen, welche Vorschriften sonst noch wegfallen können. Das wäre interessant zu erfahren. Das ist dem Gesetzentwurf – nehmen wir jetzt noch einmal als Beispiel das zweite Gesetz zur Rechtsvereinfachung – nicht zu entnehmen. Wie viel Verwaltungsvorschriften gab es in diesem Bereich oder gibt es bislang? Wie viele davon fallen weg? Wie viele werden neu verändert erlassen?

 

Herr Gryscyk, eine Anregung an die Normprüfungskommission, ob man nicht eine solche Frage auch zum Gegenstand der Checkliste macht. Dann sehe ich nämlich nicht, wenn es, wie Herr Wambach unterstellt, 120 000 Verwaltungsvorschriften gibt – [Abg. Wambach (CDU): 60 000!] –, wie viele Verwaltungsvorschriften wegfallen, sondern ich sehe, was ich brauche. Das alles im Hinblick darauf, dass wir den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Behörden die Verantwortung geben, selbst im Rahmen ihrer Kompetenzen zu antworten.

 

Es tut mir Leid! Es sind nicht nur die Verwaltungsgerichte, der Gesetzgeber und die Bürokratie, die den Menschen die Freiheiten nehmen. Zu dem Beispiel, das Sie uns hier gegeben haben, fragen Sie einmal Herrn Gryscyk. Wenn die das nicht macht und zurückfordert, schreit der Rechnungshof aber ganz laut. Das ist ein Problem. Wir sind alle Mitspieler an dieser Schraube. – Wegfall von Verwaltungsvorschriften? Ja, unbedingt, verbunden mit einer entsprechenden Qualifizierung der Mitarbeiter. – Ich sage Ihnen voraus, ich prophezeie: Wenn wir morgen sämtliche 60 000, von Herrn Wambach unterstellten Verwaltungsvorschriften des Landes Berlin wegfallen ließen, würde sich nichts ändern. – Ich selbst war Mitarbeiterin einer Verwaltung. Die Grundstücksordnung für das Land Berlin, die 1980 ausgelaufen war – die Befristung von Verwaltungsvorschriften hatten wir schon vor einer Weile –, gilt eigentlich nur für Grundstücke des Landes Berlin. Wir haben sie für Ansprüche des Landes Berlin auf Restitution analog angewandt, also doppelt blöde, wenn man das so sagen darf. Und in diesem Rahmen gegenüber den Kollegen, die sich daran halten, und denen, die sich nicht daran halten, den Neuen, den Alten, den Chefs und den Überchefs selber Verantwortung zu entwickeln, diesen Schlingerkurs zu machen, zeigt deutlich, wie blödsinnig manche Vorschriften sind und wie blödsinnig es ist, an ihnen festzuhalten. Aber, wenn man das den Mitarbeitern, die 20 Jahre mit Verwaltungsvorschriften arbeiten, heute wegnimmt, sind sie hilflos. Daran müssen wir arbeiten.

 

Ich erinnere an die 13. Wahlperiode. Da gab es das Ziel, ein paar Verwaltungsvorschriften abbauen. Da blieben auch wieder nicht so viele übrig. Das waren damals die berühmten sieben. Von den sieben waren es drei im Bereich der bezirklichen Naturschutz- und Grünflächenämter. Prompt wurde ich von einer Freundin angesprochen: Das könnt ihr doch nicht machen. Ihr könnt uns doch diese Verwaltungsvorschriften nicht wegnehmen. Dann haften wir ja. – Dann habe ich gesagt: Wieso? – Baumschnitt ist Baumschnitt über einer Straße, und LKWs sind so und so hoch. Du brauchst keine Verwaltungsvorschrift, um zu wissen, dass du vor Beginn des Frühjahrs Bäume beschneiden musst, damit die LKWs oder Busse fahren können. – Das waren jetzt nur Beispiele. Aber, Herr Müllenbach, der Punkt, was geregelt werden muss, ist eine zutiefst politisch streitbefangene Frage. Die Frage: Machen wir das Verfahren sauber?, ist eine andere. Zwischen die Philosophie von Herrn Krestel und mir passen Welten, was geregelt werden muss und was nicht. Und das ist auch gut so. Davon lebt die politische Auseinandersetzung.

 

Ich bin ein bisschen „enttäuscht“, dass eines meiner Lieblingsthemen, Qualitätssicherung statt staatlicher Kontrolle, so gar keine Rolle in der gesamtbundesrepublikanischen Diskussion zu spielen scheint. Ich denke mir, dass ein ganz wesentlicher Teil des Bürokratieabbaus analog ISO 9000 stattfinden kann, indem ich Leuten, die Durchführungsaufgaben für mich durchführen nicht mehr staatlich kontrolliere, sondern sie einer strengen Selbstkontrolle mit Zertifizierung usw. unterlege. Leider höre ich bislang noch aus keinem Bundesland entsprechende Initiativen. Es wäre schön und sinnvoll, so etwas zu machen. Das hilft mehr, als einzelne Vorschriften wegzustreichen.

 

Zusammenfassend: Wenn wir davon ausgehen, wir wollen nicht etwas um seiner selbst willen machen, sondern um bestimmte Ziele zu erreichen, dann sollten wir uns auf die Ziele verständigen, politisch um die Ziele streiten, aber schauen, dass wir an der Prämisse, die völlig klar, parteiübergreifend immer wieder geäußert wird, wir wollen es den Menschen auf beiden Seiten einfacher machen, also den Bürgern, der Wirtschaft auf der einen Seite und den Verwaltungsmitarbeitern auf der anderen, und dabei so viel Bürokratie wegfallen lassen wie nötig und möglich, festhalten und dann solche Wege gehen, wie ganz bestimmte Lebenslagen aussuchen, wie Bauen. An diesen Lebenslagen merken es die Menschen am ehesten und nicht an theoretischen Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die wir haben und die die Bürger an sich gar nicht interessieren. Auf diesem Wege vorwärts gehen, ist der richtige Weg für uns.

 

Vors. Dr. Zotl: Danke schön, Frau Flesch! – Herr Wambach, bitte!

 

Abg. Wambach (CDU): Ich bin mir jetzt nicht ganz sicher, wie die Auffassung Ihrer Fraktion nach Ihren Ausführungen ist, wie wir jetzt methodisch oder systematisch bei dem Thema weitermachen. Das hat sich bei mir noch nicht so ganz erschlossen, denn die Fragestellung war, wie wir mit dem Ist-Zustand, der schon einige Jahre andauert, und dem Erkenntnisreichtum, den wir inzwischen durch verschiedene Diskussionsrunden, Veranstaltungen und Kommissionen und dergleichen hatten, umgehen. Herr Bäumer hat dankenswerterweise darauf hingewiesen, dass wir kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem haben. Das haben wir nicht nur in dem Bereich, sondern auch in anderen.

 

Für mich stellt sich konkret die Frage, auch auf Grund der Antragslage und möglicherweise den Vorhaben der Koalition, in diesem Bereich im Laufe dieser Legislaturperiode noch irgendetwas zu tun, wie denn nun der Weg weitergeht. Wird es jetzt diesen Befreiungsschlag à la Saarland in diesem Bereich geben, oder machen wir mit der Einzelbetrachtung und den mit Lobbyismus behafteten Einzeldiskussionen weiter, die uns dann bis in die Ausschüsse und in viele andere Gremien verfolgen? – Die Diskussion mit der Architektenkammer hatten wir in Berlin doch auch. Die Frage hat Herr Kipp auf den Punkt gebracht, das war auch noch einmal interessant: Haben wir an der Stelle den Übergang vom Verwaltungsrecht ins Zivilrecht? Nichts anderes ist es. – Wenn ich Verantwortung aus staatlicher Hand gebe im Sinne von Staatsaufgabenkritik oder Aufgabenkritik, bin ich aus dem Verwaltungsrecht heraus und bin im Zivilrecht. Das heißt, da ist das Beharrungsvermögen auf der einen Seite, aber auch eine Verpflichtung, die die Politik an die Zivilgesellschaft im Zuge von Deregulierung oder Entbürokratisierungsdebatte zu stellen hat, so dass dann Verantwortung übernommen werden muss, auch im Sinne von – beispielsweise bei den Architekten war das die große Frage – Haftung für ihr Tun. Da gibt es ganz viele andere Berufsstände, die sich so im Laufe der Jahrzehnte irgendwo relativ gemütlich und haftungsfrei eingerichtet haben, denen ich aber trotzdem mit einer staatlich garantierten Gebührenordnung, wie zum Beispiel bei den Architekten mit der HOAI oder bei anderen mit irgendwelchen Gebührenordnungen, meine Gebühren zu entrichten habe. – Das schönste Beispiel kommt nicht aus Berlin, sondern aus Bonn: Der Schürmann-Bau, das größte Baustellenaquarium der Welt. Da haben wir gesehen, dass sich die Haftung des Architekten am Ende auf 600 000 DM belief. Der Schaden war ein dreistelliger Millionenbetrag. So lebt es sich natürlich auch ganz nett.

 

Da muss dann möglicherweise auch einmal öffentlich debattiert und gestritten werden. Man kann nicht auf der einen Seite Entbürokratisierung und Deregulierung einfordern und auf der anderen Seite Verantwortungsübernahme, auch im zivilrechtlichen Sinne, ablehnen. Die beiden Dinge passen nicht zusammen. Oder wir haben von Seiten des öffentlichen Dienstes oder von Seiten der Behörden die Möglichkeit, zu sagen: Wenn wir zum Beispiel mit einer Baugenehmigung eine Haftungsübernahme machen, also wenn ihr die wollt, dann müsst ihr dafür auch ordentlich bezahlen. Dieser Stempel muss dann auch etwas wert sein. Und das können wir inzwischen auch beziffern, denn wir sind zumindest schon im bezirklichen Bereich auf Grund unserer betriebswirtschaftlichen Elemente in der Verwaltung so weit, dieses zu tun.

 

Deswegen ist das Ganze ein System kommunizierender Röhren. Das ist für mich durch die Ausführungen, die von den fünf externen Sachverständigen gemacht worden sind, deutlich geworden. Staatsaufgabenkritik, Gesetzesfolgenabschätzung und Normenkontrolle bzw. Deregulierung gehören unmittelbar zusammen, und so muss man das insgesamt begreifen. – Deswegen möchte ich noch ein paar Punkte herausheben, die mir in dem Zusammenhang wichtig sind: Ich glaube verstanden zu haben, dass zumindest mehrere übereinstimmend gesagt haben, dass auch die – das ist deutlich von Herrn Müllenbach gesagt worden – Gängelung der Mitarbeiter im öffentlichen Dienst, Stichwort: Entscheidungsfreiheit, Entscheidungskompetenz, auch beim einzelnen Mitarbeiter aus meiner Sicht etwas ist, was durch Verwaltungsvorschriften maßgeblich beeinflusst wird und ein Abbau von Verwaltungsvorschriften am Ende dazu führt, dass wir eigenverantwortlich handelndere Mitarbeiter in der Verwaltung haben. Das ist zumindest ein Ziel, Frau Kollegin Flesch, das ich mir wünsche, und das sicherlich eines ist, das wir gemeinsam anstreben sollten, auch im Sinne des Verwaltungsreformgrundsätzegesetzes, das ein Stück mehr mit Leben erfüllt werden sollte. – Deswegen sollten wir sehr schnell dazu kommen, die vielen Tausend Vorschriften, die es in der Verwaltung gibt, wo sich Mitarbeiter im umgekehrten Fall auch hinter „verstecken“ können, weil sie vielleicht gar nicht so gern Verantwortung übernehmen. Es schläft sich abends leichter ohne Verantwortung. Das gehört aber nun einmal zum Job dazu – so, wie wir Verwaltung in Berlin verstehen –, aktiv Verantwortung zu übernehmen, diese auch zu tragen und anschließend für eine Entscheidung verantwortlich zu sein. Das kann und muss ich Mitarbeitern, die ab einer bestimmten Besoldungsstufe entscheidungsbefugt sind, in Berlin zutrauen. Das ist das, was wir wollen.

 

In puncto Normenkontrollkommission habe ich noch ein paar Anmerkungen: Die Berlin-Brandenburg-Diskussion. Herr Gryscyzk, es ist aus unserer Sicht auch sehr wichtig, dass noch einmal klar gemacht wird, dass wir es uns nicht erlauben können, neue Gesetze auf den Weg zu bringen, trotz der ganzen zeitweisen kontroversen Diskussion über die Länderfusion: Wann und wie und in welchem Zeitfahrplan, insgesamt auf Grund der Verantwortung als Berlin mitten im Land Brandenburg gegenüber den Bürgern Gesetze zu machen, die möglicherweise anders sind oder auch von der Folge her für den Bürger anders sind als die, die in Brandenburg gemacht werden, zumindest, was die bürokratische Ausgestaltung angeht.

 

Der zweite Punkt, dass viele Externe in der Kommission sind. Auch das begrüßen wir sehr als CDU. Die Frage für die Zukunft ist, wie die Stellung der Kommission weiterhin sein sollte. Sie haben völlig Recht anzumerken, dass eigentlich wir als Gesetzgeber die Adressaten Ihrer Botschaft oder Prüfung sein sollten. Das Bedauerliche ist, dass zumindest ich bisher im Gesetzgebungsverfahren der letzten anderthalb Jahre kein Votum der Normenprüfungskommission bekommen habe. Ich habe das als Abgeordneter – und wir hier im Ausschuss – bei Gesetzen, die wir federführend behandelt haben, nicht bekommen. Ich bekomme immer nur die Gesetzesvorlage im Parlament, die vom Senat kommt, wo hinten die Gesetzesabfolgeschätzung drin steht, und ich sage noch einmal: Da steht bei den meisten Gesetzesvorlagen, die wir in der letzten Zeit bekommen haben, keine, insbesondere, was finanzielle Auswirkungen angeht. Entweder wird die Botschaft dann vom Senat nicht an das Parlament weitergeleitet, oder wir als Parlament müssen selber einen Mechanismus finden, wie wir Ihre Normenprüfungen im Gesetzgebungsverfahren bei uns bekommen. Herr Müllenbach hatte auch darauf hingewiesen. – Die Frage ist, ob Doppelarbeit durch den wissenschaftlichen Parlamentsdienst nötig ist, oder ob ist es einfach nur die Frage ist, wie sie im Land Berlin institutionalisiert werden? – Die Senatskanzlei ist nicht a priori unabhängig. Das wäre ja auch noch schöner. Darüber müsste man sich noch einmal unterhalten, ob der Rechnungshof vielleicht als Aufhängungspunkt der richtige wäre, beispielsweise, weil Sie dann sowohl dem Parlament als auch dem Senat zuarbeiten könnten, oder ob es einen Weg gibt, wie wir als Parlamentarier Ihre Erkenntnisse entsprechend bekommen.

 

Nächster Punkt in diesem Bereich ist für mich, dass das, was geprüft wird, eigentlich VGG-kompatibel sein könnte. Das ist nur ein kleiner Seitenhieb an der Stelle. Was mir zum Beispiel fehlt im Sinne dessen, über was wir im Ausschuss seit vielen Jahren reden, ist bei dem vierten Punkt in der Checkliste, finanzielle Auswirkungen, die Frage: Wird denn da ein Produkt gebildet für das, was in dem neuen Gesetz vorgesehen ist? Wie werden die gebucht? Und kann ich dann auch – ich weiß nicht, wer von Ihnen das angemerkt hatte – anschließend ein Controlling dieses Gesetzes im besten Sinne eines ziel- oder wirkungsorientierten Controllings aufsetzen, einschließlich der Frage des Verfallsdatums? – Jedes Gesetz verfolgt irgendeine Absicht, sonst bräuchte ich es nicht zu machen. Wenn diese Absicht oder das Ziel des Gesetzes erreicht wird, dann kann ich dieses letztlich auch über die Zahlen aus den betriebswirtschaftlichen Elementen der Verwaltung nachvollziehen oder nicht. Ich denke, da sind wir uns mit dem Rechnungshof an der Stelle auch sehr schnell einig, denn wir machen viele Gesetze, die möglicherweise gar nicht nötig sind – auch das ist angesprochen worden –, weil irgendeine Gruppe meint, wir müssten jetzt ein Gesetz machen und manche Ansprüche dann erst einstehen, weil ein Gesetz da ist. Auch das haben wir umgekehrt schon gehabt, dass ein Gesetz plötzlich eine Anspruchsgrundlage herstellt, wo vorher gar keine Nachfrage da war. – Ich finde, künftig sollten im Zuge dieses Normenprüfungsverfahrens zumindest dann auch unsere Vorstellungen vom Verwaltungsreformgrundsätzegesetz und bei den finanziellen Auswirkungen die betriebwirtschaftlichen Elemente, die inzwischen längst in der Verwaltung eingeführt sind, Berücksichtigung finden, damit Parlament und Rechnungshof und möglicherweise eine Normenprüfungskommission anschließend die Möglichkeit haben, beim Verfallsdatum von Gesetzen ein entsprechendes Controlling durchzuführen.

 


Ich bitte insgesamt darum, dass man sich in der Koalition – ich weiß, dass es dort presseöffentlich die Überlegung zumindest seitens der PDS-Fraktion gegeben hat, möglicherweise diesen Weg auch einzuschlagen –vielleicht jetzt dazu durchringt zu sagen: Wir wollen nach diesen vielen Jahren und den vielen Diskussionen, die wir hatten, diesen Befreiungsschlag versuchen und das Modell Saarland hier in Berlin nachempfinden. – Wenn Sie unseren Antrag, den wir dazu gestellt haben, so nicht mögen, dann können Sie ja einen neu formulieren, oder wir formulieren parteiübergreifend einen im Ausschuss, in der Sprecherrunde oder wo auch immer. Das können wir alles machen. Wichtig ist uns nur, dass jetzt endlich etwas passiert.

 

Vors. Dr. Zotl: Danke schön! – Kollegin Oesterheld, bitte!

 

Frau Abg. Oesterheld (Grüne): Das Thema Deregulierung macht sich so gut, weil alle nicken und es wichtig finden, und wenn es ins Detail geht, dann geht die Streiterei los. Ich kann das nicht so sehen wie Herr Müllenbach, dass das nichts mit Politik zu tun hat. Wenn Sie die Umweltgesetze abschaffen, dann wissen Sie, dass die Grünen auf die Barrikaden gehen, weil das nicht nur eine Frage der Deregulierung ist, sondern weil Sie damit gleich politische Zielsetzungen verbinden. Das betrifft die meisten Regelungen. Insofern: Von einer unpolitischen Deregulierung zu sprechen, ist nur in ganz begrenztem Maße richtig. Deregulieren wollen wir alle, aber wenn es darum geht, was wir damit erreichen, dann wird es schon schwierig.

 

Ich muss auch sagen, dass so einige Anträge, die mir in den letzten Jahren vorgekommen sind, unter dem Deckmantel der Deregulierung letztlich irgendwelche Sachen außer Kraft setzen wollten. Ob es die Zweckentfremdungsverbotsverordnung von der FDP war, die ja dann durch Richterrecht abgeschafft wurde, ob es die Kinderspielplatzrichtlinien waren, die irgendjemanden gestört hat, weil man dann ja Kinderspielplätze bauen muss – das sind doch alles immens politische Fragen, ob man bestimmte Auflagen macht oder nicht.

 

Ich finde allerdings, dass die Gesetze und Verordnungen einfach sein müssen. Da ist auch wieder die Zweckentfremdungsverbotsverordnung ein Beispiel, die nicht nur eine komplizierte Überschrift hat, sondern inhaltlich so katastrophal war, dass ich mindestens einen Tag brauchte, um zu wissen, wie aaa zu eee steht und warum da alles fünf- und sechsmal aufgeführt ist. Es war eine Katastrophe. Auch wenn ich solche Gesetze und Verordnungen politisch-inhaltlich nachher gar nicht verkehrt finde, wenn ich sie verstanden habe – aber so geht es nicht. Das ist für mich eindeutig.

 

Die Bauordnung ist hier mehrfach benannt worden. Ich möchte daran die verschiedenen Probleme deutlich machen, und zwar sowohl die Frage der Fürsorge als auch die Frage, ob es eine Vereinfachung ist. Es ist bestimmt ein blödes Beispiel, aber wir hatten im Bauausschuss in der Vergangenheit die erste Genehmigungsfreistellung bei einen Einfamilienhaus. Die Frau ist ihr Haus los, das Haus ist vollkommen versifft. Sie hat vom Architekten kein Geld bekommen, weil er – ebenso wie beim Bundesbau – nicht versichert war. Sie sitzt jetzt immer noch mit ihrem Haus da, ist total krank, und bekommt vom Bauamt gesagt: Wir hätten so einen Bau auch nie genehmigt. – Das ist jetzt kein Grund zu sagen, dass prinzipiell alle Einfamilienhäuser eine Baugenehmigung brauchen, aber es zeigt natürlich, welche Problematik dahintersteckt, die ich mit regeln muss. Es kann nicht sein, dass ich sage: Ich stelle jetzt alles frei, und, liebe Leute, wenn der Architekt nicht versichert ist oder keine Ahnung von Brandschutz hat oder weiß ich was, habt ihr eben Pech gehabt! – Das heißt also: Die Frage der Begleitung solcher Sachen finde ich ganz entscheidend, weil es immer Konsequenzen hat.

 

Der zweite Punkt bei der jetzigen Bauordnungsveränderung ist: Ich habe nicht die Genehmigungspflichten als solche abgeschafft, sondern ich habe nur – wie man so schön sagt – die Schlusspunkttheorie abgeschafft. Ich habe den grünen Stempel abgeschafft, aber ich habe nicht abgeschafft, dass der Bürger wieder von einer Stelle zur anderen laufen muss – was er vorher nicht musste –, um sich sämtliche Genehmigungen zu holen. Das heißt: Das, was wir beim Bürgeramt und beim Ordnungsamt gemacht haben, machen wir interessanterweise bei der Bauordnung genau umgekehrt. Wir sagen: Du kriegst jetzt den grünen Stempel nicht mehr, aber wo du deine ganzen Genehmigungen herkriegst, ist dein Problem. – Man muss diskutieren, ob man das will. Herr Wambach hat es schon gesagt, es gibt zwei Möglichkeiten. Man kann es den Leuten auch freistellen und sagen: Entweder du gehst ’rum, aber wenn ich dir den grünen Stempel geben soll, dann kostet der. – Gut! Dann weiß ich aber, ich habe alle Genehmigungen eingeholt, die ich brauche, und damit ist meine Sache gegessen. Auch hier stellt sich also wieder die Frage des Bürgerservice, der bei uns im Verwaltungsreformausschuss eines der wesentlichsten Ziele ist und für mich nach wie vor bleibt.

 

Worauf weder Frau Flesch noch Herr Wambach eingegangen sind, was mir aber die ganze Zeit schon Kopfzerbrechen machte, ist das, was Herr Kipp sagte, nämlich inwieweit sich durch die Rechtsprechung nicht nur Verwaltungshandeln, sondern auch der Gesetzgeber immer mehr verpflichtet fühlt, irgendwas zu regeln, damit nicht letztlich die Richter regeln. Man muss auch einmal sagen, dass in der Vergangenheit die Richter sehr viel geregelt haben, was man vielleicht politisch ursprünglich so gar nicht gewollt hat, was aber auf Unsauberkeiten im Gesetz und dergleichen hinausläuft. Die Frage ist: Wie geht man damit um, wenn man einerseits den Leuten mehr Ermessensspielräume geben will, andererseits aber immer damit rechnen muss, dass dann sofort der Zweite, Dritte klagen geht mit dem Argument: Der hat gekriegt, also will ich auch! – Auch das ist eine Abwägung, die mir aber in der Anhörung noch nicht ganz klar geworden ist, wo ich – wenn die Möglichkeit besteht – gern eine Antwort hätte, wie man eigentlich damit umgeht und wie man das regeln kann.

 

Zu der Frage der Abschaffung und Deregulierung wie im Saarland hat es etwas sehr Sympathisches zu sagen: Wir machen jetzt nicht alle, sondern alle Gesetze, Verordnungen usw., die bis zu einem bestimmten Zeitpunkt erlassen wurden. – Kannten Sie eigentlich alle Gesetze und Verordnungen? – Mir ist nicht so ganz klar, ob hier bekannt ist, was wir alles für Gesetze und Verordnungen haben. Das ist der Casus knacktus, solange man nicht weiß, was da vielleicht alles geregelt ist. Es könnte ja sein, dass da etwas Wichtiges geregelt ist, was ich eben so weghaue. Insofern ist meine Frage, wie Sie sich darüber Kenntnis verschafft haben.

 

Eine andere Frage ist, welche Zusammenarbeit es mit der Kontrollkommission geben könnte – das hat Herr Wambach schon gesagt. Ich finde auch, es ist das Mindeste, dass wir diese Stellungnahmen – wir wir sie auch immer vom Rat der Bürgermeister und dergleichen verlangen –, von dieser Prüfungskommission erhalten. Wir können ja anderer Meinung sein, aber ich finde es richtig – wenn es schon solche Prüfungen gibt –, dass wir das dann auch erhalten.

 

Ich finde auch, dass alle Fraktionen sich darüber Gedanken machen sollten, ob sie selbst eine solche Prüfungskommission für ihre eigenen Gesetze – da schließe ich mich nicht aus – gebrauchen könnten bei der Frage: Was muss man alles im Einzelnen regeln?

 

Grundsätzlich glaube ich auch, dass man nicht zu viel auf die Verwaltung schieben kann, sondern dass wir als Gesetzgeber uns damit auseinander setzen müssen, wie wir es schaffen. Wir können nicht lauter Gesetze machen und dann der Verwaltung sagen: Jetzt such’ doch mal raus, welche Gesetze wir nicht mehr brauchen! – Das ist bei Verordnungen etwas anderes. Bei den Gesetzen ist es aber recht eindeutig, denn da ist es nun mal unser Ding. Das einfach an jemand anderen abzugeben und zu sagen: Wir machen immer die Gesetze, und ihr schafft sie hinterher wieder ab. – finde ich ein bisschen schwierig. Wir sollten das selbst in der Hand behalten.

 

Dann zur Frage der „Korinthenkackerei“ wie in diesem Beispiel mit diesen 7,15 €. Ich habe auch schon mal die Androhung eines Gerichtsvollziehers bekommen, weil ich 8 Pfennig Steuern nicht bezahlt habe. Die Frage der Verhältnismäßigkeit ist immer eine ganz entscheidende. Frau Flesch hat gesagt, der Rechnungshof hätte sich sofort aufgeregt. Ich kenne auch ein Projekt, das einen Tag gesucht hat, weil es sich um 1 DM – damals – verrechnet hatte. Sie haben einen ganzen Tag bei der Verwaltung gesessen, um diese 1 DM zu finden. Es gibt für mich Grenzen, wo dann doch auch mal der gesunde Menschenverstand greifen muss, wenn es um bestimmte Beträge geht. Aber auch da gibt es dann wieder das Ermessen: Wo fängt es an? – Richtig ist – alle wissen, dass ich da sehr heftig reagiere –, dass gerade bei so etwas wie der Anschlussförderung, also da, wo es um Milliarden, um Bauprojekte geht, Herr Klemann damals immer sagte: Darf es ein
Schnäpschen mehr sein? – Das waren dann immer 5 Millionen. Wenn man das im Verhältnis zu solchen Sachen sieht, dann haben wir noch viel zu tun.

 

Vors. Dr. Zotl: Danke schön! – Jetzt trifft es den Kollegen Krestel und mich, die als Letzte auf der Liste stehen: Wir müssen auf die Zeit achten. Wir wollen im Rahmen unserer Zeit zumindest noch eine Antwortrunde haben. – Bitte, Kollege Krestel!

 

Abg. Krestel (FDP): Jetzt hat es mich wieder getroffen. Die Kollegin Flesch verlässt uns gerade, und ich wollte mich doch eingangs noch für die umfangreiche Würdigung meiner Person und der von mir vertretenen Positionen bedanken. Nun hört sie das leider nicht mehr. – [Zuruf] – Sie werden das schon weitergeben!

 

Was die Deregulierung als Selbstzweck angeht: Das haben wir eigentlich nie vertreten. Wir haben immer gesagt: Entscheidend ist, welcher Mehrwert für den Bürger dabei herauskommt. Wenn wir den Bauordnungsentwurf des Senats betrachten: Dort ist ja geregelt, dass man die abschließende Genehmigung nicht mehr benötigt, und der Bürger muss letztlich mehr herumlaufen, um sich die einzelnen Vorschriften abhaken zu lassen. Insgesamt gesehen fühle ich mich in meinen Vorstellungen durch sämtliche Sachverständige mehr oder weniger bestätigt. Wir haben hier direkt oder indirekt viel Lob herausgehört.

 

Wichtig ist es, in der gebotenen Kürze vielleicht einmal drei grundsätzliche Ursachen für die Überregulierung und die damit verbundene Aufblähung der Verwaltung zu benennen: Das ist erst einmal ein völlig überzogenes Gleichheitsbestreben und zweitens ein überzogenes Gerechtigkeitsstreben. Wir haben nichts gegen Gerechtigkeit, wir meinen aber, Gesetze können immer nur eine Art abstrakte Gerechtigkeit garantieren, während wir in vielen Verwaltungsgesetzen und -vorschriften die Sucht nach der Einzelfallregelung schon im Gesetzestext finden können. Drittens ist es die permanente Bedienung von Sonderinteressengruppen, zu denen wir übrigens auch die Verwaltung selbst zählen.

 

Wir benötigen letztlich eine Veränderung der Verwaltungskultur. Man muss nämlich auch verhindern, dass Beamte alte, vielleicht abgeschaffte Vorschriften gewissermaßen aus Angst vor der verwaltungsgerichtlichen Prüfung geistig weiter anwenden. Die Verwaltung braucht wieder mehr Rückgrat, um den persönlichen Verstand da walten zu lassen, wo hoffentlich in der Zukunft nicht mehr alles bis auf das letzte i-Tüpfelchen geregelt ist.

 

Ich möchte zuletzt auch noch auf diesen kuriosen Bescheid zu sprechen kommen. Ich bitte um Aufklärung. Ich habe in den 70er Jahren als junger Regierungsinspektor solche Fälle nach einem Passus der Berliner LHO einfach nicht weiterverfolgt. Das konnte man niederschlagen. Ist das heute nicht mehr so? – Ich bin darüber einigermaßen erstaunt. – [Abg. Dr. Rogall (SPD): Deshalb sind die so verschuldet!] – Natürlich! – Dabei möchte ich es bewenden lassen.

 

Vors. Dr. Zotl: Ich möchte für die Fraktion der PDS noch einige Bemerkungen machen. Erstens: Um diesen Eingangsgedanken zu unterstützen, der für die Koalition vorgetragen worden ist, dass es um das Spannungsfeld zwischen Entbürokratisierung und, dort eingeordnet, Deregulierung geht, möchte ich zwei Zahlen nennen als jemand, der sich seit drei Jahren auf vielen Beratungen und Konferenzen auf Bundesebene, auf kleinster Ebene usw. herumtreibt, um dieses Problem inhaltlich und strategisch immer weiter zu erfassen: Etwa 60 % – wird geschätzt – der Landesgesetzgebung oder -regelungen sind Folgeregelungen, EU-, Bundesregelungen usw. Der Handlungsspielraum ist dort außerordentlich eingegrenzt. Auch wir machen die gleiche Erfahrung, die Herr Staatssekretär Müllenbach geschildert hat: Wir sitzen unablässig mit Bezirken, Bürgerinitiativen, mit der Wirtschaft zusammen und sagen: Sagt uns, was wegfallen muss! – Wenn dann etwas gesagt wird – klar, bei Bürgerinitiativen ist es die Versicherungsfrage oder so etwas –, dann sind es in der Regel Verfahrensprozesse, bürokratische Umsetzungen und Ausführungen. Ich glaube, das allein rechtfertigt diesen Ansatz, darüber nachzudenken, wie nachhaltig und wirkungsvoll Deregulierung in eine Entbürokratisierungsstrategie eingebaut werden kann.

 

Das Zweite: Ich teile die Auffassung von Frau Oesterheld, dass das zumindest in dieser Phase durchaus nichts Entpolitisiertes ist. Ich habe gelernt und fühle mich von all Ihren Ausführungen bestätigt: Es geht nicht in erster Linie darum zu bestimmen, was wir nicht wollen. Davor muss – Sie haben es deutlich gesagt, Herr Bäumer – die Frage stehen, was wir wollen, was wir gestaltungspolitisch wollen. Ein Aspekt hat hier noch keine Rolle gespielt, weil das alles sehr wirtschaftsfokussiert war – ohne das Problem zu negieren oder klein zu reden –: Ich glaube, das Spannungsfeld zwischen Politik, Staat und Gesellschaft muss zu Gunsten der Zivilgesellschaft verstärkt werden. Ein solches Kriterium, was wir wollen, was wir an jede Form von Regelung oder Regelungsabbau anlegen müssen, muss sein: Stärkt das die zivilgesellschaftliche Eigenverantwortung, Selbstkontrolle, Initiative? – Dieser Aspekt ist ein sehr schwieriger Aspekt. Mich interessiert sehr, ob es da konkrete Erfahrungen gibt.

 

Dann gibt es natürlich gestaltungspolitische Schwerpunkte. Ich persönlich würde mich sehr schwer tun, jetzt einfach Regelungen aufzuheben, die doch dazu da sind, beispielsweise soziale Chancengleichheit zu sichern – wie Sie schon richtig sagten, Herr Kipp –, wo es klare Vorgaben der Verfassung und des Verfassungsgerichts gibt, oder was basisdemokratische Mitwirkung, den Ausbau von Gleichstellung oder ökologische Nachhaltigkeit betrifft. Es muss Bereiche geben, an die man besonders vorsichtig herangeht, wenn man sie von Vorschriften entforsten will. Die politische Absicht, die dahinter steht – Gleichstellung, ökologische Nachhaltigkeit – muss befördert und darf nicht weiter behindert werden. Deshalb ist mein zweites Problem, in der Anfangsphase deutlicher zu artikulieren, was wir wollen, und dann möglicherweise zu fragen, was wir nicht wollen. Das ist ja unausweichlich.

 

Das Dritte, was ich fragen möchte: Gibt es Erfahrungen zur Verstetigung von Entbürokratisierung? – Ich habe an mehreren Konferenzen teilgenommen. Da wurde gesagt: Wir haben das und das aufgehoben, und nach einem Jahr waren mehr Regelungen da als jemals zuvor. – Diese Verstetigungsproblematik ist sicherlich durch eine zeitliche Befristung zu mildern. Wir haben im Land Berlin im Allgemeinen Zuständigkeitsgesetz § 6 Abs. 5 diese Befristung auf 5 Jahre generell, und auf 10 Jahre, wenn die Verordnungen vom Senat erlassen worden sind. Ich finde Ihren Vorschlag gut, der vorgestern im Senat beschlossen worden ist, das bei den Gesetzen ähnlich zu machen, die auf einen spezifischen Gegenstand gehen, aus dem selbst heraus eine gewisse zeitliche Befristung erfolgt. Ich halte den Vorschlag von Ihnen, die Kosten-Nutzen-Analyse bei bestimmten substantiellen Fragen möglicherweise sogar extern erstellen zu lassen auch für bedenkenswert. Es gibt eine Diskussion um das so genannte Verursacherprinzip. Wer sich ständig um diese Dinge drückt und eine Verordnung nach der anderen erlässt, muss das aus dem Konto seines eigenen Hauses bezahlen. Es gibt sicherlich eine Reihe von Dingen. Mir geht es um die Frage: Gibt es Erfahrung einer wirksamen Verstetigung?

 

Das Letzte ist die Frage der Akzeptanz. Auf der letzten Konferenz „Moderner Staat“ im November in Berlin, dieser Bundeskonferenz, hat die Staatssekretärin Vogt gesagt: Ja, wir wollen das! – Es gibt auch eine Bundesinitiative zum Vorschriftenabbau und dergleichen mehr. Aber dazu gehört dann auch das Bewusstsein oder das Einverständnis, eigenverantwortlich tätig zu sein. Einer der wichtigsten Legitimationsgründe für bürokratisches Handeln: Die da oben haben das ja so beschlossen. Ich bin ja bloß Vollzug! – fällt dann weg. Gibt es da Erfahrungen, dass auch diese Eigenverantwortung – nicht nur eigene Entscheidung, sondern auch Verantwortung – an Akzeptanz gewonnen hat? – Denn die Regel ist doch so: Gibt es eine Entscheidung, die nicht so richtig gut ist, dann kann doch kein Abteilungsleiter sagen, er habe das sowieso dem Referenten oder dem Sachbearbeiter übergeben. – Er würde ja öffentlich von uns zerrissen, weil er seine Verantwortung nicht wahrnimmt. Also gibt es eine Reihe von Verfahren, die die Verantwortung von der Ebene, wo gearbeitet und die Entscheidung vorbereitet wird, wegnehmen. – Das ist ein weiteres Problem, das ich hier nennen möchte.

 

Ich habe noch eine Frage zur Normenprüfungskommission, Herr Grysczyk. Wir haben vorhin schon darüber gesprochen. Jetzt geht es alles nach vorn, jetzt geht es um Gesetze und Rechtsvorschriften, die erst entstehen sollen. Ich habe Ihre Funktion so verstanden: Es gibt einen Entwurf, der wird bei Ihnen diskutiert, dann geht er in den Senat zurück, und bei dem Produkt, das wir bekommen, sind diese Dinge schon berücksichtigt. Es ist also ein Teil im Arbeitsprozess in der Exekutive. Gibt es die Idee – gelesen habe ich es und von Verschiedenen auch die Absicht gehört –, das auch nach hinten zu machen, also bereits laufende Dinge in dieser Weise mit Empfehlungen zu versehen? – Das war’s.

 

Jetzt haben Sie wieder das Wort. An Sie sind Fragen gerichtet worden. – Herr Müllenbach, bitte!

 

Herr Müllenbach (Staatssekretär des Ministeriums für Inneres, Familie, Frauen und Sport des Saarlandes): Herzlichen Dank, Herr Vorsitzender! – Ich will kurz auf die Fragen eingehen. Natürlich ist Deregulierung insgesamt in bestimmten Bereichen ein hochpolitisches Thema. Mein Petitum ging dahin, Deregulierung als Aufgabe auf dem Weg dorthin zu begreifen, wo wir hin wollen. Das ist die Zielbestimmung. Die Zielbestimmung bei der Deregulierung und beim Bürokratieabbau ist, die öffentliche Verwaltung zu einem Dienstleistungsunternehmen umzubauen, das kundenorientiert handelt und den Bürger nicht zum Objekt des Verwaltungshandelns macht. Das haben wir heute in vielen Bereichen immer noch, wo man sich fragt: Für wen ist die Verwaltung da? Ist der Bürger für die Verwaltung da?

 

Ich habe schon gesagt: Die Verwaltung kann sich in vielen Bereichen wunderbar mit sich selbst beschäftigen. Der Einzige, der dort stört, ist der Bürger, der mit einer Bitte kommt. Das ist sehr häufig der Störfaktor in Verwaltungen. Dort müssen wir massiv heran, und da muss es einen politischen Konsens geben. Da darf es keine Nischen und Erbhöfe geben. Dort müssen wir die Verwaltung so umbauen und zum Rückbau der Staatsquote auf ihre Kernaufgaben reduzieren, Stichwort: auch Privatisierung. Vieles, was der Staat heute mit einem immensen Aufwand leistet, können und sollten wir uns nicht mehr leisten, weil wir in der Art und Weise unsere Bürgerinnen und Bürger entmündigen. Wir betreuen teilweise die Bürger zu Tode. Ich möchte dahin, diese Zielbestimmung wirklich ernst zu nehmen: Dienstleistungsunternehmen, zurück zu den Wurzeln, zu den Kernaufgaben eines Staates, Überreglementierung abbauen, Freiheitsrechte gewährleisten und Eigeninitiative und Kreativität in vielen Bereichen wieder ermöglichen. Natürlich besteht der Grundanspruch auf Fürsorge der Menschen gegenüber dem Staat. Aber wir sind in vielen Bereichen weit über das Ziel hinausgeschossen und müssen das wieder auf ein vernünftiges Maß zurückführen.

 

Sie haben ebenfalls gefragt: Wie haben wir überhaupt Kenntnis von den bestehenden Vorschriften bekommen? – Genau das ist ein Riesenproblem in vielen Ländern. Wir sind jetzt auf dem Stand zu wissen: Was ist im Moment der Stand der Dinge? Welche Gesetze, Verordnungen und Vorschriften haben wir bei uns im Land? – Sie sind auch in einer Gesetzessammlung nachzulesen, die hochaktuell ist. Darauf sind wir auch stolz. In vielen anderen Ländern ist dieses nicht der Fall. Bayern – das weiß ich – hat Juris beauftragt, mit einem Millionenaufwand einmal festzustellen: Wie viele und welche Verwaltungsvorschriften, Gesetze und Verordnungen gibt es überhaupt in Bayern? – Kein Mensch weiß mehr – das ist doch das Indiz dafür, dass wir dringend handeln müssen –, welche Vorschriften, Gesetze und Verordnungen es gibt. Das ist ein hohes Maß an Unbehagen und Unfreiheit auch für Bürger. Die wissen doch überhaupt nicht mehr: Was ist jetzt erlaubt, was ist verboten? Kann ich mich noch frei bewegen? – Und wenn sie dann an einen Vollstrecker im Staatsdienst geraten, der eine Uraltverordnung herauskramt und sagt: Hier hast du dich falsch verhalten. –, dann muss das Gericht das auch noch bestätigen, weil es geltendes Recht ist. Insofern ist das auch eine Sache, die mehr Bürgerrechte gewährleistet.

 

Wir haben – ebenfalls mit sehr hohem Aufwand – versucht, durch Abfrage in der Landesverwaltung bis in die kleinsten Verästelungen und Umfrage bei Mitarbeitern die bestehende Vorschriftenlage zu erheben. Glauben Sie mir: Wenn altgediente Verwaltungsmitarbeiter in Spezialbereichen über 30 Beamten- oder Angestelltenjahre lang im öffentlichen Dienst eine Vorschrift nicht angewandt haben, dann spricht vieles dafür, dass sie nicht erforderlich ist. Dann will ich die auch nicht benennen, dann mache ich einfach den Rundumschlag und sage: Alles, was bis 1980 dort erlassen wurde, ist außer Kraft, es sei denn, ihr – Verwaltung – sagt mir, die muss bleiben. Und wenn ihr selbst diese Vorschrift nicht kennt, ist das ein noch stärkeres Indiz, dass sie verzichtbar ist. – So haben wir es einfach gemacht, um einmal einen Status quo zu haben und zu wissen, welche Vorschriften überhaupt in Kraft sind.

 

Natürlich – das war die dritte Ihrer Fragen – ist der Gesetzgeber gefordert. Wir haben auch viele dieser Dinge dann in einem so genannten Deregulierungsgesetz aufgehoben. Ich habe davon gesprochen, dass wir im Saarland seit 1970 bereits sieben Rechtsbereinigungsgesetze durchgeführt haben, d. h. es gab im Justizministerium zwei Leute, die nichts anderes gemacht haben, als alte Vorschriften und Gesetze zusammenzutragen und sukzessive dem Parlament die Aufhebungsgesetze vorzulegen.

 

Wir haben, was die Frage der Verstetigung angeht – das war Ihre Frage, Herr Vorsitzender –, dort eines eingezogen: Das ist die Kommission. Sie besteht weiter fort. Jede neue Verwaltungsvorschrift muss durch diesen Vorschriften-TÜV. Sie prüft: Ist sie erforderlich oder nicht? – Durch die ressortübergreifende und auch offene Kommission gewährleisten wir dort zumindest, dass das nicht noch einmal überbordet und zurück auf die alten astronomischen Höhen gefahren wird.

 


Wir haben dort auch Befristungen vorgesehen. Seit Juni 2003 ist jede Verwaltungsvorschrift mit einem Verfallsdatum von fünf Jahren versehen. Das bedeutet, dass dann immer wieder geprüft wird: Brauchen wir die Verwaltungsvorschrift unter den geänderten Rahmenbedingungen noch in dieser Form? Müssen wir sie anpassen oder ändern? Wir gewährleisten – ebenfalls durch einen Ministerratsbeschluss –, dass alle bestehenden Gesetze – wie ich schon sagte, wir haben ca. 344 Landesgesetze und 850 Verordnungen – immer auf ihre grundsätzliche Berechtigung hin überprüft werden, sobald das Gesetz angepackt wird, und zwar durch Änderung von Bundesrechten, Anpassungen und Ähnliches, so dass der gesamte Bestand irgendwann in den nächsten Jahren noch einmal generalüberholt wird. Aus Kostengründen und auch aus Gründen des Aufwands, der betrieben werden muss, haben wir davon abgesehen, noch einmal systematisch Gesetz für Gesetz durchzugehen und jede Einzelvorschrift zu überprüfen. Das wird dann getan, wenn das Gesetz auf Grund der EU-Rechtsprechung oder -Rechtsetzung bzw. der bundesgesetzlichen Regelung ohnehin angepackt werden muss.

 

Wichtig erscheint mir bei diesem gesamten Prozess auch die Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger. Beim Standardflexibilisierungsgesetz habe ich Ihnen schon erläutert, dass wir auch den Kommunen die Möglichkeit geben, sich von vom Land gesetzten Standards zu verabschieden. Es kann nur so sein, dass dann in den örtlichen Räten darüber befunden wird, ob der Standard, wonach ab einer Entfernung von zwei Kilometern zwischen Wohnsitz und Grundschule die Beförderung von der Kommune zu erfolgen hat, beibehalten wird oder ob er möglicherweise auf Grund der heutigen Verhältnisse auf mindestens vier Kilometer erhöht werden sollte.

 

Zum Abschluss noch etwas zu Ihrer Erheiterung: Während wir intensiv über dieses Standardflexibilisierungsgesetz diskutiert haben, hat mein Sozialministerium einen neuen Standard gesetzt und bestimmt, dass in den Kindergärten, die über mehr als vier Gruppen verfügen – die Gruppenfrequenz, die natürlich auch heruntergesetzt worden ist, ist sehr komfortabel, was sinnvoll sein mag, aber es muss auch bezahlbar sein –, die Leiterinnen von der Gruppenleitung freizustellen sind. Das Ganze wurde völlig ohne Not gemacht, denn 40 Jahre lang funktionierte es so, dass eine Kindergartenleiterin auch bei fünf Gruppen eine Gruppe selbst leitete. Dann wurde der Standard heruntergesetzt, so dass ab vier Gruppen die Leiterin völlig freizustellen war. Das hatte finanzielle Auswirkungen und war dann auch der Grund für einen Streit, der bis ins Kabinett hinein ging, so dass ich diesen Standard aufgehoben habe. Von da her ist das auch vor Ort diskutiert worden. Die Eltern waren mit einbezogen und haben es mitgetragen. Oder die Mindestgröße der Gruppenräume, die teilweise um einen Viertelquadratmeter unterschritten wird, das alles sind Standards, die Geld kosten und nicht mehr bezahlbar sind. Sie lassen sich überall angreifen – auch unter Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger. Wir haben der Bevölkerung auch die Möglichkeit eröffnet, sich über das Internet bzw. schriftlich an die entsprechenden Stellen mit Kritik an der Bürokratie zu wenden, um auch den Frust über die aktuellen Erlebnisse, wie im Falle dieser Geschichte, die verteilt worden ist, loszuwerden. Wir werden das dann aufgreifen und jedem eine Rückmeldung zukommen lassen, was aus seinem Vorschlag geworden ist. In der allgemeinen Verwaltung haben wir das Instrument des behördlichen Vorschlagwesens noch einmal neu belebt und ein Ideennetz daraus gemacht, das mit Prämien versehen worden ist. Das alles sind Anreizsysteme für Verbesserungsvorschläge, die schon einmal genannt wurden – auch was die Verwaltungsprozessoptimierung und den Vorschriftenabbau –,die zu einem relativ guten Erfolg führen könnten. – Vielen Dank!

 

Vors. Dr. Zotl: Danke schön! – Bitte, Herr Bäumer!

 

Herr Bäumer (BRIDGES Consulting Public Affairs und Management GmbH): Ich möchte kurz noch auf einige Fragen und die Zielsetzung eingehen. – Wir müssen uns fragen: Was sollen die Deregulierung und der Bürokratieabbau eigentlich bewirken? – Dabei komme ich zu ähnlichen Ergebnissen wie mein Vorredner: Als Erstes steht die Dienstleistungs- und Bürgerorientierung der Verwaltung an, daneben aber auch die Effizienz- und Effektivitätssteigerung. Das ist notwendig, und deshalb ist es auch wichtig, es zu vermerken – dabei komme ich noch einmal auf Herrn Kipp zurück: Die Verwaltung steuert sich bis heute nur über die Frage der Rechtmäßigkeit der Entscheidung, und das ist zu wenig. Wir müssen nicht sagen, dass die Rechtmäßigkeit nicht mehr von Bedeutung ist, denn das ist in einem Rechtsstaat selbstverständlich und wichtig, aber daneben gibt es auch noch andere Kriterien, die Sie auch steuern müssen. Deshalb bin ich der Ansicht, dass es, wenn es auf der Länderebene darum geht, diese Ziele zu erreichen, wesentlicher darauf ankommt, die Abläufe an obengenannten Zielen orientiert zu steuern als hauptsächlich auf die Deregulierung zu setzen, weil die Regulierungsmöglichkeiten auf der Länderebene ohnehin nicht so groß sind. Das soll nicht heißen, dass man es nicht tun soll, aber man soll sich das Wichtige angucken. Ich sage auch in der Enquetekommission immer wieder: Leute, in den vorhandenen Abläufen muss etwas mehr getan werden, bei mehr Transparenz und Steuerung in der Verwaltung. Das heißt – damit komme ich auch gleich zu einer Ihrer wichtigen Fragen: Verantwortung muss oben wahrgenommen werden. Damit kommen wir auch ins Dienstrecht: Kommen die richtigen Führungspersönlichkeiten in die entsprechenden Positionen? – Da setze ich zumindest einige Fragezeichen. – Dann muss delegiert werden. Wenn jedoch – so wie Sie es zu Recht gefordert haben, Herr Vorsitzender – Eigenverantwortung als eine kulturelle Veränderung gestärkt werden soll, dann sage ich: Das geht mit dem bestehenden Dienstrecht nicht! Da gibt es zwar andere Meinungen, aber ich bin der Ansicht, dass das nicht geht. Dann müssen wir hart an das Beamtenrecht und ebenso hart an die bestehenden Tarifverträge herangehen, um das tatsächlich durchzuführen, ansonsten ist der Blick nach oben zwangsläufig. Also, oben wird delegiert, und du arbeitest unten, aber der guckt nach oben und sagt: Du hast mir den Auftrag gegeben. – Das ist ein weiteres Thema. Jedenfalls glaube ich nicht, dass man da nichts tun kann, aber entscheidende Veränderungen in diesem System sind schwer möglich.

 

Der nächste Punkt, den Sie angesprochen hatten, betrifft das zivilgesellschaftliche Engagement – auch dazu wird in der Enquetekommission gearbeitet. Dazu möchte ich nur so viel sagen: Das ist richtig und notwendig. Es gibt zwei Stolpersteine: Wenn die Bürgerinnen und Bürger das als eine Verlagerung eigentlich staatlicher Ausgaben aus Geldmangel betrachten, dann werden sie es nicht tun. Und sie werden es – zweitens – nicht tun, wenn Verwaltung und Politik nicht bereit sind, Kompetenzen abzugeben. Das ist ein Thema, das auch ich persönlich als schwierig bezeichne, aber daran wird es hängen. Wenn Sie alle dazu bereit sind, bestimmte Wege zu gehen, dann wird sich auch einiges entwickeln lassen.

 

Mein vorletzter Punkt betrifft die überall geltende Unsitte, die auch Herr Kipp auf Grund der rechtlichen Ausgangslage – es gibt auch eine politische – angesprochen hat, nämlich den Wunsch der Einzelfallgerechtigkeit. Ich nenne Ihnen ein kurzes Beispiel: Die alte Bundesanstalt für Arbeit hat für 12 Paragraphen, die sich mit dem Arbeitslosengeld beschäftigen, 12 Megabyte Verwaltungsvorschriften erlassen. Herr Kipp sagte, von Stralsund bis Garmisch-Partenkirchen konnten die das eigentlich nur in den Orkus tun und sagen: Gucken wir doch mal, ob wir klarkommen. Hinzufügen möchte ich noch: Politik und Verwaltung müssen bereit sein, zu sagen, in Stralsund und Garmisch müssen die Menschen nicht absolut gleichbehandelt werden. Es gibt unterschiedliche Lebenszusammenhänge und -voraussetzungen, und es gibt Gerichte, die das eventuell zu überprüfen haben. – Das ist auch eine Antwort auf Ihre Frage, Frau Oesterheld. – Eine Lösung gibt es für dieses Spannungsproblem nicht in dem Sinne, dass man sagen kann: Kann ich das aufheben? – Wir haben – aus guten Gründen – den § 19 Abs. 4 GG und die Möglichkeit, dass sich in unserem Land jeder gegen Verwaltungsentscheidungen wehren kann. Was wir, glaube ich, mehr brauchen, das ist auch einmal eine Hinnahme von unterschiedlichen Gerichtsentscheidungen, die nicht immer wieder zu Verwaltungsvorschriften führen müssen. Das ist nicht einfach und stellt ein schwieriges Problem dar, aber für mich ist es die Antwort. Wir müssen damit leben, dass es auch gewisse Differenzen gibt.

 

Ein letzter Punkt dazu betrifft ein Beispiel, das wir alle kennen, nämlich die Einzelfallgerechtigkeit. Können Sie sich noch daran erinnern, dass die „Bild“-Zeitung das Thema „Sozialrentner in Florida“ aufmachte? Dass daraufhin Gesetze geändert werden, ist meiner Ansicht nach ein Zeichen dafür, dass diejenigen, die dort sitzen, an die Funktionsfähigkeit ihres eigenen Systems nicht mehr glauben. Dort war es kein Gericht, sondern der öffentliche Druck, und wir alle haben uns an den Kopf gefasst, aber wenn man genau hinguckte sah man, dass das so alles gar nicht stimmt. Da müssen wir alle ran, und wenn das verstetigt wird, dann kommen wir vielleicht weiter.

 

Vors. Dr. Zotl: Danke, Herr Bäumer! – Bitte, Herr Grysczyk!

 

Herr Grysczyk (Präsident des Rechnungshofs a. D.): Herr Vorsitzender! Ich beantworte kurz vier Fragen. Die erste Frage lautete: Wann kommt die Kommission, oder kommt die Kommission überhaupt dazu, Gesetze, die bereits zahlreich vorhanden sind, zu überprüfen? – Ich denke, dass die Kommission in ihrer jetzigen Konstruktion ressortübergreifend ehrenamtlich und unabhängig diese Aufgabe nicht bewältigen können wird, denn das ist die Aufgabe des gesamten Senats, der bereits einige Fortschritte erzielt hat. Zum Beispiel lassen sich die Aufhebungsgesetze getrost der Kommission vorlegen, die sich dann gern dazu äußern wird, aber diese mühevolle Arbeit der vielen Referenten in der Verwaltung, alle vorhandenen Gesetze durchzusehen, ist von einer solchen ressortübergreifenden, unabhängigen, ehrenamtlichen Kommission nicht leistbar. Ich nehme jedoch an, dass der Senat diese Aufgabe erkannt hat und dass er zum Teil auch schon versucht hat, sie anzugehen. – Herr Staatssekretär Schmitz wird Ihnen das bei nächster Gelegenheit, wenn er wieder da ist, bestätigen.

 

Ihre zweite Frage betraf die finanziellen Auswirkungen. – Zumindest während des zweiten Teils meines Berufslebens im Rechnungshof und bei SenFin habe ich mich immer wieder gegen die Formulierung „Finanzielle Auswirkungen: keine“ gewandt. Häufig steht dort sogar ehrlicherweise, aber es offenbart die Unsinnigkeit: „Finanzielle Auswirkungen aus diesem Gesetz direkt: keine“. – Natürlich nicht, allenfalls die Druckkosten oder sonst irgendetwas. Das ist jedoch ebenfalls eine Überforderung der Kommission, aber dafür haben wir einen hervorragend qualifizierten Finanzsenator, mit einem hervorragend qualifizierten Apparat, der sicherlich dafür sorgen wird – auch im eigenen Interesse. Ich sehe – Frau Staatssekretärin Thöne und ich haben uns nicht darüber nicht abgestimmt – keine Möglichkeit einer Meinungsverschiedenheit darin, dass der Finanzsenator darauf achten wird, welche finanziellen Auswirkungen tatsächlich entstehen. Diese Frage ist auch für die Entscheidung des Parlaments über ein Gesetz so ungeheuer wichtig, weil sowohl das Parlament als auch der Finanzsenator – selbst in der Lage, in der sich Berlin befindet – alles dafür tun werden, um entweder keine Gesetze mit erheblichen finanziellen Auswirkungen zuzulassen – es sei denn unter gleichzeitiger Streichung eines anderen Gesetzes mit finanziellen Auswirkungen – oder Ihnen diese finanziellen Auswirkungen im extremen Ausnahmefall offen zu legen. – [Abg. Wambach (CDU): So weit die Theorie!] – Ich kann die Praxis in dieser Funktion nur in sehr engen Grenzen beeinflussen, aber Sie als Abgeordneter sind ja nicht nur Theoretiker, sondern auch Praktiker und haben letztlich als Volkssouverän nicht nur die Aufgabe, sondern auch die Verantwortung für das, was Sie als Gesetz entscheiden und beschließen. Dafür benötigen Sie die ausreichenden Informationen.

 

Drittens – was mich in der kurzen Zeit, in der ich mit der Kommission gearbeitet habe, besonders interessierte – das war auch das Stichwort, das Sie bezüglich Rheinland-Pfalz und Waldgesetz nannten: Es ist faszinierend, wenn man eine Regelung findet, die man mit einem wissenschaftlichen Apparat, mit entsprechenden Professoren und Assistenten, eingehend auf alle Folgewirkungen hin untersucht. Würden Sie das mit jedem Gesetz machen, dann hätten Sie schon zwangsläufig eine Deregulierung, weil Sie dann nur noch über relativ wenige Gesetze zu entscheiden hätten. Das heißt: Für besonders hochanspruchsvolle Dinge ist es interessant, aber – bitte nehmen Sie mir diese Formulierung nicht übel – für das übliche, normale, kleine Gesetz ist es kein praktisches Verfahren. Nun haben sowohl Sie als auch der Senat manchmal Dinge zu entscheiden und auch entschieden, wie zum Beispiel in Sachen Erhöhung der Kitabeiträge. Das ist – verständlicherweise – auch unter dem Aspekt des Erzielens der Einnahmen für den Haushalt gesehen worden. Uns als Kommission hat es jedoch gereizt, dort tiefer zu gehen, aber wir stießen dabei auf unsere Grenzen und die Frage: Welche Auswirkungen hat das? – Selbstverständlich hat es gesellschaftliche Auswirkungen, wie zum Beispiel auf die Emanzipation, die Desintegration und dass bestimmte Eltern dort vielleicht ihre Kinder herausnehmen. Es hat eine Reihe von Auswirkungen, die weit über den normalen fiskalischen Aspekt hinausgehen.

 

Was die letzte Frage betrifft, bin ich Ihnen, Herr Abgeordneter Wambach, dankbar, dass Sie mir die Gelegenheit geben, das noch einmal klarzustellen, damit es nicht den Anschein hat, als gäbe es zwischen dem Senat und mir als Vorsitzendem einer Senatskommission – ich bin nur Rechnungshofpräsident im Ruhestand, und als solcher war ich ganz und gar unabhängig, aber das ist eine unabhängige Senatskommission  – Meinungsverschiedenheiten: Es gibt keine Meinungsverschiedenheiten, aber diese Kommission arbeitet für den Senat. Sie versucht, die Ergebnisse der regierungsinternen Meinungsbildung zu verbessern, und insoweit habe ich gemeint, dass auch Sie als Parlament davon profitieren, wenn Sie verständlichere, lesbarere und bessere Verfahren enthaltende Gesetze vorgelegt bekommen. Was der Senat dann mit unserer Stellungnahme macht, ist eine Entscheidung des Senats. Da müssen Sie als Parlament selbst sehen, wie Sie sich dann mit dem Senat beschäftigen. Der Vorschlag, den der Staatssekretär aus dem Saarland gemacht hat, ist ein anderer. Er hat im Grunde auf Ihren eigenen Apparat, nämlich auf den Wissenschaftlichen Parlamentsdienst verwiesen und die Erwägung angestellt, ob es nicht vielleicht auch für Sie hilfreich wäre, hier etwas Ähnliches anzusiedeln, damit noch eine Art Kontrollmöglichkeit haben. Wenn Sie jedoch andere Wege finden, dann ist es gut. Jedenfalls versuchen wir mittelbar alles, um das Gesetz zu verbessern, und wenn Sie es dann beschließen, soll es durch bessere Regelungen und eine bessere Sprache auch eine höhere Autorität gegenüber dem Bürger haben. Es muss die Chance bestehen, dass die Gesetze, die Sie beschließen, vom Bürger als verständlich und inhaltlich vernünftig akzeptiert werden.

 

Vors. Dr. Zotl: Danke schön! – Bitte, Herr Dr. Dicke!

 

Dr. Dicke: Ich komme auf drei Fragen zu sprechen. Die erste Frage lautete: Was ist erlaubt, und was ist verboten? – Ich bin glücklich, dass sich viele Bürgerinnen und Bürger gar nicht darum scheren, sondern es einfach machen. Selbst mein Institut wurde geleitet, ohne immer alle Vorschriften ernst zu nehmen. Oftmals sind diese Vorschriften auch grundsätzlicher Natur, aber das ist kein Muss, sondern ein Sollen, und dann gibt es Ausnahmen. Ich habe immer gesagt: Im öffentlichen Recht geht alles, nur muss man an der richtigen Stelle mit der richtigen Person sprechen. Alles ist möglich und erlaubt. Es gibt Gesetze, die gar nicht weiter kontrolliert werden. Ich könnte mir am Strand der Kieler Förde ein Schild denken: „Urinieren im Wasser verboten!“ Dieses Schild würde niemand kontrollieren, denn es kann niemand kontrollieren. So sind viele Gesetze redundant, und wir können fröhlicher vor uns hin leben. – Das ist die optimistische Auslegung dessen, was ich gehört habe, um dem etwas entgegen zu setzen, was auch ich – genauso wie Sie – kritisiere.

 

Herr Vorsitzender, Sie haben zweimal die Frage gestellt: Was wollen wir? – Nun, diese Frage hat Wilhelm von Humboldt 1786 in einer kleinen Schrift mit dem Titel „Grenzen der Staatstätigkeit“ aufgegriffen. Er hat sie so modifiziert: Wollen wir das Glück der Menschen positiv mehren, oder wollen wir negativ Übel von ihnen fernhalten? – Das ist auch die Frage nach dem Menschenbild: Was traue ich dem Menschen an Selbsthilfe zu? – Ich habe Menschen erzogen, und auch die Umwelt spielt eine Rolle, aber heute ist die Fähigkeit zur Selbsthilfe viel geringer als 1950, in den 50er Jahren, so dass ich unsicher bin, was ich ihnen noch zutrauen kann. Es ist für mich jedoch gar keine Frage, dass eine Politik, die positiv das Glück des Menschen mehren will, immer mehr Aufwand fordert als letztendlich erreicht wird – wie es schon Wilhelm von Humboldt treffend beschrieb. – Ich bitte Sie, das als eine kurze Anmerkung zu verstehen. – Meine Schlussfolgerung: Wir müssen dem Menschen wieder mehr Fähigkeit zur Selbsthilfe zutrauen. – Er kann es, auch wenn er sich im Moment anders gibt.

 

Die dritte Frage lautete: Was wissen wir über die Folgen von Rechtsvorschriften? Was wissen wir über die Folgen von Deregulierung und Entbürokratisierung? – Das sind knappe Informationen. Ich habe vor 20 Jahren versucht, ein Bild zu bekommen über das, was wir mit dieser oder jener Methode an Informationen herauskitzeln konnten. Das ist ganz bescheiden, und ich würde davon abraten, hier ein neues Gesetz zu initiieren, ein Deregulierungsfolgen- oder ein Entbürokratisierungsfolgenabschätzungsgesetz. – Ich sah es bereits dort an der Wand. – Es tut mir Leid, aber lassen Sie das bitte! Ich gehe jetzt mit meinen Empfehlungen etwas zu weit, aber ich bin der Ansicht, dass man es probieren muss – so wie es das Saarland macht. Und dort, wo es furchtbar knirscht – ach, da ist ja etwas –, müssen wir aufpassen, also eine gewisse Schwelle akzeptieren, bei der man dann sagt: Jetzt bin ich zu weit gegangen. Das scheint mir der pragmatische Weg zu sein, denn das Informationsproblem, dass Sie alle Vorschriften abbauen, werden Sie in den nächsten 100 Jahren nicht lösen. – Danke!

 

Vors. Dr. Zotl: Recht schönen Dank! – Bitte, Herr Kipp!

 

Herr Kipp (Präsident des Oberverwaltungsgerichts Berlin): Ich mache es kurz und beginne kurz mit einem positiven Bekenntnis: Die Kompliziertheit unserer Lebensverhältnisse und verfassungsrechtlichen Grundlagen erfordert hoch komplizierte Regelwerke. Wenn Sie sich heute vorstellen, Sie müssten die 16. Durchführungsverordnung zum Bundesemissionsschutzgesetz, Thema Lärmschutz – ein hoch wichtiges Thema –, formulieren, dann können Sie machen, was Sie wollen: Dieses Regelwerk kann nur kompliziert ausfallen, und daran werden wir alle zusammen nichts ändern können. Das muss man akzeptieren – es sei denn, wir fallen zurück in vorkonstitutionelle Zeiten, was wir alle nicht wollen. Man kann nicht sagen, dass diese
Überregulierung ein Produkt des deutschen Nationalcharakters wäre. Das ist Unsinn! Schauen Sie sich – um das drastischste Beispiel zu nehmen – das Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten an, das hat drei Paragraphen. Damit ist ein ganzes System von einem Tag auf den anderen aus der Welt geschafft worden. Das muss zunächst einmal akzeptiert werden.

 

Was meiner Ansicht nach nicht akzeptiert werden muss, das ist, dass durch das Zusammenwirken verschiedener Kräfte – da spielt auch die Rechtsprechung insbesondere des Bundesverfassungsgerichts eine erhebliche Rolle – immer noch etwas draufgesetzt wird, wie zum Beispiel das Kopftuchurteil des Bundesverfassungsgerichts. Sie müssen sich noch einmal vergegenwärtigen: Es gibt in ganz Deutschland einen einzigen Kopftuchfall, der hochgespielt wird. Am Ende steht, dass sich 16 Bundesländer in ihren Parlamenten mit diesen Dingen herumschlagen. Es gibt – soweit ich weiß – einige Länder, die sagen: Wir machen das nicht; wir machen kein Gesetz. Das hat das Bundesverfassungsgericht auch nicht vorgeschrieben, sondern es hat nur gesagt: Wenn da etwas passieren soll, dann müssen die Länder Gesetze machen. Daran lässt sich deutlich erkennen, wie wir uns immer weiter – aus durchaus nachvollziehbaren Gründen – gegenseitig hochjubeln.

 

Punkt 3: Wegen dieser Rechtsprechung, insbesondere der Grundrechtsinterpretation des Bundesverfassungsgerichts, haben wir eine enorme Regelungsdichte. – Den Nachweis dafür bitte ich Sie aus dem europäischen Recht abzuleiten. – Das Europarecht erzeugt viele Richtlinien, die dann in nationale Rechtsvorschriften umgesetzt werden müssen. Es gibt eine Statistik darüber, wie das die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union machen. An sich würden wir erst einmal vermuten, dass Deutschland ein Musterknabe ist und weit vorne steht. Das Gegenteil ist der Fall! Der Musterknabe ist ein euroskeptisches Land wie Großbritannien. Wenn Sie sich einmal anschauen, wie das zu Stande kommt, dann sind das keinesfalls bessere Europäer als wir. Die machen das – ich sage das mit meinen einfachen Worten – kurz und zackig: Wenn die eine europäische Richtlinie umsetzen, dann kommen dabei 10 Paragraphen heraus. Wenn wir das machen, dann spielen erst einmal 16 Bundesländer mit – Sie alle kennen das –, und dabei kommen 120 Paragraphen heraus sowie soundso viele neue zusätzliche Streitpunkte. Das muss man sehen und auch verstehen. Ich möchte das föderative System nicht ändern, aber es hat auch solche Wirkungen. Man muss also versuchen, behutsam entgegenzuwirken und diese übertriebene Regelungsdichte, die wir haben, einzudämmen.

 

Letzter Punkt: Das setzt sich bei den Verwaltungsvorschriften fort. Ich bin ein Vertreter der Justiz, und deshalb liegt mir besonders viel daran, selbstkritisch aufzuzeigen, wo wir unsere Beteiligungen haben. Auch die Regelungsdichte in den Verwaltungsvorschriften wird im Wesentlichen dadurch beeinflusst, also geht an uns der absolute Appell, uns auf unsere Rolle zurückzunehmen, der Verwaltung ihre Spielräume zu lassen und sie nicht dermaßen an das Gängelband zu nehmen, wie wir es verschiedentlich getan haben. Die Folge davon ist – das ist bereits mehrfach gesagt worden – das Prinzip der kollektiven Verantwortungslosigkeit in der Verwaltung, nach dem Motto: Ach, das ist egal, das Verwaltungsgericht sagt am Ende sowieso, wie es richtig ist. – Das ist nicht unsere Aufgabe.

 

Letzte Bemerkung: Wenn Sie sich den Bescheid ansehen, den ich verteilt habe, dann lässt sich dieser noch ergänzen. Natürlich gibt es eine solche Niederschlagungsmöglichkeit, denn es bestehen keine rechtlichen Zwänge, und scherzhaft ist etwas anderes. – Ich habe den Namen der Mitarbeiterin des Migrationsbeauftragten, die das bearbeitet und unterschrieben hat, geschwärzt. Es ist ein türkischer Name, woraus ich schließe, dass es sich um eine türkische oder jedenfalls um eine türkischstämmige Mitarbeiterin handelt. Daraus schließe ich wiederum, dass wir hier ein gutes Beispiel für die Integration in deutsche bürokratische Verhältnisse haben. – Vielen Dank!

 

Vors. Dr. Zotl: Danke schön! – Damit haben beide Besprechungspunkte ihre Erledigung gefunden. Die Anträge sind bis zum nächsten Mal vertagt. – Für das Protokoll hätte ich gern noch Ihre Einverständniserklärung, dass wir das Wortprotokoll bis zum 3. Februar 2005 benötigen. Gibt es dagegen Widerspruch? – Das ist nicht der Fall.

 

Meine Herren, ich bedanke mich rechtlich herzlich, dass Sie bereit waren, die Zeit zu überziehen und dass Sie uns mit einer Reihe von Erfahrungen und problematisierenden Überlegungen geholfen haben, auf diesem Weg weiter voranzukommen, um bestimmte Entwicklungen vielleicht auch noch einmal kritisch zu überprüfen und manche Schritte neu zu gehen. Zunächst einmal werden wir die Anträge beraten, und die Koalition wird überlegen, ob in der Konsequenz eine gewisse Strategie dabei herauskommen soll, aber das wird sich spätestens am 3. Februar 2003 zeigen. Ihnen allen herzlichen Dank, und denjenigen, die von außerhalb angereist sind, wünsche ich eine gute Rückreise.

 


 

Punkt 4 der Tagesordnung   (alt 3)

Besprechung gemäß § 21 Abs. 5 GO Abghs

Dritter Bericht zum Stand der Umsetzung

der Projekte der Reformagenda

(auf Antrag der Fraktion der SPD und der

Fraktion der PDS)

0172

 

Vertagt.

 

Punkt 5 der Tagesordnung   (alt 4)

Verschiedenes

 

 

Siehe Beschlussprotokoll.

 

 

Ausschuss-Kennung : VerwRefKITgcxzqsq